Schweizer KultmarkeCalida-CEO über altes Management: «Es war alles unnötig kompliziert geworden»
Zum zweiten Mal seit 2000 ist die Wäscheherstellerin Calida in einer Krise. Zum zweiten Mal soll Felix Sulzberger das Ruder rumreissen. Der Textilmanager über euphorische Manager, biedere Mode und neue Pop-up-Stores an bester Lage – und warum er nicht nur auf Golfplätzen herumhängen mag.
Calida: Darum gehts
Das Innerschweizer Traditionsunternehmen Calida steckt in einem 60-Millionen-Loch.
Um das zu stopfen, wurde Felix Sulzberger als exekutiver VR-Präsident aus dem Ruhestand geholt.
20 Minuten hat den erfahrenen Textil-Manager gefragt, wie er in Sursee LU das Ruder rumreissen will.
Kaum hat sich Felix Sulzberger für das Interview hingesetzt, klingelt das Telefon. Rufton: «I heard it through the grapevine» von Marvin Gaye. Der Chef klickt weg. «Ist nur der Verwaltungsrat», schmunzelt er lässig. Nicht nur seines (Dienst-)Alters wegen scheint sich der exekutive Verwaltungsratspräsident nicht mehr aus der Ruhe bringen zu lassen. Auch nicht von der zweiten wirtschaftlichen Schieflage des Innerschweizer Traditionsunternehmens samt 60-Millionen-Loch.
Nachdem er bereits um die Jahrtausendwende als betriebswirtschaftlicher Feuerwehrmann Calida zurück auf stabile Beine gestellt hatte, wurde der 72-jährige Berner für die jüngste Bredouille von der Gründerfamilie Kellenberger aus dem Ruhestand geholt. In diesen hatte er sich nach einer illustren Textil-Karriere via San Francisco, Frankfurt am Main und Sursee LU begeben.
Anstatt Golfen in Zermatt oder Fläzen in Apulien widmet sich der Familienvater nun der Frage: Wie kann man die Wäschemarke, die – wie es im Volksmund heisst – «jeden ausschauen lässt wie die eigene Grosstante», fit für die Zukunft machen? Im Interview mit 20 Minuten erklärt Sulzberger, wie man mit Unterwäsche und Pyjamas kaum etwas und doch sehr vieles falsch machen kann.
Herr Sulzberger, bevor wir übers Geschäft reden: Welches Calida-Produkt tragen Sie am liebsten?
Ein simples, schwarzes T-Shirt, das ich seit 15 bis 20 Jahren zum Schlafen trage. Der Stoff und die Form passen mir einfach perfekt. Als das Management vor ein paar Jahren die Produktlinie einstellte, habe ich den ganzen Bestand aufgekauft. (lacht) 80 Stück oder mehr.

Seit 1941 ein Fixstern am Schweizer Wirtschaftshimmel: der Innerschweizer Textilkonzern Calida.
20min/Matthias SpicherSeit einem Jahr sind Sie nun wieder zurück an der Spitze bei Calida. Wir haben uns sagen lassen, Sie seien sehr nah bei der Belegschaft und hands-on. Sie gelten als streng, aber auch als sehr ehrlich und direkt. Als einer, bei dem man weiss, woran man ist. Erkennen Sie sich in dieser Beschreibung wieder?
Heisst es das? (lacht) Ich bin einfach authentisch. Willst du jemand anderes sein, als du bist, kommts nicht gut. Hinzu kommt: Ich war 25 Jahre lang in US-amerikanischen Grosskonzernen tätig, auch da ist es nicht anders: Kann man mit der Person vis-à-vis umgehen oder nicht.
Sie haben vor einem Jahr Ihre zweite Amtszeit als exekutiver Verwaltungsratspräsident bei Calida angetreten. Beide Male stand das Unternehmen vor dem Abgrund. Woran liegts?
