Prämienkosten1500 statt 60 Franken: Abzock-Masche der Spitäler aufgedeckt
Eine Gesetzesänderung sorgt für Kostenexplosion statt geringere Kosten für Prämienzahler. Spitäler verrechnen Medizinprodukte zu einem vielfach höheren Preis an Krankenkassen.
Darum gehts
Spitäler und Arztpraxen dürfen 49 Prozent des ausgehandelten Rabatts für Medizinprodukte einbehalten.
Die Gesetzesänderung nutzen viele Einrichtungen aus und stellen den Krankenkassen «Fantasierabatte» in Rechnung.
Die Krankenkassen kennen die Masche, es laufen auch diverse Untersuchungen.
Die Tamedia-Redaktion hat eine neue Masche von Spitälern aufgedeckt. Mit dieser gelingt es den Gesundheitseinrichtungen, einen um vielfach höheren Betrag für Implantate einzufahren, als beim Lieferanten ausgegeben wurde.
Möglich ist dies aufgrund eines geänderten Gesetzes, das eigentlich zur Kostensenkung erlassen wurde.
Das neue Gesetz
Spitäler und Arztpraxen erhalten beim Einkauf von Medizinprodukten teils signifikante Preisnachlasse. Gesetzlich müssten die an die Krankenkassen weitergegeben werden. Weil das bei vielen Rabatten nicht passiert ist und die Einrichtungen die Rabatte selbst behielten, schuf das Parlament eine neue gesetzliche Grundlage, die Bedingungen wurden vor zwei Jahren in einem Vertrag festgelegt.
Als Anreiz teilte man Spitälern und Arztpraxen mit, sie dürften bis zu 49 Prozent der Rabatte (im ambulanten Bereich) einbehalten, wenn sie sich diesem Vertrag anschliessen. Das Geld soll der Qualitätsoptimierung von Behandlungen zugutekommen.
Der Trick
Medizinische Einrichtungen sollen sich nun den Umstand zunutze machen, dass Preise für Medizinprodukte wie Implantate geheim gehalten werden. Auch das Bundesamt für Gesundheit und die Krankenkassen kennt sie nicht. Und: Im Gesundheitswesen wird bei allen Produkten zwischen dem Listenpreis und dem Nettopreis unterschieden. Ersterer wird festgelegt, wenn ein Produkt neu auf den Markt kommt. Der Nettopreis entsteht über die Jahre hinweg durch Preisverhandlungen und technologische Fortschritte und ist deshalb um ein Vielfaches tiefer.
Laut den Tamedia-Zeitungen kann der Listenpreis bis zu 20-mal höher liegen als der Nettopreis. Seit Inkrafttreten der neuen Regelung wird auf den Lieferscheinen neben dem Nettopreis auch der Listenpreis angegeben. So entstehen teils massive Fantasierabatte. Entstanden sind also aus der durch die Gesetzesanpassung gewünschte Kostensenkung hohe Mehrkosten.
Das sagen Spitäler
Laut Tamedia-Recherchen gab es mehrere auffällige Fälle in Kliniken der Hirslanden-Gruppe. So seien beispielsweise ein Ballon-Implantat für 60 Franken mit 1500 Franken weiterverrechnet worden oder ein Stent für 2800 Franken statt realen 300 Franken.
Konzernsprecher Claude Kaufmann sagt gegenüber der Zeitung, dass eine externe, spezialisierte Anwaltskanzlei mit einer Untersuchung beauftragt worden sei: «Diese ermittelt aktuell in einem detaillierten Prüfverfahren, ob es bei der Umsetzung der vertraglich vorgesehenen Einbehaltung von Vergünstigungen und der Rechnungsstellung zu Fehlern gekommen ist.»
Weiter erläutert er, Hirslanden habe von 2021 bis März 2024 sämtliche Vergünstigungen im Bereich Medizinprodukte an die Krankenversicherer weitergegeben.
Das sagt der Spitalverband
Gegenüber 20 Minuten sagt der nationale Spitalverband H+, dass er die aktuell bestehende Vereinbarung über die Weitergabe von Rabatten für seine Mitglieder federführend verhandelt habe, er kenne zudem das Verhandlungsresultat im Detail und sei auch an der Umsetzung aktiv beteiligt. Gesamthaft haben 70 von 280 Spitälern die Vereinbarung für die Weitergabe von Rabatten unterzeichnet. «Dies bedeutet, 210 Spitäler und Kliniken geben die Rabatte vollständig weiter. Von den 70 Spitälern und Kliniken, welche Rabatte gegenüber den Versicherungen geltend machen, wenden allerdings nur vier Spitäler und Kliniken diese Möglichkeit bei Medizinprodukten an», erläutert der Verband weiter. «Aufgrund von einer so kleinen Anzahl von Spitälern und Kliniken von einem System zu sprechen, entbehrt jeglicher Grundlage.»
«Die Tatsache, dass 49 Prozent der Rabatte für die Qualitätsentwicklung an den Spitälern verwendet werden, kommt den Patientinnen und Patienten zugute», schreibt er weiter. Die finanzielle Situation der Spitäler sei aktuell aufgrund der nicht kostendeckenden Tarife «ohnehin enorm angespannt.» Die getroffene Vereinbarung sei eine wichtige Grundlage, damit die Spitäler dennoch Mittel in die Qualitätsentwicklung investieren könnten. «Dass die Mittel auch tatsächlich in die Qualitätsentwicklung fliessen, wird jährlich überprüft», so der Spitalverband H+.
Die restlichen 51 Prozent der Rabatte werden von den Versicherern verwaltet. «Auf die eine oder andere Weise kommen die ausgehandelten Rabatte immer den Patientinnen und Patienten zugute.»
Das sagen Krankenkassen
Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» bestätigen CSS und Helsana sowie weitere Krankenkassen, Kenntnis von der Masche der Spitäler zu haben. Entsprechende Untersuchungen seien eingeleitet worden. CSS weist auffällige Rechnungen eigenen Angaben zufolge zurück. Den Krankenkassen wird der Lieferschein nicht automatisch vorgelegt, sie müssen diesen bei Missbrauchsverdacht aktiv einfordern.
Auch Tarifsuisse, eine Unterorganisation von Santésuisse, bestätigt die Rechercheergebnisse gegenüber den Tamedia-Zeitungen. Es liefen Abklärungen zu Verdachtsfällen. Krankenkassen haben den neuen Vertrag inzwischen per Ende Jahr gekündigt, im Parlament befindet sich derzeit die Nachfolgeregelung in der Vernehmlassung.
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