Psychische Gesundheit: Psychiater warnt vor langer Warteliste

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Kinder- und Jugendpsychiatrie«Wartezeit über ein Jahr» – Psychiater warnt

Die Zahl der Spitalaufenthalte aufgrund psychischer Erkrankungen hat drastisch zugenommen – ohne Anzeichen einer Besserung. Der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie sieht diesen Zustand als Bedrohung für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.

Schon während und nach der Corona-Pandemie haben die Notfälle in Kinder- und Jugendpsychiatrien zugenommen.
«Die Situation hat sich nicht verändert. Im Gegenteil, der Versorgungsnotstand wird immer grösser», sagt Michael Kaess, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der UPD.
Vor allem Jugendliche mit Suizidgefahr und Depressionen seien besonders häufig.
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Schon während und nach der Corona-Pandemie haben die Notfälle in Kinder- und Jugendpsychiatrien zugenommen.

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Darum gehts

  • Lange Wartezeiten und unzureichende Ressourcen prägen die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bern.

  • Wer einen ambulanten Behandlungsplatz braucht, muss zurzeit über zwölf Monate warten.

  • Darum gibt es jetzt Forderungen nach besserer Finanzierung und Arbeitsbedingungen in der psychischen Gesundheitsversorgung.

Wer ärztliche Hilfe benötigt, möchte kein Jahr auf einen Termin warten. Für Kinder und Jugendliche, die psychische Probleme haben, ist aber genau das Realität. Schon während und nach der Corona-Pandemie haben die Notfälle in Kinder- und Jugendpsychiatrien zugenommen.

«Die Situation hat sich nicht verändert. Im Gegenteil, der Versorgungsnotstand wird immer grösser», sagt nun Michael Kaess, der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der UPD. Er berichtet, dass die Anzahl der Notfallbehandlungen im Jahr 2023 ein neues Rekordniveau erreicht hat. «Vor allem Jugendliche mit Suizidgefahr und Depressionen sind besonders häufig», so der Direktor.

Psychische Gesundheit

Die Zahl der Krankenhausaufenthalte in der Schweiz, die auf psychische Störungen zurückzuführen sind, stieg 2021 in «beispielloser» Weise an, insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen, so das Bundesamt für Statistik (BFS) im Jahr 2022. Das BFS berichtete weiter, dass die Einweisungen wegen Suizidversuchen bei den Zehn- bis 24-Jährigen um 26 Prozent zugenommen hatten. Auch bei männlichen Jugendlichen verzeichnete man einen Anstieg von sechs Prozent. Insgesamt wurden im Jahr 2021 schweizweit 19'532 Personen aus dieser Altersgruppe wegen psychischer Probleme im Krankenhaus behandelt. Zudem stiegen die ambulanten psychiatrischen Behandlungen in Krankenhäusern um 16 Prozent an.

Kaess wendet sich deshalb an die Politik – mit der Bitte, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Seit dem Jahr 2021 gab es zwar finanzielle Unterstützungen und kurzfristige Projekte, die temporär geholfen hätten, jedoch sei die Auslastung der Klinik immer weiter angestiegen.

Wartezeit von über 12 Monaten

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie werde von den Krankenkassen schlecht finanziert. Das spiegle sich in den Löhnen der Ärztinnen und Ärzte und der Kostendeckung der Spitäler.

Psychische Erkrankungen würden immer noch stigmatisiert und nicht als ähnlich schwerwiegend angesehen wie körperliche Beschwerden, so der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der UPD.

Psychische Erkrankungen würden immer noch stigmatisiert und nicht als ähnlich schwerwiegend angesehen wie körperliche Beschwerden, so der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der UPD.

UPD

Gerade bei jungen Personen sei die Heilungschance gross. «Jedoch muss man die Patienten schnell behandeln können, aber viele warten zurzeit über zwölf Monate auf einen ambulanten Behandlungsplatz», so Kaess weiter. Manchmal würden Eltern sogar die Motivation verlieren, noch einen Therapieplatz zu finden. «Beim zwanzigsten Telefon und der zwanzigsten Absage ist das nicht verwunderlich», betont der Chefarzt.

«Es geht um Anerkennung und Gleichberechtigung»

Psychische Erkrankungen würden immer noch stigmatisiert und nicht als ähnlich schwerwiegend angesehen wie körperliche Beschwerden. «Wenn die psychiatrische Versorgung schlechter bezahlt wird, ist das auch eine Form der Stigmatisierung.» Es müsse attraktiver werden, in diesem Bereich als Ärztin oder Arzt zu arbeiten. «Wir brauchen langfristig mehr Fachkräfte, sonst gibt es künftig irgendwann keine Kinder- und Jugendpsychiatrie mehr.»

«Wenn die psychiatrische Versorgung schlechter bezahlt wird, ist das auch eine Form der Stigmatisierung.»

Michael Kaess

Das sagt die Politik

Für Regine Sauter, Präsidentin des Spitalverbandes H+, ist klar, dass der Bund notwendige Schritte einleiten muss, um die Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der gesamten Schweiz zu gewährleisten. Darum reicht die FDP-Nationalrätin einen Vorstoss ein. «Es gibt eine Unterversorgung, dem wollen wir mit dieser Motion begegnen. Die Tarifstruktur muss stimmen und die Leistungen sollen adäquat finanziert werden. Heute ist es finanziell zu wenig attraktiv, in diesem Berufsfeld zu arbeiten», so Sauter.

Wie geht es dir im Moment?

SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr sieht das Problem in der Gesellschaft und warnt vor mehr Staat. «Es ist so, dass wir heute immer mehr psychische Erkrankungen haben. Nicht nur bei den Jugendlichen, sondern auch bei den Erwachsenen, ein Problem, dem ich auch mit gemischten Gefühlen entgegenblicke und als problematisch erachte.» Jedoch sehe sie die Verantwortung mehr bei den Eltern. «Der Medienkonsum, bei den Jungen wie bei den Älteren, ist zu hoch und bei den Kindern kommt oft noch dazu, dass die Eltern bewusst oder unbewusst zu wenig Zeit für die Kinder haben», so Gutjahr.

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung?

Hier findest du Hilfe:

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

Stand by you Schweiz, Helpline für Angehörige, Tel. 0800 840 400

Psyfinder, qualifizierte Fachpersonen in deiner Nähe

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

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