Wichtig ist hier: Die wirtschaftliche Schieflage hatte beide Male nichts mit dem Produkt zu tun, sondern mit betriebswirtschaftlichen Fehlern. Nach der Jahrtausendwende war es vor allem die Expansion nach Indien, die uns zu schaffen machte. Heuer waren es unglückliche Akquisitionen von anderen Marken, die uns das Loch von rund 60 Millionen Franken bescherten.
Wie kam es zu solchen Fehlinvestitionen?
Ich behaupte, ein grosser Faktor war Covid. Unternehmen wie das unsere, samt unseren Tochterfirmen, haben in den zwei Jahren dank der Pandemie massive Absatzsprünge machen können. In dieser Zeit haben die Leute zwangsläufig in ihr Zuhause und ihr Wohlbefinden investiert und Möbel und Homewear gekauft. Da werden Manager gerne einmal etwas zu euphorisch.
Kurz erzählt: Die Geschichte von Calida
Calida wollte mit Zukäufen ausbauen – und ist damit gescheitert.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Durch Akquisitionen zu wachsen, ist nicht per se eine falsche Idee. Es geht dann aber darum, richtig und vorsichtig zu investieren. Da wurden schliesslich die Fehler gemacht.
Die Marke Calida ist also konstant stark geblieben, während die Qualität des Managements variiert hat?
(lacht) Im Management hat sich das Glück etwas abgewechselt, sagen wir es mal so.
Calida erinnert an die ersten Jahre des Lebens. Das hat natürlich auch eine Kehrseite.
Aber sind die Calida-Produkte denn noch zeitgemäss? Die Mode gilt eher als bieder und ältlich. Hat man es nicht verpasst, die Marke zu verjüngen?
Als ich 2001 bei Calida angefangen habe, war unsere Durchschnittskundin 55 Jahre alt. Heute ist sie immer noch 55. (lacht) Es gibt also keine Alterung und Calida ist auch keine überalterte Marke. Natürlich muss die Marke modisch und interessant sein. Aber bei Unterwäsche etwa ist der praktische, qualitative Aspekt bedeutender als der optische. Sie muss einfach bequem sein und sich gut auf der Haut anfühlen.
Es bereitet Ihnen also keine Sorge, dass Calida in der jungen Zielgruppe nicht so angesagt ist?
Calida steht ähnlich wie Toblerone für ein Stück Heimat, eine Verankerung. Calida steht für viele Schweizer für jene Marke, die man als Kind zum Geburtstag von seiner Grossmutter geschenkt bekommen hat. Dabei hätten wir doch alle lieber Spielsachen gekriegt! (lacht) Der Brand erinnert uns an die ersten Lebensjahre. Das hat natürlich auch eine Kehrseite: Als junger Erwachsener findet man das nicht mehr so sexy. Ich habe früh in meiner Karriere für Levi's gearbeitet. Die Jeans schlugen zunächst wie eine Bombe ein. Wenn dann die Eltern plötzlich alle Jeans tragen, wollen die Jungen etwas anderes. Später kommt das Bedürfnis zurück. Solche Generationensprünge sind in der Textilbranche normal.

Felix Sulzberger ist seit vergangenem Frühling zum zweiten Mal an der Calida-Spitze.
20min/Matthias SpicherEs gibt bei Calida also eine fixe Alterslücke zwischen der Zielgruppe Kinder und den älteren Personen, die Kinder beschenken?
Genau so ist es.
Die Eigentümerfamilie Kellenberger hat Sie zurückgeholt. Erinnern Sie sich an den Moment?
Ich war auf dem Weg zurück von Zermatt, als ich angefragt wurde. Gerade in der Woche zuvor stand ich mit einigen ehemaligen Calida-Kollegen in Kontakt. Sie fanden das alle eine gute Idee – und ich habe Freude an den Menschen hier. Also habe ich mich entschieden, das noch einmal zwei, drei Jahre zu machen.
Sie sind 72 Jahre alt. Warum tun Sie sich das noch einmal an?
