Darum wäre eine Boden-Offensive in Gaza so gefährlich

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Kampf in GazaTunnels und Scharfschützen – darum wäre eine Bodenoffensive so blutig

Die israelische Armee (IDF) steht vor der Frage, ob sie in Gaza eine Bodenoffensive starten soll. Dazu hat ein Experte auf Twitter eine fundierte militärische Meinung. Fazit: Die Verluste wären immens.

Die IDF hat über 300’000 Mann mobilisiert – steht eine Bodenoffensive bevor?
Allein mit Luftschlägen kann die Hamas nicht besiegt werden.
Der israelischen Armee stünde ein verlustreicher Häuserkampf bevor.
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Die IDF hat über 300’000 Mann mobilisiert – steht eine Bodenoffensive bevor?

AFP

Darum gehts

  • In Israel wird derzeit über eine mögliche Bodenoffensive diskutiert.

  • Diese würde eine Menge Gefahren für die Armee mit sich bringen und wohl hohe Verluste bedeuten.

  • Ein Experte – und vermutlich deutscher Fallschirmjäger-Offizier – ordnet das Szenario auf der Plattform X ein. Wir zitieren seinen Thread dazu.

«Überleutnant Adler» hat sich auf der Plattform X, ehemals Twitter, mit Informationen über kriegerische Konflikte und militärische Taktiken einen Namen gemacht. Tweets des (Ex-)Offiziers werden auch vom deutschen Politikwissenschafter Carlo Masa geteilt. Auf Fragen zu einem möglichen Einmarsch von Bodentruppen in Gaza schildert er die Gefahren, die dabei lauern würden. 

«Was bedeutet es nun, wenn Israel sich auf eine massive Bodenoffensive auf den Gazastreifen einstellt?», fragt er. «In erster Linie sind es hochkomplexe und gefährliche Kampfgebiete in den Ballungszentren, insbesondere Gaza City. Dort sind mehrstöckige Gebäude, verwinkelte Strassen und Gassen und überall Zivilisten.»

Was sind die besonderen Gefahren?

Anders als auf freier Fläche oder im Wald sei der Kampf in Städten «dreidimensional», so der Experte. «Man muss nicht nur frontal und die Flanken sichern, sondern immer auch nach oben und – insbesondere auch mit den berüchtigten Tunnelnetzwerken der Hamas – nach unten denken. Bereits in Falludscha 2004 oder Mosul 2016 kam es immer wieder dazu, dass Häuser und Stadtviertel mit hohem Blutzoll genommen wurden, nur damit Terroristen von Al-Qaida und IS nachts durch Tunnelsysteme wieder im Rücken der eigenen Kräfte auftauchten.

Was haben Verteidiger für Möglichkeiten?

Wenn also gefordert werde, die Hamas  in Gaza zu «zerschlagen», bedeute das «einen irren Aufwand an Koordination, Manpower und Sicherung in alle Richtungen, um die Schlinge wirklich enger ziehen und die Terrorgruppe niederkämpfen zu können.»

Man kenne es aus Filmen: Soldaten rücken vor, überwacht von MGs, Scharfschützen etc., damit sie nicht aus dem Hinterhalt beschossen werden können. Das sei in einer einigermassen modernen Grossstadt mit so vielen Fenstern und Türen aber völlig unmöglich: «Der Verteidiger hat unzählige Möglichkeiten, die Initiative zu behalten und aus dem Hinterhalt zu schiessen. Und er muss ja keinen langen Feuerkampf führen: Zweimal kurz geschossen – dann abhauen, bevor man im riesigen Fenstermeer lokalisiert wird.»

Und selbst wenn die IDF noch so gut ausgebildet sei und noch so taktisch vorgehe – im Hinterhalt blieben immer Verwundete oder Gefallene liegen. «Zudem ist die Hamas wie auch die Hizbollah ein veritabler Gegner, wenn es um Panzerabwehrfähigkeiten geht», so der Experte weiter.

Was sind die Folgen für Zivilisten?

«Man muss es akzeptieren: der Kampf in und um Städte ist hochintensiv und verlustreich», erläutert der «Überleutnant». Streitkräfte könnten Verluste vermeiden, indem sie Artillerie und Luftschläge einsetzen – «aber damit kommen wir zum schlimmsten Aspekt: Zivilisten.»

Denn Menschen seien leider Gewohnheitstiere, die selbst bei Krieg, Flut oder Feuer ihr Zuhause – ihren emotionalen Zufluchtsort – nicht verlassen wollen. «Man kann da zur Flucht auffordern, wie man will, es werden niemals alle gehen. In Gaza kommt der Faktor dazu, dass Zivilisten weder nach Ägypten noch Israel fliehen können – und auch Terrorgruppen wie Hamas und der IS 2014 in Mosul ihre menschlichen Schutzschilde sehr bewusst nicht gehen lassen.» 

Wie gehen Soldaten damit um?

Die Streitkräfte stünden nun vor einem Dilemma: «Artillerie und Luftschläge retten eigene Soldaten, sind aber nicht geeignet, den Feind endgültig zu zerschlagen und kosten irrsinnige zivile Kollateralschäden. Also bleibt oftmals nur der Einsatz von Infanterie. Nahkampf bedeutet Emotionen, Emotionen zehren an den Nerven, Nerven führen zu Fehlern, Fehler führen zu Verlusten und Wunden – physisch wie psychisch. Die Folgen für die Soldaten wie natürlich für die betroffene Zivilbevölkerung sind katastrophal.»

Der Experte bilanziert: «Eine ‹einfache› Bodenoffensive wird es nicht geben. Zu wünschen, die IDF möge nach Gaza gehen und es der Hamas mal richtig zeigen, ist naiv und zynisch.» Es liege nahe, dass nach den unvorstellbaren Anschlägen keine andere Option bleibe: «Aber die Kosten müssen klar sein.»

(trx)

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