Studierendenproteste: Eskalation an Schweizer Universitäten führt zu Spannungen

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Pro PalästinaUni-Proteste: Schweizer Muslime rufen zur Mässigung auf

Die Studierendenproteste weiten sich aus. Önder Günes von der Föderation der Islamischen Dachorganisationen hat Verständnis für die Anliegen der Protestierenden, bittet aber um einen gemässigten Ton.

Die Aktivisten demonstrieren für Palästina und aus Solidarität mit Universitätsbesetzungen auf der ganzen Welt. Am Montag wurde die Uni Basel besetzt.
Die Aktivisten sind auch in das Gebäudeinnere der UNIBAS vorgedrungen, wo sie Lehr- und Prüfungsbetrieb stören.
Seit Tagen besetzten pro-palästinensische Demonstrierende die Uni Lausanne (UNIL). Vergangenen Dienstag erreichten die Proteste auch die ETH in Zürich.
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Die Aktivisten demonstrieren für Palästina und aus Solidarität mit Universitätsbesetzungen auf der ganzen Welt. Am Montag wurde die Uni Basel besetzt.

Darum gehts

  • In Schweizer Universitäten weiten sich propalästinensische Studentenproteste aus.

  • Önder Günes, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS) pocht auf die Meinungsfreiheit – ruft jedoch zur Mässigung auf.

  • Der Präsident des islamischen Dachverbands und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus äussern sich besorgt über die Sicherheit jüdischer Studierender und fordern mehr Dialog und Aufklärung an den Universitäten.

Das ist passiert

Mit Basel, Bern und Freiburg haben propalästinensische Studierendenproteste weitere Universitäten erreicht. Die Demonstrierenden protestieren für ein «freies Palästina» und werfen Israel vor, einen Genozid zu begehen. Gefordert wird ein akademischer Boykott israelischer Institutionen.

Jetzt zeigt sich: Führende Teilnehmer der Besetzung fallen in den sozialen Medien mit Israel-Hass und Hamas-Propaganda auf. An der Uni Genf sollen Aktivisten ein Transparent mit dem Logo der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) gehisst haben, wie der «Sonntagsblick» schreibt. Die Organisation wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft, welche den Angriff der Hamas vom 7. Oktober als Akt des Widerstandes «feiert».

Das sagen jüdische Mitstudierende

Am Sonntag veröffentlichte der Verein jüdischer Studentinnen und Studenten Schweiz ein Statement: Parolen wie «From the river to the sea» sprächen Israel sein Existenzrecht ab und seien als Aufruf zur Gewalt zu verstehen. Jüdische Studierende der Uni Lausanne äusserten gegenüber dem Sonntagsblick, dass sie Angst um ihre Sicherheit hätten. Einige trügen ihre Davidsterne und Kippas nicht mehr offen.

In der Uni Freiburg haben Demonstrierende am Montagmorgen eine Eingangshalle besetzt. Aufnahmen aus dem Gebäude zeigen, wie die Pro-Palästina-Demonstranten Transparente aufhängen und Sprechgesänge skandieren.

Das sagt der islamische Dachverband

Önder Günes ist Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS). Er sagt: «Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und solche Demonstrationen müssen möglich sein. Das Anliegen, Aufmerksamkeit auf den Krieg im Nahen Osten und das Vorgehen der israelischen Armee zu lenken, ist legitim.» Auch die Forderung nach mehr Transparenz hält Günes für nachvollziehbar: «Wenn die Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten zur Entwicklung von Systemen führt, die im Krieg eingesetzt werden, soll das offengelegt werden.»

