Reichsbürger Milieu: Strafverfahren gegenüber zwei Menschen

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Gruppe will Regierungsumsturz«Die Schweiz ist für Reichsbürger eine Art Rückzugsgebiet»

Nach Hausdurchsuchungen bei mutmasslichen Reichsbürgern in der Schweiz ist ein Strafverfahren gegen zwei Personen eröffnet worden. Experten ordnen ein. 

Laut Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, sind Reichsbürger in der Schweiz meist deutsche Staatsbürger, die ihren Wohnsitz hierher verlagert haben.
Im Dezember waren Polizei und Bundesanwaltschaft mit mehreren Tausend Einsatzkräften gegen ein mutmassliches Netzwerk aus Reichsbürgern in Deutschland vorgegangen.
Diese sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben.
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Laut Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, sind Reichsbürger in der Schweiz meist deutsche Staatsbürger, die ihren Wohnsitz hierher verlagert haben.

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Darum gehts

Wer sind die Reichsbürger in der Schweiz?

Laut Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, sind Reichsbürger in der Schweiz meist deutsche Staatsbürger, die ihren Wohnsitz hierher verlagert haben. «Die Schweiz ist für Reichsbürger eine Art Rückzugsgebiet. Das heisst, hier siedeln sich Reichsbürger aus Deutschland an, um möglichst unbehelligt von deutschen Behörden tätig zu sein und beispielsweise Internetauftritte zu gestalten oder Telegram-Kanäle zu betreiben.» 

Wie viele Reichsbürger gibt es in der Schweiz? 

Laut Sektenexperte Georg Otto Schmid dürfte die Zahl der Reichsbürger in der Schweiz überschaubar sein, weil das deutsche und andere Reiche in der Schweiz nicht unbedingt populär seien. Genaue Zahlen gebe es bisher nicht. Sehr zahlreich und stark wachsend sei hingegen die Menge der Personen in der Schweiz, welche das Land für eine Firma halten und deshalb glauben, keine Steuern, Bussen, Abgaben und Gebühren zahlen zu müssen. «Eine Selbstbezeichnung für diese Bewegung gibt es nicht, von Aussenstehenden und Fachleuten werden sie aber als Staatsverweigerer bezeichnet», sagt Schmid. Gemäss Baier reichen die Schätzungen bei den Staatsverweigerern von 300 bis 1000 Personen, wobei auch hier genaue Zahlen bisher fehlen. 

Razzien bei Reichsbürgern

Was ist der Unterschied zwischen Reichsbürgern und Staatsverweigerern? 

«Reichsbürger sind Menschen, welche die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen und sich als Bürger des damaligen Deutschen Reiches sehen», erklärt Schmid. Der Begriff Reichsbürger sei eine Selbstbezeichnung und stamme vom deutschen Ex-RAF-Terroristen und heutigen Reichsbürger Horst Mahler. «Der Staat ist aus ihrer Sicht das Ergebnis einer Verschwörung und dient dazu, die Bürgerinnen und Bürger zu unterdrücken. Diese Haltung unterstreichen sie dadurch, dass sie Dokumente des Staates wie Bussenbescheide ablehnen und sich eigene Phantasiedokumente erstellen», erklärt Baier. Der Bezugspunkt «Deutsches Reich» sei in der Schweiz hingegen nicht bedeutsam, weshalb die Bezeichnung Staatsverweigerer angemessener ist. «Auch Staatsverweigerer lehnen die geltende politische und rechtliche Ordnung ab, beziehen sich aber dabei nicht auf die Geschichte, sondern auf andere verschwörungstheoretische Narrative», so Baier. 

Wie gefährlich ist die Szene? 

In Deutschland wird das Reichsbürger-Milieu vom Verfassungsschutz beobachtet: «Aktuell werden 23’000 Personen als Reichsbürger oder Selbstverwalter geführt und über 1000 Straftaten im Jahr 2021, wobei es sich meist um Nötigungen oder Bedrohungen handelt.» In der Schweiz werde die Szene hingegen nicht vom Nachrichtendienst des Bundes beobachtet, weil bislang der Gewaltbezug fehle. Baier betrachtet die Staatsverweigerer-Szene in der Schweiz dennoch mit Sorge: «Die Szene vernetzt sich – auch mit Reichsbürgern in Deutschland – zunehmend über soziale Medien, tauscht sich über einschlägige Kanäle aus, trifft sich auf Veranstaltungen und schult sich gegenseitig. Für den sozialen Frieden in der Schweiz ist das ein Problem.» Eine Deutschland und die Schweiz umfassende terroristische Zelle oder ähnliches gibt es gemäss Baier aber nicht. Auch Schmid sagt: «Zurzeit ist die Staatsverweigererszene in der Schweiz stark wachsend, weil sie in den Post-Corona-Bewegungen Urig und Graswurzel Plattformen zur Verbreitung erhalten hat. In diesen Kreisen ist eine Radikalisierung hin zur Staatsverweigerung zu beobachten, die uns Sorge macht.» Laut Fedpol-Sprecher Patrick Jean stehen einzelne Personen staatsverweigernder Gruppierungen in der Schweiz mit deutschen Reichsbürgern in Kontakt: «Diesbezüglich arbeiten wir national und international eng mit den Partnerbehörden zusammen. Wir sammeln Informationen und tauschen uns aus, um Bedrohungen zu erkennen und zu bekämpfen.»

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Polizei nach Kanton

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche

Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein

Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer

LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133

Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Beratungsstellen für gewaltausübende Personen

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