Oensingen SOMädchen-Gang terrorisiert weiter: «Härtere Strafen schrecken nicht ab»
Neue Videos zeigen weitere brutale Attacken der Mädchengruppe aus Oensingen. Eine Strafrechtsexpertin erklärt, welche Strafen möglich sind.
Darum gehts
Die Mädchengang aus Oensingen hat wiederholt wehrlose Opfer brutal angegriffen.
Strafrechtsexpertin Sandy Hefti sieht grundsätzlich härtere Strafen als nicht zielführend an.
Im Falle der Oensinger Mädchengang reiche laut Hefti aber eine Bestrafung mit gemeinnütziger Arbeit nicht aus, ein Freiheitsentzug wäre denkbar.
Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts ist für Hefti nicht notwendig, da dieses auch den Freiheitsentzug beinhalte.
Die brutale Gewaltserie einer Mädchengang in Oensingen SO sorgt weiterhin für Entsetzen. Der Fall der 16-jährigen L., die am 17. Januar brutal attackiert wurde, war offenbar nur die Spitze des Eisbergs. Die Täterinnen schlugen und demütigten ihr Opfer nicht nur, sondern zwangen es, sich nackt auszuziehen, schnitten ihm die Haare ab und zwangen es, diese zu essen. Zudem drückten sie brennende Zigarettenstummel auf seiner Haut aus.
Neue Videoaufnahmen zeigen, dass die Täterinnen ein weiteres Opfer demütigten – es musste am Boden krabbeln und wie ein Hund bellen, während es wahllos geschlagen wurde. Doch damit nicht genug: Ein weiteres Video, das 20 Minuten vorliegt, enthüllt, dass dieselben Täterinnen nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen attackierten.
Die mutmasslichen Täterinnen im Alter von 14 bis 16 Jahren sind weiterhin auf freiem Fuss, obwohl sie offenbar Wiederholungstäterinnen sind. Wie soll die Gesellschaft mit solchen Gewaltexzessen umgehen?
Was sollte gegen Jugendgewalt getan werden?
Strafrechtsexpertin: «Härtere Strafen haben keine abschreckende Wirkung»
Laut Rechtsanwältin Sandy Hefti stossen Taten wie diese verständlicherweise auf grosses Unverständnis in der Gesellschaft. Dennoch hält sie härtere Strafen für nicht zielführend: «Mit Blick auf das im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht mildere Jugendstrafrecht scheint es einfach, über eine ‹Kuscheljustiz› zu schimpfen. Doch härtere Strafen haben keine abschreckende Wirkung.» Ein Blick ins Ausland zeige, dass selbst bei extremen Strafen, wie etwa in den USA, Jugendliche nach Jahren im Gefängnis weiterhin kriminell bleiben: «Im Gefängnis lernen sie nichts, was sie auf den richtigen Weg bringt.»
Dennoch hält sie eine Bestrafung mit «nur» gemeinnütziger Arbeit für nicht angemessen. «Im Falle der Oensinger Mädchengruppe, die offenbar mehrfach wehrlose Mädchen verprügelt und demütigt, wäre ein Freiheitsentzug denkbar.» Falls die Täterinnen nicht vorbestraft seien, würde dieser zwar bedingt ausgesprochen und mit einer Probezeit versehen: «Falls sie jedoch erneut straffällig werden, droht ihnen eine effektive Haftstrafe.»
Diese Strafen gibt es im Jugendstrafrecht
Im Jugendstrafrecht gehen die Schutzmassnahmen den Strafen vor. Schutzmassnahmen werden angeordnet, wenn die oder der Jugendliche eine besondere erzieherische Betreuung oder therapeutische Behandlung braucht. Als Strafe kommen vier verschiedene Arten in Frage:
Verweis
Persönliche Leistung
Busse
Freiheitsentzug
Begeht ein Jugendlicher über 15 Jahre ein Vergehen oder Verbrechen, kann ein Freiheitsentzug von einem Tag bis zu einem Jahr ausgesprochen werden. Bei über 16-Jährigen beträgt die maximale Dauer vier Jahre. Unabhängig von der Schwere der begangenen Straftaten enden Schutzmassnahmen spätestens mit dem Erreichen des 25. Lebensjahres. Dies bedeutet, dass alle Massnahmen dann auslaufen. Im Erwachsenenstrafrecht hingegen können Massnahmen und Strafen deutlich länger andauern und sind stärker auf den Schutz der Gesellschaft ausgerichtet.
Müsste das Jugendstrafrecht verschärft werden?
Laut Hefti nicht: «Auch das Jugendstrafrecht kennt den Freiheitsentzug.» Entscheidend sei, dass die richtige Sanktion für den jeweiligen Fall gewählt werde. Hefti betont, dass das Ziel des Jugendstrafrechts nicht nur Strafe, sondern vor allem die Prävention weiterer Delikte ist. «Die Hintergründe der Tat – oft in der Familie oder im sozialen Umfeld zu finden – werden analysiert, um langfristige Lösungen zu schaffen. Dabei werden Eltern, Sozialarbeiter und Behörden miteinbezogen.»
Das ist die Expertin
Sandy Hefti studierte Rechtswissenschaften an der Universität St. Gallen und schloss im Herbst 2017 mit dem Master of Law and Economics ab. Berufserfahrung sammelte sie unter anderem bei der Jugendanwaltschaft und am Gericht, bevor sie im Juni 2020 das Anwaltspatent erwarb. Seit Februar 2021 ist sie bei der Anwaltskanzlei Prof. Giger & Partner als Rechtsanwältin vorwiegend im Strafrecht tätig.
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Sandy Hefti, Strafrechtsexpertin und Rechtsanwältin.
Giger&Partner LawZusätzlich könne laut Hefti im Einzelfall eine Therapie angeordnet werden. Falls das familiäre Umfeld problematisch sei, wären eine Unterbringung in einer Pflegefamilie, einer Wohngruppe oder einem Erziehungsheim Optionen. Laut Leonardo Vertone, Jugendforensiker und Chefpsychologe der Uniklinik Zürich, sind therapeutische Massnahmen ein wichtiger Schlüssel zur Senkung des Rückfallrisikos. «Es gibt international gute Evidenznachweise, dass therapeutische Interventionen bei Jugendlichen nützen.»
Welche Verantwortung tragen Schulen, Sozialdienste und Eltern?
Laut Hefti sollten Schulen und Sozialdienste strafrechtlich relevantes Verhalten umgehend der Polizei oder Jugendanwaltschaft melden. «Eltern müssten im Strafverfahren aktiv mitwirken und behördliche Unterstützung nicht ablehnen.» Bei Überforderung sei es essenziell, Hilfe anzunehmen.
Die Ermittlungen laufen
Die Kantonspolizei Solothurn bestätigte gegenüber 20 Minuten, dass ihnen die neuen Videos bekannt seien. Die Ermittlungen der Jugendstaatsanwaltschaft laufen weiterhin, insbesondere im Hinblick auf mögliche Zusammenhänge mit weiteren Straftaten.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von (Cyber-) Mobbing betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Fachstelle Mobbing (kostenpflichtig)
Elternberatung, Tel. 058 261 61 61
Hilfe bei Mobbing, Fachstelle für Schulen und Eltern (kostenpflichtig)
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
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