Russland: Haben Agenten der GRU 29155 die Schweiz unterwandert?

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5. KolonneMoskau-Freunde und russische Spione: Wie unterwandert ist  die Schweiz?

Russlands Spione haben ihre Aktivitäten mit dem Ukraine-Krieg verstärkt. Wie aktiv sind sie in der Schweiz? Und was hat es mit der sogenannten 5. Kolonne auf sich? Interview mit Geheimdienstexperte Adrian Hänni.

Das Bundeshaus in Bern.
Seit dem Krieg gegen die Ukraine hat Russland seine Spionageaktivitäten in Europa markant verstärkt (im Bild: Funkgerät des  Militärgeheimdienstes GRU im KGB-Museum in New York).
In Österreich hat die Verhaftung eines Ex-Geheimdienstoffiziers wegen des Verdachts der Spionage für Russland hohe Wellen geworfen.
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Das Bundeshaus in Bern.

20min/Matthias Spicher

Darum gehts

  • In Deutschland und Österreich fliegen immer mehr Spione oder politische Handlanger Moskaus auf.

  • Gleichzeitig haben russische Agenten der Einheit Nr. 29155 ihre Aktivitäten in Europa merklich verstärkt, wie Adrian Hänni* im Interview erklärt.

  • 20 Minuten hat mit ihm auch über die sogenannte 5. Kolonne gesprochen und ihn gefragt: Ist auch die Schweiz von Moskau-Freunden unterwandert?

  • Ausschliessen tut das der Geheimdienst- und Sicherheitsexperte nicht – auch mit Blick auf das russophile Lager in der SVP.

Aufgeflogene Spione, bezahlte Kreml-Versteher – in Europa tut sich einiges. Und immer wieder scheint die GRU-Einheit Nr. 29155 involviert. Täuscht das?

Nein, sie ist tatsächlich sehr aktiv. Insgesamt agieren die russischen Geheimdienste mit einem viel höheren operationellen Tempo als zuvor. Wegen des Ukraine-Kriegs sehen sie sich in einem existenziellen Kampf um die Stellung von Russland in der Welt. In ihren Augen legitimiert sie das zu Operationen und Praktiken aus der Zeit des Kalten Krieges.

«Das sind keine Schreibtisch-Spione. Das sind tatsächlich die harten Jungs.»

Adrian Hänni

Wie lange gibt es die Einheit schon?

In dieser Form und wie sie heute funktioniert seit etwa 2008. Dabei rekrutiert 29155 traditionell aus Spezialeinheiten wie den legendären Spetsnaz. Das sind keine Schreibtisch-Spione oder Figuren aus einem John-Le-Carré-Buch. Das sind tatsächlich die harten Jungs.

Wie aktiv ist 29155 in der Schweiz?

Die Schweiz war für diese russische Geheimdiensteinheit praktisch über die gesamten 2010er-Jahre ein Sprungbrett für Operationen in ganz Europa. Spätestens ab 2014 kamen Angehörige der Einheit etwa unter dem Vorwand eines Sprachkurses nach Genf. Andere waren dort mit diplomatischer Tarnung stationiert. In Genf bestand nämlich eine Art vorgelagerte Basis, wo Leute ausgebildet und Operationen vorbereitet wurden. Mir stellt sich die Frage: Operiert GRU 29155 immer noch von der Schweiz aus? Hoffentlich weiss der Schweizer Nachrichtendienst da schon mehr.

«Die russischen Dienste schlagen ein höheres Tempo bei ihren Operationen an, es werden grosse Risiken eingegangen.»

Adrian Hänni

Wie erklären Sie sich die Häufung der Spionage-Skandale? Es kursieren Behauptungen, die aufgeflogenen Skandale seien quasi inszeniert worden, um bestimmten Parteien in der kommenden Europawahl zu schaden.

Das ist offensichtlich Unsinn. Ich sehe die Häufung aus zwei Gründen: Auf der einen Seite schlagen die russischen Dienste ein höheres Tempo bei ihren Operationen an, es werden grosse Risiken eingegangen. Dadurch häufen sich auch Fehler und Unachtsamkeiten. Auf der anderen Seite kommen mehr Operationen ans Licht, weil unterdessen die Abwehr russischer und zunehmend auch chinesischer Spionage in vielen westlichen Staaten Top-Priorität hat. In dem Bereich lässt sich eine radikale Wende beobachten, wenn man bedenkt, dass etwa der deutsche Bundesnachrichtendienst seine Spionageabwehr nach dem Kalten Krieg zwischenzeitlich sogar ganz aufgelöst hatte. Noch Ende 2013, in den Wochen vor der russischen Annexion der Krim, kümmerten sich im BND gerade einmal zwölf Beamte um die klassische Spionageabwehr.

