Schweizer Armee«Die Situation ist desolat – Bundesrat hat Ernst der Lage nicht begriffen»
Das Verteidigungsministerium von Viola Amherd hat für die Schweizer Armee eine Einkaufsliste mit Investitionen von 13 Milliarden Franken erstellt. Wird die Liste den heutigen Herausforderungen im Drohnen- und Cyberkrieg gerecht?
Darum gehts
Im Parlament steht die Debatte über eine mögliche massive Erhöhung des Armeebudgets bevor.
Nun kursiert eine Einkaufsliste mit Posten in Milliardenhöhe.
Doch wird die Liste den Herausforderungen des modernen Drohnen- und Cyberkrieges gerecht?
Es sehe grundsätzlich danach aus, sagt der ehemalige Geheimdienstchef der Schweiz, Peter Regli auf Anfrage.
Eine verbesserte Cyberabwehr und eine dezentralisierte Logistik seien dringend notwendig.
Gleichzeitig kritisiert Regli den Bundesrat. Dieser habe bis heute nicht begriffen, dass Europa sich in der schwersten sicherheitspolitischen Lage seit dem Zweiten Weltkrieg befinde.
In Bern diskutiert das Parlament nächste Woche über eine Erhöhung des Armeebudgets. Verteidigungsministerin Viola Amherd plant Investitionen von 13 Milliarden Franken in die Schweizer Armee bis 2031.
Die Posten der vom «Blick» veröffentlichten Einkaufsliste sind in der Bildstrecke aufgelistet. Doch genügt die Aufstellung den aktuellen Anforderungen, wie sie sich seit dem Krieg gegen die Ukraine stellen? Nachgefragt bei ehemaligen Geheimdienstchef der Schweiz, Peter Regli.
Herr Regli. Wird die Liste den Herausforderungen des modernen Drohnen- und Cyberkrieges gerecht?
Ich habe die Liste im Original nicht gesehen und kann das entsprechend nicht direkt beantworten. Sicher ist aber: Wir befinden uns heute in Europa in der schlimmsten sicherheitspolitischen Lage seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und gleichzeitig einen hybriden Krieg, den Wladimir Putin gegen die demokratischen Staaten Europas führt. Westeuropa leidet jetzt zunehmend unter dieser hybriden Kriegsführung, auch wir in der Schweiz.
«Die geforderten Mittel sind für mich absolut nachvollziehbar.»
Können Sie ein konkretes Beispiel für die Schweiz nennen?
Teil der hybriden Kriegsführung ist die Desinformation, wo Informationen als Waffe genutzt werden – so wie es ein Zürcher Verleger tut, der jeden Donnerstag ein Heft herausgibt, welches das Narrativ von Herrn Putin verbreitet. Dasselbe tun auch Influencer wie ein Gerhard Schröder oder eine Sahra Wagenknecht in Deutschland. Dazu kommen der Cyberkrieg, den man in der Schweiz deutlich spürt, und neu auch Sabotage. Die indirekte Kriegsführung gegen uns läuft also auf Hochtouren.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus, auch mit Blick auf die Einkaufsliste der Armee?
Als Bürger und als Offizier muss ich sagen: Unser Bundesrat hat den Ernst der Lage in corpore immer noch nicht begriffen. So wie auch Deutschland und Frankreich nicht – im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern, insbesondere Polen und den baltischen Staaten. Wir sind in einer desolaten Situation. Und dies, obwohl der Chef der Schweizer Armee seit Jahren predigt, dass unsere Armee nicht mehr in der Lage ist, ihren Auftrag gemäss Verfassung auszuführen.
«Bei der Desinformation werden Informationen als Waffe genutzt – so wie es ein Zürcher Verleger tut.»
Kann die neue Einkaufsliste diesen Missstand denn beheben?
