Schweizerdeutsch: Wenn Deutsche am Dialekt verzweifeln

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Kolumne«Chum i nöd drus»: Warum ich am Schweizerdeutschen verzweifle

Deutsche, die in der Schweiz leben, lernen schnell, Mundart zu verstehen. Das ist unheimlich wertvoll, denn so muss sich niemand in seiner Kommunikation verstellen. Dennoch lauern viele Tücken.

Redaktorin Letizia versuchte vor ihrem Umzug, sich mit einem Lehrbuch aufs Schweizerdeutsche vorzubereiten.
Zuvor kannte sie vermeintliches Schweizerdeutsch nur aus der Ricola-Werbung.
Dass es sich um einen eigenen Dialekt handelt, der für Deutsche anfangs kaum zu verstehen ist, war Letizia nicht bewusst.
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Redaktorin Letizia versuchte vor ihrem Umzug, sich mit einem Lehrbuch aufs Schweizerdeutsche vorzubereiten.

20min/Marco Zangger

Darum gehts

  • Wer als Deutscher in die Schweiz kommt, versteht erst mal nur Bahnhof.

  • Doch mit der Zeit lernt eigentlich jeder, Schweizerdeutsch zu verstehen.

  • Schweizerdeutsch zu sprechen, wird dagegen von einigen als anbiedernd empfunden.

  • Das Verhältnis zwischen den Sprachen ist oft angespannt.

Ich kann mich noch gut an einen meiner ersten Besuche in der Schweiz 2019 erinnern: Ich war mit der Erwartung eingereist, Schweizer würden in etwa so sprechen, wie ich es aus der Ricola-Werbung gewohnt war: Mit einem sympathischen Singsang, einem gerollten R, aber sonst vollkommen gut zu verstehen: Hochdeutsch mit Schweizer Akzent eben.

Umso grösser war der Schock, als ich in einem Zürcher Café von der Kellnerin gefragt wurde: «Döfs suscht no öppis si?» Ich verfiel in eine Art Freeze-Modus, das Nicht-Verstehen stand mir wohl ins Gesicht geschrieben. Ich hatte das Gefühl, auf einem vollkommen anderen Stern gelandet zu sein. «Was ist das nur für eine seltsame Sprache?», fragte ich mich damals. Und gleichzeitig: «Wieso weiss kein Mensch in Deutschland davon?» Ich kam mir unendlich ignorant vor.

Schweizerdeutsch: Überforderung und Faszination

Als ich 2023 dann final in die Schweiz umzog, war meine Sorge umso grösser, an der Kommunikation zu scheitern. Deswegen wollte ich vorbereitet sein: Ich kaufte mir also erst einmal ein Buch zur Vorbereitung: «Schweizerdeutsch in 30 Tagen». Zugegeben, viel gebracht hat es, glaube ich, nicht, allein deswegen, weil ich keine Ahnung hatte, wie man die einzelnen Wörter überhaupt ausspricht.

Wie wichtig ist es dir, die lokale Sprache oder den Dialekt zu lernen, wenn du in ein neues Land ziehst?

Die ersten Wochen in der Schweiz waren dann eine Mischung aus Überforderung, Neugier und Neid: Überforderung, weil ich nicht mal annähernd die Hälfte verstand, mir aber dennoch alle Mühe geben wollte, um mich sprachlich zu integrieren. Neugier, weil mich das Schweizerdeutsche faszinierte und ich sofort anfing, Regeln abzuleiten (Jedes -ung im Deutschen ist ein -ig, jedes au ein uu: Genesung = Genesig, Haus=Huus). Und Neid ganz einfach auf alle Deutschen, die bereits perfekt Schweizerdeutsch verstanden. Wie hatten die das bloss gelernt? Wenn ich nach einem langen Tag voller Mundart fix und fertig nach Hause kam, sagte mein Freund zu mir: «So fühlen sich Kleinkinder in ihren ersten Lebensjahren.»

Helvetismen sorgen zu Hause für Verwirrung

Ich würde sagen, dass ich nach gut einem halben Jahr das Meiste verstanden habe, ohne das Gefühl zu haben, mein Kopf explodiert. Gleichzeitig baute ich immer mehr Helvetismen in meinen Wortschatz ein. Ich sagte nicht mehr «Klo», sondern «WC», nicht mehr «ach so», sondern «ahaaaaa». Auch Sätze wie «Es hat noch freie Plätze» gingen mir anstatt «Es sind noch Plätze frei» fortan über die Lippen. Meine Familie in Köln macht sich deswegen auch heute noch über mich lustig.

Irgendwann begann ich damit, ganze Sätze auf Schweizerdeutsch zu sagen, zum Beispiel in der Redaktion. Wenn ich meine obligatorische Morgenrunde zum Beck mache, kommt etwas unbeholfen aus meinem Mund: «I go mir es Z’morge hole. Mag öper no öppis ha?» Meine Kollegen lachen dann meistens freundlich, manche sagen auch: «Toll, dass du versuchst, Schweizerdeutsch zu sprechen!»

Anstrengender «Dialektwahn»

Doch nicht alle sahen das so. Von anderen kamen Sätze wie: «Schuster, bleib bei deinen Leisten» oder «Lass das besser, das ist anbiedernd.» Ich fand diese Kommentare schon damals extrem entmutigend. Warum muss man jemanden demotivieren, der offensichtlich versucht, sich zu integrieren?

Aber auch, wenn man zu Hochdeutsch klingt, kommt das in bestimmten Kontexten gar nicht gut. So bekam ich in meinen ersten Wochen in der Schweiz wütende Kommentare, weil ich viele Helvetismen schlichtweg noch nicht kannte: «Eis» dürfe ich nicht sagen, das hiesse «Glace». Und «Züricher» schon mal gar nicht, es heisse «Zürcher».

Ich glaube, viele Schweizer möchten sich einfach von allem abgrenzen, was irgendwie deutsch ist – so auch von der Sprache. Der Germanist Peter von Matt nannte dieses Phänomen bereits 2010 «Dialektwahn». Diesen kann ich einerseits verstehen, andererseits ist dieses unentspannte Verhältnis irgendwie auch anstrengend. Kein Deutscher will den Schweizern ihren Dialekt wegnehmen, niemand plant eine «sprachliche Aneignung». Etwas mehr Gelassenheit wäre schön. Merci!


Wie stehst du zum Verhältnis Schweizerdeutsch/Hochdeutsch? Wie weit sollten Deutsche sich anpassen? Oder bist du selbst Ausländer und hast ähnliche Schwierigkeiten gehabt? Dann schreib mir an letizia.vecchio@20minuten.ch

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