«Der Begriff der 5. Kolonne kam mit dem Spanischen Bürgerkrieg auf.»

Adrian Hänni

Vermehrt fällt wieder der Begriff der 5. Kolonne. Was versteht man darunter?

Allgemein gesagt sind das Personen und Gruppen, die in einem Land verdeckt für die Interessen einer fremden Macht arbeiten – quasi aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Der Begriff kam mit dem Spanischen Bürgerkrieg auf und wurde dann im Kalten Krieg geläufig, im Zusammenhang mit tatsächlicher und vermeintlicher kommunistischer «Subversion». Vor allem linke Politiker, Publizisten und Aktivisten gerieten im Westen unter Verdacht, als «fünfte Kolonne» für die Sowjetunion oder andere kommunistische Diktaturen tätig zu sein.

Wer ist denn heute Teil der 5. Kolonne?

In der Forschung wurden verschiedene Kategorien von russischen Agenten in Europa identifiziert. Eine davon sind die sogenannten «Influencer»: Damit sind nicht Tiktoker oder Instagram-Models gemeint, sondern Politiker und Journalisten aus dem ganz rechten oder linken politischen Spektrum, die über ihre Plattformen russische Propaganda-Narrative in die europäischen Gesellschaften tragen. In gewissen Fällen wird die Schwelle zur Spionage überschritten, indem solche Influencer auch Informationen beschaffen und an russische Geheimdienste weitergeben.

«Manche Personen im russophilen Lager der SVP passen durchaus in das Profil von russischen Anwerbern.»

Adrian Hänni

Wieso dient sich jemand als Spion für Russland an?

Es gibt eine Reihe von immer wiederkehrenden Motiven wie Geld, Geltungssucht oder ein gewisses Loyalitätsempfinden für Vorfahren oder Verwandte in Russland. Was mir zudem auffällt: Wenn man sich die Aussagen der Agenten anschaut, die jüngst in Deutschland für Russland und China spionierten, dringt fast immer durch, dass sie sich vom deutschen Staat abgewandt haben, seine Institutionen und Vertreter verachten. Ein Beispiel ist der derzeit prominente Fall um Carsten Linke, bis zu seiner Verhaftung ein hoher Beamter des BND, der für Geld Staatsgeheimnisse an Russland weitergegeben haben soll. Linke soll vor seiner Rekrutierung durchblicken lassen haben, dass er «mit diesem Land, dieser Republik und mit dem Dienst abgeschlossen» habe. Eine solche totale Entfremdung vom eigenen Staat bzw. der Regierung ist ein Nährboden für die chinesischen und russischen Dienste, die versuchen, genau solche Leute zu finden und zu rekrutieren.

Wären Sie überrascht, wenn auch Schweizer auf einer Kreml-Gehaltsliste stehen würden – etwa aus dem SVP-Lager?

Manche Personen im russophilen Lager der SVP passen durchaus in das Profil von russischen Anwerbern – wobei man sagen muss, dass auch gewisse Politiker und Influencer ganz links im politischen Spektrum in dieses Muster passen. Allerdings sind die Bedingungen in der Schweiz doch etwas anders. Im Gegensatz etwa zur deutschen AfD stellen SVP-Politiker nach meinem Verständnis in der Regel die Schweizer Demokratie und ihre Institutionen nicht grundsätzlich infrage.

«Meine Befürchtung ist, dass wir als nächsten Eskalationsschritt Sabotageaktionen in europäischen Nato-Staaten sehen werden.»

Adrian Hänni

Könnte so etwas wie der Fall Egisto Ott, der ehemalige österreichische Nachrichtendienstler, der für Russland spioniert hat, auch bei uns passieren?

Unmöglich ist das nicht. Grundsätzlich gibt es überall Menschen, die aufgrund ihrer kleineren und grösseren Charakterschwächen, einer Sinnkrise oder einer Lebenskrise für eine Rekrutierung offen sind. Die Schweiz ist keine Insel der Glückseligkeit, die davor gefeit wäre.

Spionage ist ein wichtiger Teil in Wladimir Putins hybridem Krieg gegen den Westen. Ihre Prognosen zur weiteren Entwicklung?

Solange der Krieg gegen die Ukraine weitergeht, wird die Intensität nicht kleiner werden, sondern eher grösser. Die verdeckten russischen Operationen – Propaganda, Einflussoperationen und Sabotage – werden stark darauf fokussieren, die westliche Unterstützung für die Ukraine zu unterminieren. Meine Befürchtung ist, dass wir als nächsten Eskalationsschritt Sabotageaktionen in europäischen Nato-Staaten sehen werden, die sich gegen die Unterstützungsinfrastruktur für die Ukraine richten.

*Adrian Hänni forscht am Forschungszentrum Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS).

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