PsychologeSmartphones rauben einer ganzen Generation die Kindheit
Für den US-Psychologen Jonathan Haidt ist klar, wer am rasanten Anstieg psychischer Probleme von Jugendlichen schuld ist: Flatrate-Abos und Smartphones. Er fordert eine Altersgrenze für Handy und Social Media.
Darum gehts
Übermässiger Smartphone-Konsum ist schlecht für die psychische Gesundheit. Soziale Interaktionen werden verdrängt, was in einer schlechten psychischen Gesundheit resultiert. Das zeigen Studien deutlich.
Ein amerikanischer Psychologe geht jetzt aber noch weiter: Er sagt, Smartphones und unbegrenzter Zugang zum Internet seien die alleinigen Gründe für die Mental-Health-Krise der Kinder und Jugendlichen.
Seine Forderung: Smartphones sollen erst ab 14 Jahren erlaubt sein, Social Media ab 16.
Für viele Jugendliche ist das Handy nicht mehr wegzudenken. Gemäss der aktuellsten James-Studie nutzen Schweizer Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren ihr Smartphone unter der Woche durchschnittlich dreieinhalb Stunden und am Wochenende knapp fünf Stunden pro Tag. Gleichzeitig zeigt eine Unicef-Studie, dass ein Drittel der 14- bis 19-Jährigen in der Schweiz und in Liechtenstein von psychischen Problemen betroffen ist.
Der US-amerikanische Psychologe und Professor Jonathan Haidt sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der hohen Handynutzung und Mental-Health-Problemen bei Jugendlichen. Das Problem: Früher hätten Kinder für jede SMS und jeden Zugriff aufs Internet bezahlt. Die hohen Kosten hätten dazu geführt, dass Kinder weniger im Internet und dafür öfter draussen unterwegs gewesen seien. Sie hätten viel mehr mit anderen Kindern gespielt, gesprochen und so soziale Fähigkeiten erlernt.
«Telefonbasierte Kindheit blockiert Entwicklung»
Seit 2015 habe sich das drastisch geändert, was zeitlich mit der flächendeckenden Verbreitung von günstigen Internet-Flatrates korreliere. Die Generation Z sei radikal anders aufgewachsen. «Diese telefonbasierte Kindheit, die wir entwickelt haben, blockiert fast jeden Weg der Entwicklung. Deshalb sehen wir bei Buben und Mädchen einen Knick in den Statistiken über die psychische Gesundheit», sagt Haidt in einem BBC-Podcast.
Ganz ohne Handy auszukommen, fiele vielen Jugendlichen schwer, wie eine Umfrage von 20 Minuten schon im März 2023 gezeigt hat.
20minAndere Wissenschaftler bestätigen einen Zusammenhang, warnen aber davor, einen einzigen Grund für die psychische Krise bei Kindern und Jugendlichen zu nennen und alle anderen auszublenden (siehe unten).
«Fähigkeit zu Gesprächen und Auseinandersetzungen nimmt ab»
Wie tief die Gräben sind, die fehlende soziale Interaktion aufgrund eines übertriebenen Handy- und Internetkonsums reisst, weiss der Kinder- und Jugendpsychiater Felix Hof aus der Praxis: «Im Moment habe ich keine einzige Familie in der Praxis, in der die sehr langen Smartphone- oder Medienkonsumzeiten der Kinder kein Riesenproblem darstellten. Mitunter führt das zu heftigen Auseinandersetzungen.»

Felix Hof ist Kinder- und Jugendpsychologe und begegnet in seiner täglichen Arbeit häufig Smartphone-süchtigen Kindern und überforderten Eltern.
privatDie Abnahme der direkten sozialen Interaktionen stehe in direktem Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit der Kinder und Jugendlichen: «Die Reduktion des realen Austausches mit der Familie, anderen Kindern und Peers führt dazu, dass die Gesprächsfähigkeiten und somit auch der Informationsaustausch oder der Abgleich eigener Meinungen und Sichtweisen bis hin zum Austragen von Konflikten immer weniger werden», sagt Hof. Die Fähigkeit, in Beziehungen zu treten, diese aufrechtzuerhalten und zu gestalten, nehme ebenfalls ab. «Dazu gehört auch die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen.»
Forderung: Keine Smartphones an Schulen
«Wir Menschen sind soziale Wesen und benötigen für unsere psychische Gesundheit und unsere Entwicklung sozialer Beziehungen ein Gegenüber. Haben wir das nicht, gerät unsere psychische Gesundheit in Gefahr», sagt Hof. Für die Familien gebe es durchaus einfache Lösungen: klare Regeln für den Smartphonekonsum, die kontrolliert und gesteuert sind.
Glaubst du, dass du ohne Smartphone auskommen könntest?
«Es gibt in der Schweiz genug Fachempfehlungen, deren Umsetzung in Regeln aber zu wünschen übrig lässt», sagt Hof. Auch der Trend der vermehrten Smartphonenutzung in Schulen sei zu stoppen: «Ich wage aber zu behaupten, dass damit weder Bildung noch Medienkompetenz gefördert wird.»
Haidt formuliert vier Forderungen, wie der Absturz sozialer Fähigkeiten und die damit einhergehende grassierende Mental-Health-Krise einer ganzen Generation kollektiv bekämpft werden können:
Keine Smartphones bis 14 Jahre
Kein Social Media bis 16 Jahre
Keine Handys an Schulen
Viel mehr unbeaufsichtigtes Spielen und kindliche Unabhängigkeit
Auch wenn es vereinzelt Bemühungen gibt, den Smartphonekonsum von Kindern einzuschränken, stossen Handyverbote für gewisse Altersklassen bei Politik und Verbänden auf wenig Gegenliebe.
Gesellschaft im Bann der Smartphones
In einer fünfteiligen Serie beleuchtet 20 Minuten die Auswirkungen der uneingeschränkten Verbreitung von Smartphones und dem Internet auf die Gesellschaft. Alle bereits publizierten Artikel findest du hier:
2. Smartphones rauben einer ganzen Generation die Kindheit
3. Jugendliche erzählen: «Ein Handy erst ab 14 zu erlauben, finde ich zu hart» (folgt)
4. So reagiert die Politik: «In der Verantwortung sind die Eltern und die Schulen» (folgt)
5. Ein Zukunftsforscher ordnet ein: Matthias Horx sieht eine Ausstiegs-Bewegung und hat vier Tipps (folgt)
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