Atomwaffen in Belarus«Putin will mit der Atom-Drohung vom Versagen der eigenen Armee ablenken»
Russland will taktische Nuklearwaffen in Belarus stationieren. Damit will er hauptsächlich Angst schüren und vom eigenen Versagen ablenken, sagen Experten. Das Risiko einer Eskalation nehme zu.
Darum gehts
Eine russische Nachrichtenagentur liess verlauten, dass Wladimir Putin taktische Nuklearwaffen in Belarus stationieren will.
Einen nuklearen Schlag halten Experten nach wie vor für sehr unwahrscheinlich, weil Russland dadurch nichts gewinnen könne.
Trotzdem steige das Risiko einer nuklearen Eskalation – insbesondere dann, wenn die Atomköpfe auf Raketen montiert werden, anstatt wie bislang getrennt aufbewahrt zu werden.
Russlands Präsident Wladimir Putin will taktische Nuklearwaffen in Belarus stationieren. Das vermeldete die russische Nachrichtenagentur Tass am Samstag. Was will Putin damit erreichen? Und wächst dadurch die Gefahr eines Atomkriegs? Experten ordnen ein.
Putin droht damit, taktische Atomwaffen in Belarus zu stationieren. Was bezweckt er damit?
Alexander Dubowy: Er versucht erneut, den Westen in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber ehrlich gesagt: Diese Atomwaffen-Drohungen werden langsam ein bisschen langweilig.
Inwiefern?
Alexander Dubowy: Es ist zum wiederholten Mal eine mit allergrösster Wahrscheinlichkeit leere Drohung. Wir wissen noch nicht einmal, ob es tatsächlich zur Stationierung kommen wird.

Alexander Dubowy ist Politikanalyst und Russland-Experte.
privatMarc Finaud: Kommt es aber tatsächlich so weit, wird eine Frage wichtig sein. Im Moment gelten die taktischen Nuklearwaffen Russlands als «nicht eingesetzt». Raketen und Sprengköpfe werden oft Dutzende Kilometer voneinander entfernt gelagert, um bei einem Fehlalarm Zeit zu haben, um zu reagieren. Werden in Belarus Raketen stationiert, auf denen schon Sprengköpfe montiert sind, wird dies das Risiko eines Einsatzes erhöhen – ob dieser nun gewollt zur Eskalation, unbeabsichtigt, zufällig oder nicht genehmigt ausgeführt wird.
Also würde eine solche Stationierung das Risiko einer nuklearen Eskalation erhöhen?
Marc Finaud: Ja, natürlich. Es ist kein Szenario denkbar, in dem ein nuklearer Angriff auf die Ukraine oder auf ein Nato-Land ohne Reaktion bliebe. Vor dieser Reaktion hat die Nato Russland schon mehrfach gewarnt, ohne genau zu sagen, wie sie aussehen würde. In diesem Szenario würde sich das Risiko eines totalen Atomkriegs drastisch erhöhen – wie erwähnt auch aufgrund von Fehleinschätzungen, Missverständnissen, Unfällen oder eines Hackerangriffs.
Dubowy: Dem stimme ich zu. Eine absichtliche nukleare Eskalation dieses Kriegs kann aber nicht im Interesse Russlands liegen.

Marc Finaud ist Waffen- und Abrüstungsexperte am Geneva Centre for Security Policy (GCSP).
GSCPWeshalb?
Dubowy: Russland könnte dadurch nur verlieren. Einerseits die Unterstützung der wenigen Länder, die zumindest noch teilweise hinter Russland stehen, also von Indien, der Türkei und China. Andererseits würden aber auch sämtliche russischen Narrative in sich zusammenfallen: Von einer Spezialoperation und vom Willen, den Krieg zu beenden, könnte dann keine Rede mehr sein.
Finaud: Dazu kommt: Der Einsatz von Atomwaffen in der Nähe der weissrussischen oder russischen Grenzen wäre aufgrund des Risikos einer radioaktiven Verseuchung je nach Windrichtung völlig unsinnig. Der Einsatz ist deshalb wohl vor allem eine Geste für die Innenpolitik und eine Warnung, um die Nato-Länder davon abzuhalten, der Ukraine zu helfen.
Also geht es Putin nur um Angstmache?
Dubowy: Das ist eines der Ziele. Innenpolitisch versucht er, vom Versagen der eigenen Armee abzulenken. Davon, dass Bachmut trotz anderslautender Ankündigungen nach wie vor nicht eingenommen wurde und dass die russische Armee hohen Blutzoll bezahlt.
Jean-Marc Rickli: Putin begründete seine Entscheidung auch damit, dass das Vereinigte Königreich panzerbrechende Munition mit abgereichertem Uran an die Ukraine liefern wird. Bei dieser Art von Waffen handelt es sich um konventionelle Waffen, die nichts mit Atomwaffen zu tun haben. Dieses Argument ist also irreführend.

Jean-Marc Rickli ist Leiter der Abteilung globale und aufkommende Risiken am GCSP.
GCSPEr verteidigt den Schritt auch, indem er sagt, er tue nur dasselbe wie die USA. Stimmt das?
Finaud: Theoretisch hat Putin Recht: Die USA haben in Belgien, Deutschland, Italien, der Niederlande und der Türkei insgesamt rund 100 «nicht-strategische» nukleare Schwergewichtsbomben des Typs B-61 stationiert. Diese können von Flugzeugen aus diesen Ländern mit ihren eigenen Piloten abgefeuert werden. Das nennt man «Nukleare Teilhabe», was Russland stets als Verstoss gegen den Atomwaffensperrvertrag betrachtet hat – obwohl die USA die Kontrolle über den Einsatz dieser Waffen behalten.
Was wären die Folgen eines nuklearen Angriffs innerhalb von Europa?
Finaud: Das Überschreiten dieser Schwelle könnte zu einer grossen nuklearen Konfrontation führen, bei der es nur Verlierer gäbe. Viele Experten und NGOs begrüssen deshalb den Abzug der taktischen US-Atomwaffen aus Europa und Verhandlungen über die Demontage der russischen Atomwaffen. Die US-Waffen wurden jedoch auf Wunsch der Nato-Länder, die die russische Bedrohung am meisten fürchten, als politisches Mittel zur Abschreckung durch die USA beibehalten.
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