EU-Rahmenabkommen - Kritiker sticheln, dass SVP neuerdings auf Volkswillen pfeife

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EU-RahmenabkommenKritiker sticheln, dass SVP neuerdings auf Volkswillen pfeife

Ein SVP-Nationalrat verteidigt nach internationaler Kritik den Alleingang des Bundesrats beim gescheiterten Abkommen. Sonst halte die SVP die Volkssouveränität doch immer hoch, spotten einige User und Userinnen.

Der Alleingang des Bundesrats beim Rahmenabkommen im Land der viel gerühmten direkten Demokratie blieb in Deutschland nicht unkommentiert.
Stimmenabgabe im Stimmlokal der Stadt Bern. 

Die Schweiz habe ihre direkte Demokratie offenbar nicht so fundamental gerettet, dass die SVP die Entscheidung über das Rahmenabkommen einer Volksabstimmung überlassen hätte, schrieb die Berliner Tageszeitung «taz».
SVP-Chef Marco Chiesa jubelte: «Wir haben unsere Unabhängigkeit, unsere Souveränität und unsere direkte Demokratie gerettet, das sind die fundamentalen Werte unseres Landes.»
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Der Alleingang des Bundesrats beim Rahmenabkommen im Land der viel gerühmten direkten Demokratie blieb in Deutschland nicht unkommentiert.

REUTERS

Darum gehts

  • Die Schweiz habe das Volk nicht über das Rahmenabkommen abstimmen lassen, kritisiert eine deutsche Zeitung.

  • SVP-Nationalrat Roger Köppel entgegnet, dass es in Deutschland nie landesweite Volksabstimmungen gebe.

  • «Sonst fordert doch die SVP immer über alles eine Volksabstimmung. Wieso soll diesmal das Volk nichts dazu sagen können?», lautet einer der spottenden Kommentare.


In Eigenregie erteilte der Bundesrat dem EU-Rahmenabkommen eine Absage. Der Alleingang des Bundesrats im Land der viel gerühmten direkten Demokratie blieb in Deutschland nicht unkommentiert. Die Schweiz habe ihre direkte Demokratie offenbar nicht so fundamental gerettet, dass die SVP die Entscheidung über das Rahmenabkommen einer Volksabstimmung überlassen hätte, schrieb die Berliner Tageszeitung «taz».

Damit spielte sie auf die Worte von SVP-Chef Marco Chiesa an, der jubelte: «Wir haben unsere Unabhängigkeit, unsere Souveränität und unsere direkte Demokratie gerettet, das sind die fundamentalen Werte unseres Landes.»

Bundesrat habe sich vor Volk gerettet

Mit seiner einsamen Entscheidung habe sich der Bundesrat vor dem Volk gerettet und auch vor den Aussenpolitischen Kommissionen im Parlament, stichelt die Zeitung weiter. Diese sowie die Kantone hätten bis zuletzt auf das Weiterverhandeln gedrungen.

Auch Thomas Maissen, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris, bezeichnete im «Tages-Anzeiger» das beim Entscheid ausgeklammerte Volk als «grossen Fehler». Wenn die Schweiz ihre Souveränität wahren wollte, dann hätte die Regierung das entscheidende Wort in dieser Sache dem Souverän überlassen sollen.

«Sonst fordert die SVP doch immer über alles eine Volksabstimmung»

Den Bekämpfern des Rahmenabkommens stösst die Kritik sauer auf. «In Deutschland gibt es landesweite Volksabstimmungen nie. Über gar nichts. Absurder gehts nun wirklich nicht mehr», twitterte SVP-Nationalrat Roger Köppel.

Mit seiner Aussage trifft Köppel auf Unverständnis. User und Userinnen sticheln, dass die SVP normalerweise viel Wert auf den Volkswillen lege.

Andere Nutzer und Nutzerinnen nehmen Köppel in Schutz: Er solle die «linksgrünen Kläffer» bellen lassen, schreibt einer. Das Verhalten sei völlig erwartbar gewesen:

Roger Koppel war für eine Stellungnahme am Sonntag nicht erreichbar. Parteikollegen betonen, dass die SVP nach wie vor grossen Wert auf den Volkswillen lege. «Wenn jemand das Rahmenabkommen unbedingt will, kann er jederzeit eine Volksinitiative lancieren. Die demokratischen Grundrechte sind damit jederzeit gewährleistet», sagt SVP-Nationalrat Franz Grüter.

Der Vorwurf, der SVP sei der Volkswille nicht mehr wichtig, sobald nach ihrem Gusto entschieden werde, treffe nicht zu, sagt Grüter. «Es gab genauso viele Befürworter des Rahmenabkommens, die gegen eine Volksabstimmung waren, weil auch sie wussten, dass die Vorlage chancenlos gewesen wäre.»

Cassis hält Nein für gravierender

Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) äusserte sich in der SRF-«Samstagsrundschau» zum Vorwurf, das Volk beim Rahmenabkommen ausgeschaltet zu haben. Die «substantiellen Differenzen» mit der EU hätten dem Bundesrat klar gemacht, dass die Vorlage «nie durch das Volk» gekommen wäre, sagte Cassis. Unter anderem aus diesem Grund habe die Regierung ihre Verantwortung wahrgenommen und den Entscheid zum Abbruch getroffen. Auch hält er fest, die Regierung habe noch nie eine europapolitische Abstimmung verloren.

Laut Cassis ist es die Aufgabe des Bundesrats, im Vorhinein abzuschätzen, wie die Chancen bei einer Volksabstimmung stehen. Innenpolitisch wäre es seiner Meinung nach der falsche Weg gewesen, das Volk zu einer Vorlage zu befragen, die der Bundesrat selber nicht unterstütze. «Ein Nein bei einer Abstimmung hätte deshalb gravierendere Folgen gehabt für die Beziehung der Schweiz zur EU als dieser Entscheid des Bundesrates.»

Das hätte eine Annahme des Abkommens bedeutet

Für die Schweiz hätte das Abkommen verschiedene Folgen gehabt. Im Bereich der Marktzugangsabkommen wäre die dynamische Rechtsübernahme eingeführt worden. Sprich, wenn die EU das Binnenmarktrecht anpasst, wäre dies in der Schweiz automatisch übernommen worden. Ausserdem hätte das Abkommen die Schaffung eines Streitschlichtungsverfahrens mittels eines Schiedsgerichts vorgesehen. Der Europäische Gerichtshof wäre immer dann einbezogen worden, wenn die Auslegung von EU-Recht betroffen gewesen wäre.

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