Am 10. März 2024 trafen sich viele jüdische und muslimische Menschen, um zusammen gegen Hass und Gewalt einzustehen.
Im Bild: Önder Günes

Am 10. März 2024 trafen sich viele jüdische und muslimische Menschen, um zusammen gegen Hass und Gewalt einzustehen. Im Bild: Önder Günes

20min/Michael Scherrer

Gleichzeitig ruft er Organisatoren und Teilnehmende zur Mässigung auf. «Im Falle von antisemitischen Äusserungen sind solche nicht tolerierbar. Es darf auch nicht sein, dass jüdische Mitstudierende sich nicht mehr sicher fühlen. Wenn es jüdischen Menschen so geht, erwarte ich von den Protestierenden, dass sie das ernst nehmen.» Auch dürften Unbeteiligte nicht daran gehindert werden, ihrem Studium nachzugehen.

«Wo, wenn nicht an der Universität, ist Raum für einen konstruktiven, kritischen Dialog zwischen diesen zwei Seiten?»

Önder Günes, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS)

Von den Unileitungen würde Günes sich verstärkte Bemühungen zum Dialog wünschen: «Wo, wenn nicht an der Universität, ist Raum für einen konstruktiven, kritischen Dialog zwischen diesen zwei Seiten?» Er schlägt etwa vor, dass Vertreter beider Seiten gemeinsam mit den Protestierenden und jüdischen Studierenden zu einer Podiumsdiskussion eingeladen werden, die von der Uni geleitet wird.

Wie sollte man an Universitäten mit kontroversen politischen Protesten umgehen?

Das sagt die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA)

Philip Bessermann ist Geschäftsleiter der GRA. Er kritisiert mehrere Punkte an den Protesten. «Das Statement der Besetzung in Bern tappt in zahlreiche diskriminierende Stolperfallen, hauptsächlich durch grobe Vereinfachungen.» Mit «Genozid», «Apartheidstaat» und «Siedlerkolonialismus» würden diverse dämonisierende Begriffe verwendet. «Es fehlen zudem jegliche Hinweise zum Massaker der Hamas und der allgemeinen geopolitischen Situation.» Weiter kritisiert Bessermann:

  • Täter-Opfer-Umkehr: «Dieses Kernelement antisemitischer Verschwörungstheorien spielt auch bei den Uni-Protesten eine zentrale Rolle. Die «Zionisten» seien reich und mächtig und könnten deshalb gar nie Opfer, sondern müssten die Täter sein. Die Protestierenden solidarisieren sich mit den Schwächeren und glauben, damit auf der richtigen Seite zu stehen. Der Terrorangriff der Hamas und die allgemeine geopolitische Situation in Nahost wird dabei ausgeblendet.»

  • Geschichtsblindheit: «Mit einem Boykott von israelischen und somit oft jüdischen akademischen Personen und Einrichtungen wird etwas gefordert, was an dunkle Zeiten erinnert. In den 1930er-Jahren legte die Dämonisierung den Grundstein und Nährboden für die angestrebte Vernichtung der Juden in Europa. Es ist ignorant gegenüber der Geschichte, wenn jetzt Forderungen in diese Richtung gestellt werden.»

  • Mehr Nuancierung: «Die Forderung der Besetzenden nach Dialog wirkt unehrlich, wenn diese gleich Maximalforderungen wie Boykott und dämonisierende Begriffe wie Apartheidstaat verwenden. Ein Dialog wäre viel wahrscheinlicher, wenn sich die Besetzenden die Mühe machen würden, eine differenzierte Kritik an der Regierung Israels zu formulieren. Diese ist möglich, jedoch kaum in Form von vereinfachten Slogans.»

  • Jüdische Studierende werden nicht ernst genommen: «Manche jüdische Studierende fühlen sich an den Unis nicht mehr sicher. Hier versagen auch die Unileitungen, wenn sie sagen, dass sie die Proteste erst dann nicht mehr tolerieren, wenn sie antisemitisch werden. Manche sind es nämlich bereits und wenn eine Jüdin oder ein Jude Angst hat, dass die Situation eskaliert, sollte das als Grund reichen, die Proteste zu unterbinden.»

Das sagen die Protestierenden

In Basel verweigern sie das Gespräch mit 20 Minuten. In Bern weichen die Protestierenden kritischen Fragen aus.

Das sagen die Unis

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