LampedusaFlüchtlingskrise in Italien – schwappt sie in die Schweiz über?
Lampedusa wird von Flüchtenden überrannt, die über das Mittelmeer den Weg nach Europa suchen. In der Schweiz sind die Auswirkungen davon derzeit noch klein – doch das kann sich ändern.
Darum gehts
In Lampedusa kommen Tausende Flüchtende in Booten an, die Insel hat den Notstand ausgerufen.
Europäische Länder haben Aufnahmestopps für Flüchtende aus Italien durchgesetzt.
In der Schweiz reisen die meisten Flüchtenden weiterhin über die Balkanroute ein.
Das ist passiert
Auf der italienischen Insel Lampedusa treffen derzeit Tausende Geflüchtete ein – innerhalb von 48 Stunden sind 7000 Migrantinnen und Migranten angekommen – die Bevölkerung der Insel hat sich so innert Kürze verdoppelt. Lampedusa hat den Notstand ausgerufen, ein einheimischer Priester warnt vor einem Kollaps. «Die Situation ist tragisch, dramatisch, apokalyptisch», sagt er. Das Aufnahmezentrum in Lampedusa ist für weniger als 400 Personen ausgelegt.
Sicherheitskräfte versuchen am 14. September auf Lampedusa Migranten zurückzuhalten, die aus dem überfüllten Aufnahmezentrum fliehen wollen.
20min/jadSo reagiert Europa auf die Krise
Deutschland hat ein Programm zur freiwilligen Aufnahme von Migranten aus Italien ausgesetzt. Ursprünglich hatte die Bundesregierung zugesagt, 3500 Asylsuchende aus besonders belasteten Staaten Südeuropas zu übernehmen. Diese Aufnahmen wurden gestoppt, weil Italien sich seit Dezember 2022 gegen Rückübernahmen nach dem Dublin-Verfahren sträubt. Gemäss Dublin-Verfahren müssen Asylbewerbende ihren Antrag im ersten EU-Land stellen, in dem sie registriert wurden. Versuchen sie es in einem anderen Staat, können sie ins erste Land zurückgeschickt werden.
Auch Frankreich hat die Aufnahmen gestoppt und kündigte an, die Grenze zwischen Menton und Ventimiglia aufzurüsten. So sollen keine Flüchtende mehr illegal von Italien nach Frankreich überlaufen.
Starke Zunahme
Mehr als 125’900 Menschen in Italien registriert
In diesem Jahr haben schon mehr Migrantinnen und Migranten Italien auf dem Seeweg erreicht als im gesamten Vorjahr. Seit Januar wurden bereits 125’928 Flüchtende registriert. Im Vorjahreszeitraum waren es 66’164 – die Zahl der Flüchtenden hat sich also fast verdoppelt. 2021 waren es im selben Zeitraum 42’057 Flüchtende. Sollte der Trend anhalten, könnte bis Ende des Jahres die Rekordzahl von 2016 übertroffen werden. Damals kamen 181’000 Menschen.
Das bedeutet die Flüchtlingskrise für die Schweiz
Auch die Schweiz ist vom vorübergehenden Dublin-Aufnahmestopp Italiens betroffen. Aufgrund des bilateralen Rückübernahmeabkommens mit der Schweiz nimmt Italien aber weiterhin Personen an der schweizerischen-italienischen Grenze zurück, so das Staatssekretariat für Migration (SEM). Das Abkommen betrifft Personen, die sich nicht legal in der Schweiz aufhalten und hier kein Asylgesuch stellen – und von Italien in die Schweiz eingereist sind.
Die Entwicklung der Asylanträge in der Schweiz scheint weiterhin mehr mit der Migration entlang der Balkanroute als mit der Lage im Mittelmeerraum verbunden zu sein, so ein Sprecher des SEM. «Von Januar bis August landeten in Italien etwa 13’000 Guineer und etwa 12’500 Staatsbürger der Côte d’Ivoire an. Die Asylgesuche in der Schweiz von Personen aus diesen zwei Ländern im gleichen Zeitraum beziffern sich jedoch insgesamt auf lediglich rund 350», so der Sprecher.
Keines der wichtigsten Herkunftsländer von Asylsuchenden in der Schweiz, wie etwa Türkei, Afghanistan, Eritrea, Algerien und Marokko, steht auf der Liste der Top-10-Nationen der in Süditalien angelandeten Migranten. Die Entwicklung der Anzahl Asylgesuche hänge in den kommenden Monaten primär davon ab, in welchem Ausmass die Migration aus der Türkei über den Balkan zunimmt. Ein weiterer Anstieg sei zusätzlich möglich, wenn plötzlich vermehrt in Süditalien angelandete Menschen aus Westafrika in der Schweiz ein Asylgesuch stellen würden.
Auslastung der Schweizer Asylzentren
Stand 14. September sind die Bundesasylzentren zu 78 Prozent ausgelastet. Aber: Um weiterhin allen Asyl- und Schutzsuchenden vom ersten Tag an ein Bett und ein Dach über dem Kopf anbieten zu können, müsse sich das SEM vorbereiten. «Wir rechnen in den kommenden Monaten mit weiter steigenden Asyl- und Schutzgesuchen», so der Sprecher. Aus diesem Grund prüfe man zusammen mit der Armee und den Kantonen zusätzliche vorübergehende Unterbringungsplätze.
Bei der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) heisst es, dass in Kantonen und Gemeinden aktuell rund 7’000 Plätze zur Verfügung stehen. Dabei handelt es sich aber eine Schätzung, weil nicht aus allen Kantonen Zahlen vorliegen. «Nur» in zwei Kantonen ist die Situation bei der Unterbringung aktuell im roten Bereich.
So reagiert Italien auf den Flüchtlingsstrom
Der stellvertretende Regierungschef, Matteo Salvini von der rechten Lega, bezeichnet die Massenankunft auf Lampedusa als «Kriegsakt». «Wenn 120 Schiffe in wenigen Stunden ankommen, ist das nicht spontan. Offensichtlich ist das organisiert, finanziert und vorbereitet. Das ist ein Akt des Krieges», betont er.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni fordert die Europäische Union auf, das Thema Migration gemeinsam zu lösen – sie habe schon seit langem auf die prekäre Situation hingewiesen. «Es sind sehr wenige Flüchtlinge verteilt worden. Die einzige Lösung ist, sie aufzuhalten und die Ankünfte in Italien zu stoppen», so Meloni.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Fragen oder Probleme im Bereich Migration/Asylverfahren?
Hier findest du Hilfe:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 031 370 75 75
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, Tel. 044 436 90 00
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