Ex-Diplomat Boris Bondarew : Schweiz muss Putin-Kritiker beschützen

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Ex-Diplomat Boris BondarewSchweiz muss Putin-Kritiker beschützen

Seine Demission sorgte weltweit für Aufsehen. In seine Heimat zurückkehren kann der 41-Jährige definitiv nicht. Vorläufig bleibt er darum in der Schweiz. Bern wird den abtrünnigen russischen Ex-UNO-Vertreter wohl noch länger beschützen müssen.

Nach seinem Rücktritt und der Abrechnung mit der russischen Führung blickt Boris Bondarew (41) einer ungewissen Zukunft entgegen. 
In der russischen Mission bei den Vereinten Nationen in Genf habe am Montag nach seinem Entscheid «wohl Chaos» geherrscht, erklärt Bondarew in einem ausführlichen Interview mit den Tamedia-Zeitungen.
In seinen Äusserungen geht er mit der russischen Führung hart ins Gericht. Staatspräsident Putin sei ein Alleinherrscher, Aussenminister Lawrow lebe ein opulentes Leben und solle zurücktreten.
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Nach seinem Rücktritt und der Abrechnung mit der russischen Führung blickt Boris Bondarew (41) einer ungewissen Zukunft entgegen. 

Facebook/Boris Bondarew

Darum gehts

Am Montag überraschte der russische Top-Diplomat Boris Bondarew, der das Land mehrere Jahre lang als Diplomat und in den vergangenen zweieinhalb Jahren bei der russischen Mission bei den Vereinten Nationen in Genf vertrat, die ganze Welt, als er bekannt gab, aus Protest wegen des Krieges in der Ukraine von seinem Posten zurückzutreten. «Ich schäme mich. Der Krieg gegen die Ukraine ist ein Verbrechen», erklärte er. Nun sitzt der 41-Jährige in Genf fest und kann wohl nie mehr in seine Heimat zurück. Gemäss Medienberichten würden die hiesigen Sicherheitsverantwortlichen bereits ein Sicherheitsdispositiv für ihn erarbeiten. 

Kritik am System Putin

Im ausführlichen Interview mit den Tamedia-Zeitungen gibt Bondarew nun Auskunft über seinen Gemütszustand und darüber, wie es zum Entscheid kam. «Ich fühle mich gut. Ich bin mit mir im Reinen.» Seine Aussagen hätten weltweit hohe Wellen geschlagen, er habe zahlreiche Feedbacks bekommen, die allermeisten positiv. Es sei ein langsamer Prozess gewesen, der ihn dazu gebracht habe, mit Moskau zu brechen. Jahrelang habe sich Wut angestaut, bis er schliesslich handelte. «Ich wollte etwas bewirken, eine Inspiration sein für meine Kollegen, für Diplomaten und andere russische Bürger, die in Russland leben und denken, dass sie selbst nichts tun können. Ich bin der Meinung: Man kann immer aufstehen und die Wahrheit sagen über Dinge, die man wahrnimmt.»

Mit seinen ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten geht er hart ins Gericht. Die russische Diplomatie sei «grob, aber nicht effektiv», der diplomatische Korps von Ja-Sagern dominiere. «Sie verbreiten die Staats-Propaganda, obwohl sie nicht daran glauben. Sie tun es, weil es ihre Pflicht ist. Das ist eine zutiefst sowjetische Denkweise. Sie reicht Generationen zurück.»

Seinen ehemaligen Chef, Aussenminister Sergei Lawrow, fordert er auf zurückzutreten. Sein eigener Entscheid hätte in der Russischen Botschaft wohl Chaos ausgelöst. «Man kann sich vorstellen, dass der Montag für den russischen Botschafter in Genf und seine Sicherheitsleute ein unerfreulicher Tag war. Sie müssen jetzt der Zentrale in Moskau erklären, warum ich zurücktrat und warum sie in Genf nicht genügend aufmerksam waren.»

«Ich verstehe viele Dinge noch nicht»

In seiner Heimat laufe vieles falsch. Russland sei ein «unterentwickeltes Land», erklärt Bondarew. Dies liege vor allem an der obersten Führung. «Herr Putin ist für alles verantwortlich, was in Russland passiert. Er ist der alleinige Herrscher und kann sich nehmen, was er will.» Auch die seit mehreren Jahren andauernde Belagerung der Ukraine sieht er heute kritisch. «Lange hatte ich mit dem Ukraine-Dossier nichts zu tun. Heute ist auch mir klar: Die russische Führung versuchte, diese ehemals sowjetischen Gebiete sozusagen zurück ins Nest zu holen. 2014 sah ich dieses systematische Vorgehen nicht so, wie ich es heute sehe.» Präsident Putin hätte für seine Forderung an den Westen, sich und die Nato hinter die Grenzen von 1997 zurückzuziehen, nichts erhalten «ausser Krieg», kritisiert er.

Nach Russland zurückkehren kann der abtrünnige Diplomat gemäss eigenen Aussagen nicht. Dort würde ihm wohl ein Strafverfahren drohen. «Ich habe Angst um meine Familie, meine Verwandten und auch enge Freunde.» Darum bleibt er vorerst in der Schweiz. Zum Land hat er eine lange Beziehung. Sein Vater lebte einst hier, bereits 1984 reiste er ein erstes Mal nach Zürich. Dass er in Genf gelandet sei, sei einer der «grössten Glücksfälle meines Lebens», sagt er denn auch. Nun müsse er versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen. «Ich verstehe viele Dinge noch nicht.» Zunächst wolle er sich hier nach Arbeit umsehen. Als ehemaliger Diplomat habe er einiges mitzubringen, erklärt er den Tamedia-Zeitungen. Er prüfe aber auch, hier oder in einem anderen Land ein Asylgesuch zu stellen.  

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Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)

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