Es ist hinlänglich bekannt: Müsste die Schweizer Armee heute im Ernstfall antreten, könnten zwei Drittel der Soldaten nicht ausgerüstet werden. Entsprechend sagt Armeechef Thomas Süssli es auch immer ganz richtig: Wir müssen ausrüsten, bevor wir aufrüsten. Die Liste bezieht sich auf das Aufrüsten. Aber wir können davon ausgehen, dass der Armeechef die wegen des Ukraine-Krieges veränderte Lage natürlich wahrgenommen und die Liste entsprechend der neuen Bedrohung aus der dritten Dimension – also Marschflugkörper, Kampfflugzeuge, Drohnen – angepasst hat.
Sie sind also mit den aufgelisteten Posten einverstanden?
Ohne die Liste und die Details und Zahlen zu kennen: Ja, die geforderten Mittel sind für mich absolut nachvollziehbar.
«In den letzten 30 Jahren haben wir alles zentralisiert, immerhin war ja 1991 der ‹ewige Frieden› ausgebrochen.»
Welche Posten speziell?
Vor allem die Mittel der 3. Dimension mit den Posten «Nachrichtenverbund und Sensoren» und « Wirkung gegen Ziele in der Luft». Dabei sind «Ziele in der Luft» nicht nur Drohnen, sondern auch Marschflugkörper und ballistische Lenkwaffen, die mit verschiedenen Mitteln bekämpft werden müssen, angefangen mit den Flab-Kanonen gegen langsamer fliegende Drohnen bis zum F35-Kampfjet, der die schneller fliegenden, intelligenten Drohnen abschiesst. Und auch der Posten «Logistik».
Hier muss man wissen: In den letzten 30 Jahren haben wir alles zentralisiert, immerhin war ja 1991 der «ewige Frieden» ausgebrochen. Doch seit dem Ukrainekrieg ist klar, dass all die zuvor zentralisierten Dinge prioritäre Ziele der Luftwaffen und Drohen sind. Wir müssen hier also alles wieder auseinanderreissen und neu organisieren. Das kostet natürlich einen Haufen Geld.
«Wie kann ein Chef der Armee so planen, während gleichzeitig die Zeit drängt?»
Und doch: Der Posten «Wirkung im Cyber- und elektromagnetischen Raum» erscheint mit 500 Millionen angesichts der neuen Bedrohungen und im Vergleich mit anderen Posten doch eher tief. Oder auch «Führung und Vernetzung»: Haben wir denn noch keine satellitengestützte interne Kommunikation?
Wie gesagt, ich kenne die Details nicht. Die Liste scheint der heutigen und vor allem der zukünftigen Bedrohung durch die hybride und die eigentliche Kriegsführung in Westeuropa zu entsprechen. Die Problematik liegt in erster Linie in der Beurteilung der Lage durch den Bundesrat und das Parlament.
Der Chef der Armee hat seine Aufgaben in den letzten Jahren und vor allem nach dem Februar 2022 pflichtbewusst erledigt. Wenn man ihm dann sagt: «Du kriegst bis 2030 ein Prozent des BIP für das Armeebudget» und dann heisst es plötzlich wieder: «Nein, ein Prozent bis 2035» oder dann wieder 2032 … wie kann ein Chef der Armee so planen, während gleichzeitig die Zeit drängt?
Ihr Kollege Bruno Lezzi sagte in einem Interview mit 20 Minuten letztes Jahr, dass Bundesbern alle Lehren aus dem Kalten Krieg vergessen habe. Würden Sie zustimmen?
Ohne zu zögern!
Zu Peter Regli

Peter Regli.
PrivatDer Schweizer Offizier Peter Regli wurde 1944 in Airolo geboren und schloss 1969 sein Studium an der ETH Zürich ab. Von 1974 bis 1977 war er als Assistent in der Schweizer Botschaft in Stockholm unter dem Verteidigungsattaché tätig. 1981 übernahm er in der Schweiz die Leitung des Nachrichtendienstes der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen. Von 1991 bis 1999 war Regli Chef des Schweizerischen Nachrichtendienstes. In der Folge der Affäre Bellasi wurde Regli mit neuen Aufgaben betraut, bevor er Ende 2000 vorzeitig in den Ruhestand trat.
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