«Beschimpft und angegriffen»Konflikte zwischen Fussgängern und Velofahrer nehmen zu
Aggressive Velofahrer und Fussgänger rempeln oder feinden einander zunehmend an. Ein Verein sieht den Ausbau der Velowege als einzige langfristige Lösung.
Darum gehts
«Der Schock über das Erlebte sitzt immer noch noch tief», sagt Leserin S.H. Als die 33-Jährige kürzlich mit ihrem Velo in der Stadt Zürich unterwegs war und sich auf der Strasse die Autos stauten, habe sie beschlossen, auf das Trottoir zu wechseln und dort weiterzufahren. «Ich weiss, dass das eigentlich nicht okay ist. Aber auf der Strasse war es mir zu eng und gefährlich», so H. Auf dem Trottoir sei ihr dann ein Fussgänger entgegengekommen – diesem habe sie ausweichen wollen. «Im Moment, als ich an ihm vorbeifuhr, rammte er mich absichtlich heftig mit seiner Schulter.»
H. habe sich mit ihrem Velo überschlagen und sei zu Boden gestürzt. «Ich blieb in völligem Schockzustand weinend am Boden sitzen. Der Mann der mich geschubst hatte, stand neben mir und fragte provozierend, ob ich nun die Polizei rufen wolle.» H. musste darauf in die Notaufnahme des Spitals, wo man schwerwiegende Verletzungen ausschliessen konnte: «Ich bin immer noch komplett im Unglauben und erschüttert über diesen Vorfall und die Aggression des Fussgängers», sagt H. Von einer Anzeige habe sie dennoch abgesehen.
Auch Fussgänger erlebten schon Aggressionen
H.s Erlebnis ist kein Einzelfall: Auf einen Aufruf von 20 Minuten meldeten sich innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Personen – Fussgänger, Velo- und Autofahrer – die von ähnlichen Zwischenfällen mit aggressiven Verkehrsteilnehmenden berichten. Darunter auch mehrere Fussgängerinnen und Fussgänger, die Auseinandersetzungen mit rücksichtslosen Velofahrern erlebten.
«Als Fussgänger passiert es fast täglich, dass man von Velofahrern und Trottinett-Rowdys angepöbelt oder sogar angefahren wird», sagt etwa G.S.* (60) So sei sie kürzlich beim Einkaufen von einem Trotti-Fahrer angefahren worden: «Als ich reklamierte, beschimpfte mich der Mann als alte Ziege und dass ich abhauen sollte.» Für sie seien die Rad- und Trottifahrer eine «regelrechte Plage». Und C. S. schreibt: «Wenn ich zu Fuss unterwegs bin, werde ich regelmässig von rücksichtslosen Velofahrern angerempelt – dabei sind es die Velofahrer, die nicht aufs Trottoir gehören.»
«Das Konfliktpotential nimmt zu»
Velo- und Fussgängerverbände bestätigen das Problem. Solche Vorfälle passierten oft, sagt Res Marti, Präsident von Pro Velo Zürich: «Das Konfliktpotential zwischen Fussgängern und Velofahrern ist gross.» Vor allem auf Mischflächen komme es immer wieder zu Auseinandersetzungen oder Anfeindungen: «Das liegt grundsätzlich an der fehlenden Infrastruktur wie getrennten Velowegen», so Marti. Die Auseinandersetzungen und gegenseitigen Aggressionen hätten in den vergangenen Jahren zugenommen: «Es befinden sich immer mehr Personen zu Fuss oder mit dem Velo im Verkehr – das führt zu mehr Problemen.»
Die einzige langfristige Lösung liege im Ausbau der Velowege: «Das würde dazu führen, dass Velos nicht mehr aufs Trottoir ausweichen. Bis es soweit ist, müssen wir aber einen rücksichtsvollen Umgang miteinander haben und auch mal jemandem den Vortritt lassen.» Für Marti ist aber klar: «Wenn man als Velofahrer aufs Trottoir ausweicht, soll man vom Velo absteigen. Auf dem Trottoir gehört der Vortritt klar den Fussgängern.»
«Die Fussgänger haben Angst auf den Trottoirs»
Auch Jenny Leuba, Projektleiterin beim Verband «Fussverkehr Schweiz», sagt: «Wir bekommen wöchentlich Beschwerden von Fussgängern, die sich im Strassenverkehr und auf den Trottoirs nicht wohl fühlen.» Sehr häufig würden Betroffene von vorbeifahrenden Velofahrenden überrascht und erschreckt. Manchmal komme es dabei auch zu Kollisionen. «Meistens haben die Leute aber vor allem Angst.»
Bei einem Zusammentreffen mit Velofahrenden den Konflikt zu suchen, ist jedoch laut Leuba nicht der richtige Weg: Vielmehr gehe es bei der Problematik darum, die Velowege sicherer zu gestalten. So wären die Velofahrenden nicht mehr auf den Trottoirs unterwegs. «Fussgänger und Fussgängerinnen verbinden dieselben Interessen wie Velofahrende – sie wollen nachhaltig unterwegs sein», so Leuba.
*Name der Redaktion bekannt.