Kaderfrau erzählt«Im Job bin ich die Chefin, im Bett die Devote»
Eine Karrierefrau erzählt, wie sie ihre Lust an Unterwerfung entdeckte – warum vor allem starke und selbstbewusste Frauen sich davon angezogen fühlen, erklärt Sexualtherapeutin Melina Dobroka.
Darum gehts
Der Erotikthriller «Babygirl» sorgt für Diskussionen. Nicole Kidman spielt eine dominante Geschäftsfrau, die sich in einer Affäre unterordnet.
Eine Leserin erzählt, wie sie Ähnliches erlebt hat.
Die Erfahrung, Kontrolle abzugeben, habe ihr Kraft gegeben.
Sexualtherapeutin Melina Dobroka erklärt, was hinter der Unterwerfungsdynamik steckt, und wie Filme wie «Babygirl» und «50 Shades of Grey» unsere Wahrnehmung beeinflussen können.
Über kaum einen anderen Film wird derzeit so sehr diskutiert wie über «Babygirl»: In dem Erotikthriller schlüpft Nicole Kidman in die Rolle der erfolgreichen Geschäftsfrau Romy. Trotz Ehemann fühlt sie sich von ihrem neuen Praktikanten Samuel (Harris Dickinson) angezogen und die beiden beginnen eine Affäre. Im Bett ordnet sich die im Alltag dominante Romy komplett unter. Das Spiel mit Samuel droht, ihr Leben zu zerstören.
Ein Zeichen von Antifeminismus? Nein, findet Sexologin Laura Burkhardt: «Eine moderne Frau, die sich im Bett unterordnet, bildet keinen Widerspruch. Selbstbestimmung bedeutet, dass jede Frau, jeder Mensch, frei entscheiden kann, wie die eigene Sexualität gestaltet wird.»

Eine Affäre mit einem Jüngeren und sich dabei gehenlassen? Darum geht es in dem Film «Babygirl», über den momentan sehr heiss diskutiert wird.
Imago/Landmark MediaDem stimmt auch Leserin T.B.* zu. Die 48-Jährige beschreibt sich selbst als Karrierefrau, Mutter und Ehefrau, die eigentlich immer nur auf ältere Männer stand – bis eine Affäre alles änderte. «Ich bin stets im Kampf, im Business als Frau in einer Führungsposition und in einer von Männern dominierten Firma ernst genommen zu werden. Dazu habe ich die grosse Verantwortung als Mutter und den Anspruch, die perfekte Ehefrau zu sein.»
«In einem definierten Rahmen die Verantwortung abgeben»
Vor 15 Jahren lernte sie über Facebook einen über zehn Jahre jüngeren Mann kennen. Zuerst seien es nur belanglose Treffen gewesen, bis sich «eine gewisse Anziehung» spürbar machte – ganz zu ihrer Verwunderung: «Bis dahin hatten mich eher ältere, lebenserfahrene Männer angezogen. Doch seine Dominanz hat mich zugleich irritiert und fasziniert.» Er habe Avancen gemacht, denen sie nicht widerstehen konnte, wie sie erklärt. «Es kostete mich viel Überwindung, die Kontrolle abzugeben, mich zu unterwerfen, es zu wagen. Doch die Herausforderung und die Neugier waren letztlich stärker.»
«Selbstbewusst heisst auch, zu seinen Bedürfnissen zu stehen und noch mehr, sie auszuleben und zu befriedigen»
«Das Ausleben meiner geheimsten Fantasien hat mir auf eine ungeahnte Weise Kraft gegeben. Ich konnte in einem definierten Rahmen die Kontrolle abgeben, etwas, das es nie gab in meinem Leben. Für einmal musste ich Befehlen folgen, statt sie zu geben.» Ausserdem habe ihr die Erfahrung von Schmerz, dem Ausgeliefertsein und «dem Verlangen, das nicht auf meinen Wunsch gestillt wird, sondern nach seinem Ermessen» sehr gefallen.
«Ich habe etwas in mir entdeckt, mit dem ich nicht gerechnet habe»
Das habe alles verändert: «Als sehr kontrollierte und selbstbewusste Frau habe ich etwas in mir entdeckt, mit dem ich so nicht gerechnet hätte. Denn in diesen Momenten war ich losgelöst von allen Verpflichtungen und Sorgen. Die Sexualität fand in einer völlig anderen, unbekannten Sphäre und Intensität statt.»
Bist du devot im Bett?
Die Beziehung, «mit mehr oder weniger intensiven Phasen», dauere bis heute an. Beide hätten sich weiterentwickelt, doch die Dynamik von Dominanz und Unterwerfung sei nach wie vor vorhanden: «Schon ein einziges Wort oder eine Berührung von ihm katapultiert mich in einen völlig anderen Zustand.» Auf die Frage, ob Selbstbewusstsein und Unterwerfung zusammenpasst, meint die 48-Jährige: «Selbstbewusst heisst auch, zu seinen Bedürfnissen zu stehen und noch mehr, sie auszuleben und zu befriedigen.»
*Name bekannt
«Menschen, welche ihre Vorlieben ausleben, handeln selbstbestimmt»

Melina Dobroka ist Sexologin und Vorstandsmitglied des FSS-Fachverband für Sexologie Schweiz.
PrivatFrau Dobroka, warum fühlen sich selbstbewusste Frauen von Dominanz- und Unterwerfungsdynamiken in der Sexualität angezogen?
Das hat allgemein viel mit «Kontrolle» zu tun. Indem ein Mensch dominiert wird, fühlt sich dieser begehrt und unvermittelt wird das Selbstbewusstsein gepusht. So erhalten die Emotionen mehr Raum, den sie sonst weniger erhalten. Durch das ständige Kontrollieren entsteht ein innerer Druck, der sich irgendwann mal entladen muss. Die Sexualität kann dabei ein Ventil sein. Die Abgabe von Kontrolle führt dazu, dass die Person sich gehen lassen und sich entspannen kann.
Wie kann man sichergehen, dass die Balance zwischen Dominanz und Unterwerfung gesund bleibt?
Einvernehmlichkeit ist die Basis solcher Fantasien und Dynamiken. Codewörter können zudem Sicherheit geben, dass Grenzen nicht überschritten werden. Alle Menschen müssen sich jederzeit wohlfühlen, damit die Balance bestehen bleiben kann. Kommunikation ist zentral.
Wie beeinflussen Filme wie «Babygirl» und «50 Shades of Grey» die sexuelle Wahrnehmung der Frauen?
Sicherlich ist es eine Möglichkeit, das sexuelle Denken zu erweitern und neugierig auf solche Unterwerfungsszenarien zu machen. Es regt Menschen dazu an, sich über sexuelle Erfahrungen auszutauschen und Grenzen zu erweitern. Wesentlich scheint mir auch, dass in diesen Filmen die weibliche Lust thematisiert wird. Dies kann dazu beitragen, den Mythos, dass Frauen eher lustlos sind, zu enttabuisieren und aufzubrechen.
Manche sehen Unterwerfung als antifeministisch, andere als Ausdruck sexueller Selbstbestimmung. Wie bewerten Sie diese Debatte?
Es gibt nicht nur ein «Entweder-oder». Menschen, welche ihre Vorlieben ausleben, handeln selbstbestimmt. Zentral ist die Einvernehmlichkeit, sich lustvoll und in einem sicheren Rahmen zu begegnen. Dazu gehören auch die sexuellen Fantasien, welche Kontrolle und Macht beinhalten.
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