Schweizer AppSexarbeitende können Freiern Sterne geben – und dicke Kunden ausschliessen
Sternebewertungen für Hygiene oder Pünktlichkeit und ein Maximalgewicht: Friedrich programmierte eine neuartige App für Sexarbeitende – und kam ins Visier der Zuhälter.
Darum gehts
Ein Zentralschweizer Start-up hat eine App für Sexarbeitende kreiert.
Darin können sich Anbietende und Kunden gegenseitig mit Sternen bewerten.
«Matches» entstehen aus einer Vielzahl von Kriterien – ähnlich dem System von Tinder.
Die App ist seit der Lancierung erfolgreich – doch damit geraten die App-Gründer auch ins Visier von Zuhältern.
Tinder, Instagram und Linkedin zugleich – so beschreibt Friedrich* (44) die App «Titt4Tat», die er mit seiner Ehefrau während der Covid-Pandemie programmierte und diesen März lancierte.
Die kostenlose App soll es Sexarbeitenden erleichtern, selbstständig Kunden zu finden und diese auch im Sterne-System bewerten zu können.
Obere Gewichtsgrenze und Hygiene-Bewertungen
«Die Anbietenden haben eine Reihe von Kriterien zur Verfügung, mit denen sie ihre Kunden und Kundinnen eingrenzen können», erklärt der Schaffer der App, der in der Zentralschweiz zu Hause ist. «Sie können etwa eine Gewichtsobergrenze oder das maximale Alter ihrer Kunden definieren.» Dasselbe gilt auch für die Kundinnen und Kunden – passen die Kriterien zusammen, werden sie in einer Galerie zum links-rechts-Wischen angezeigt, ganz nach dem Tindermodell.
Will der Kunde einen Service buchen, verlangt die App nach einem «Coin» – umgerechnet sind das vier Franken. «Derzeit ist die App noch nicht profitabel», gibt Friedrich zu. Nach erfolgtem Service können Kunden und Kundinnen und Dienstleistende sich gegenseitig bewerten – die Kriterien reichen von respektvollem Umgang und Hygiene bis hin zu Pünktlichkeit und dem Aussehen gemäss der Bilder und Beschreibungen in der App. Die Sexarbeitenden können sich zudem untereinander vernetzen und austauschen.
Schwierigkeiten während Pandemie brachten Geschäftsidee
Die Geschäftsidee schmiedeten Friedrich und seine Frau während der Corona-Pandemie. «Wir hatten mit der Sexbranche bis dahin gar keine Berührungspunkte», erzählt der Start-up-Gründer, der eigentlich Betriebswirt ist. Bordelle, Swingerclubs und Erotik-Betriebe mussten wegen der Corona-Massnahmen ihre Türen schliessen, Sexarbeitende wurden in ihrer Existenz bedroht.
«Viele konnten die Miete nicht mehr bezahlen, erhielten keine Sozialhilfe, mussten sich mit Essensmarken versorgen und durften aufgrund des Lockdowns nicht einmal zurück in ihre Heimat – es öffnete uns die Augen und wir wollten sie irgendwie unterstützen», so Friedrich.
Tatsächlich arbeiteten er und seine Frau bereits an einer App – diese sollte aber etwa Handwerker und Gärtner in der Nachbarschaft für Aufträge vermitteln. «Wir nahmen diese App als Grundlage und programmierten sie in ‹Titt4Tat› um», erklärt er.
App-Gründer erhalten anonyme Drohungen
Seit der Lancierung der App im März hat sie bereits über 3000 Nutzende in 90 Ländern generiert – rund die Hälfte davon sind Kunden und Kundinnen, die andere Hälfte Sexarbeitende. Dass die App erste Erfolge verzeichnet, scheint einigen jedoch ein Dorn im Auge zu sein. Kurz nach der Lancierung erhielten die Gründer Morddrohungen per Whatsapp – einige davon liegen 20 Minuten vor. Auch Videos, in denen maskierte und bewaffnete Personen sie offen bedrohen, soll das Paar erhalten haben. «Wir sind offenbar einigen auf die Füsse getreten – mittlerweile wechseln wir mehrmals wöchentlich unsere Sim-Karten», so Friedrich.
Grund für den Zorn: «Es profitieren immer noch einige Menschen davon, dass vor allem fremdsprachige Sexarbeiterinnen ohne deren Hilfe keine Wohnung finden und nicht wissen, wo und wie sie ihren Service sicher anbieten können», so Friedrich. Mit dem eingebauten Übersetzer in der App könne jeder in seiner Muttersprache chatten und auch die Antworten würden direkt übersetzt.
Weiteren Frust dürfte wohl die Tatsache auslösen, dass die App auch den bestehenden Webseiten, die sich vor allem aus Inseraten von Sexarbeitenden finanzieren, das Geschäft wegnehme. Auch aufgrund dieser Drohungen will Friedrich in diesem Artikel anonym bleiben.
*Name der Redaktion bekannt
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von Zwangsprostitution und/oder Menschenhandel betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, Tel. 044 436 90 00
ACT 212, Nationale Meldestelle gegen Menschenhandel, Tel. 0840 212 212
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
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