Therapeutin Felizitas Ambauen warnt vor Tiktok-Psychologen

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AbhängigkeitsgefahrTherapeutin Felizitas Ambauen warnt vor Tiktok-Psychologen

Felizitas Ambauen stört sich daran, dass auf Tiktok therapeutische Inhalte verbreitet werden. Langfristig mache das die Menschen ängstlicher. 

Felizitas Ambauen ist Psychologin, Buchautorin und Podcasterin. Es stört sie, dass ihre Konkurrenz bei ...
... Tiktok verspricht, mit Kurzvideos à la «Ich gebe dir Rat in fünf Punkten» Therapiesitzungen zu ersetzen.
In ihrem gemeinsamen Podcast mit Sabine Meyer,  «Beziehungskosmos», dreht sich alles rund ums Thema psychologische Kernfragen. Einigen Patientinnen und Patienten empfiehlt sie jedoch, ihren Podcast seltener zu hören.
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Felizitas Ambauen ist Psychologin, Buchautorin und Podcasterin. Es stört sie, dass ihre Konkurrenz bei ...

Aissa Tripodi

Darum gehts

  • Auf Tiktok versprechen vermeintliche Psychologinnen und Psychologen Hilfe mit Kurzvideos.

  • Die Schweizer Psychologin Felizitas Ambauen ist mit ihrem Podcast «Beziehungskosmos» bekannt geworden.

  • Sie rät davon ab, Hilfe auf Social Media zu suchen und empfiehlt stattdessen, das Handy abzuschalten.

Psychologin Felizitas Ambauen stört sich daran, dass Therapeutinnen und Therapeuten wie sie «neuerdings ihre Konkurrenz auf Tiktok» erhalten. Im Interview mit 20 Minuten erklärt sie, warum es ein Problem ist, wenn Menschen in Kurzvideos nicht fundierte Diagnosen abgeben und damit Tausende erreichen. 

Felizitas, was stört dich an Amateur-Psychologinnen und -Psychologen auf Tiktok?
Ihre Inhalte können hilfreich sein, fast immer sind sie aber sehr verkürzt und nicht genug differenziert. Manchmal sogar falsch. Das ist nicht allen klar. Einige nehmen die Aussagen für bare Münze. Das zeigen vor allem diese «Ich gebe dir Rat in fünf Punkten»-Videos, was im Moment ein Trend ist. Die Leute laufen dann mit Checklisten im Kopf rum: «Habe ich eine toxische Beziehung? Habe ich ADHS?» Aber es ist komplizierter.

Suchst du Hilfe bei Social Media?

Warum sind einfache, verkürzte Ratschläge ein Problem?
Viele Menschen klicken diese psychologischen Inhalte an, entweder, weil sie gerade negative Gefühle spüren, oder, weil sie im Namen der Selbstoptimierung möglichst viel Wissen aufsaugen wollen, um gegen diese negativen Emotionen gewappnet zu sein.

Das klingt doch sinnvoll.
Ja, aber wenn wir sofort, wenn ein negatives Gefühl auftaucht, unser Handy in die Hand nehmen und auf irgendwelche Social-Media-Seiten klicken, die diese Gefühle wegmachen sollen, kann es dazu führen, dass man selbst immer weniger in der Lage ist, mit guten Strategien seine Emotionen zu regulieren. Wir brauchen dann diese Inhalte wie als Beruhigungsmedikament oder Rückversicherung. Das führt in eine Abhängigkeit. Die Sicherheit wird kleiner, selbst schwierige Situationen meistern zu können. Allerdings ist das leider oft im Sinne der Macher der Inhalte. Sowohl die Entwicklerinnen von Social Media wie eben auch viele Content Creators wollen ja, dass wir von ihren Inhalten abhängig sind.

Was sollten wir also tun, anstatt Hilfe auf Social Media zu suchen?
Wir sollten negative Emotionen aushalten, ohne sie gleich wegmachen zu wollen. Das kann bedeuten, dass man da sitzt und sagt: «Ich fühle mich grad traurig.» Und das zulässt. Klar darf man sich auch ablenken, eine Freundin treffen oder ins Kino gehen, wenn es hilft, wieder in die Mitte zu kommen. Lenken wir uns aber immer sofort von negativen Gefühlen ab, nennt man das «emotionale Vermeidung». Wenn wir die Gefühle einfach wegdrücken, werden wir nicht kompetenter in der Emotionsregulation.

Aber es ist doch praktisch, die Emotionen wegzudrücken.
Mir fällt auf – auch bei mir – dass ich seit der Smartphone-Zeit auf fast alles sofort eine Antwort finde. Ich könnte sogar mein Kind mit einem Air-Tag orten und sagen, das ist, weil ich es beschützen will. Dabei fällt es mir einfach nur schwer auszuhalten, mal etwas nicht zu wissen – und die unsicheren Gefühle dabei zu spüren. Und auszuhalten. Das macht uns nicht sicherer und vertrauensvoller, sondern abhängig von Medien und Apparaten. So werden wir ohne sie immer ängstlicher.

Wie kommen wir aus dieser Spirale heraus?
Psychologische Abläufe kann man nicht durch mehr Konsum beschleunigen. Einsicht geschieht langsam und oft, wenn man gar nicht daran denkt. Regelmässig bitte ich meinen Klientinnen und Klienten, dass sie mal zwei Wochen keine psychologischen Podcasts hören, Bücher lesen oder Tiktok-Inhalte konsumieren. Das gilt auch für meinen eigenen Podcast: Man wird seine Schemata nicht schneller los, wenn man alle 80 Folgen in zwei Wochen hört. Sie sollen nur bei sich selbst sein, zuhören und sich beobachten, was grad passiert. Das ist für viele kaum mehr auszuhalten. Es fühlt sich als vergeudete Zeit an. Einige fühlen sich sogar schuldig, weil sie nicht ständig nach neuen Infos und Einsichten streben.

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung?

Hier findest du Hilfe:

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

Stand by you Schweiz, Helpline für Angehörige, Tel. 0800 840 400

Psyfinder, qualifizierte Fachpersonen in deiner Nähe

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

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