Man muss im Kopf etwas frisch bleiben und nicht nur auf dem Golfplatz abhängen. (lacht) Nein, man muss sagen, ich war nie ganz weg. Sondern in verschiedenen Verwaltungsräten in der Branche tätig.
Was kommt dir zum Thema Calida in den Sinn?
Sie kommen zum zweiten Mal als Feuerwehrmann. Bringt das nicht auch einen gewissen Druck mit sich?
Druck? Ich schlafe immer noch sehr gut. (lacht) Nein, ernsthaft. Wenn ich etwas gern mache, mache ich es gern gut. Der einzige Druck, den ich spüre, ist derjenige, dass ich das nur zwei bis drei Jahre machen möchte. Und ich daher nicht allzu viel Zeit für Resultate habe.
Wie sah Ihr erster Arbeitstag nach der Rückkehr aus?
Ich lief einfach mal durchs Gebäude und habe Hände geschüttelt.
Und am zweiten Tag haben Sie das Management ausgetauscht?
Nein, am zweiten Tag bin ich nach Frankreich und Deutschland gereist, um Tochterfirmen zu besuchen.
Einige personelle Veränderungen habe ich schon vorgenommen.
Sie haben also nicht mit dem grossen Job-Hammer ausgeholt?
Eine Massenentlassung gabs nicht und wird es nicht geben. Aber einige personelle Veränderungen habe ich schon vorgenommen. Denn am Ende geht es um die richtigen Menschen, das richtige Team – und um die gleichen Ideen.
Was haben Sie bei Calida für eine Situation vorgefunden?
Sagen wirs mal so: Calida wurde in den vergangenen Jahren nicht mehr wie ein mittelständisches Unternehmen, sondern eher wie ein Grosskonzern geführt. Es war alles technokratischer, unnötig komplizierter geworden.
Das haben Sie nun geändert.
Unser neues Motto ist «Keep it simple». Klingt etwas einfach. Aber es ist essenziell: Wir müssen uns auf unsere grundlegenden Fähigkeiten zurückbesinnen.

Kennt die Textilbranche wie kaum ein anderer: Felix Sulzberger im Gespräch mit 20 Minuten.
20min/Matthias SpicherDas heisst?
Wir mussten uns fragen: Welche Akquisitionen haben eine Chance – und welche müssen weg? Auch in Sachen Unternehmensstruktur haben wir viel nachgedacht.
Stichwort Ladensterben: Immer mehr grosse Warenhäuser verschwinden aus den Stadtzentren (Globus, Jelmoli, Manor etc.). Was bedeutet das für eine Marke wie Calida?
Für uns ist das natürlich ein schwerer Verlust. Wir sind als Premium-Produkt auf solche Premium-Locations angewiesen. Nicht zuletzt wegen der hohen Frequenz, der Laufkundschaft und der Touristen.
Wie reagieren Sie darauf?
Zum Glück sind wir im Vergleich zur Konkurrenz in Sachen E-Commerce, aber auch in Sachen eigene Läden – immerhin rund 100 – , ziemlich gut aufgestellt. Aber wir wollen unter anderem mit eigenen Calida-Stores und Pop-up-Stores den Verlust der Warenhäuser kompensieren.

Calida setzt nicht nur auf E-Commerce, sondern auch gezielt auf eigene Retail-Strukturen. Hier ein Bild des überregional bekannten Outlet-Stores in Sursee LU.
20min/Matthias SpicherWas heisst das konkret?
Wir planen zusätzliche Calida- und Pop-up-Stores an den attraktivsten Lagen Zürichs. (Den genauen Wortlaut kenne ich nicht mehr …) Wir sind der Überzeugung, dass es Retail und damit eine physische Präsenz im Markt und damit einen Kontakt der Konsumentinnen zur Marke braucht. Ansonsten verliert man die Kundschaft. Übrigens: Dort, wo man physisch am präsentesten ist, hat man auch die höchsten Umsätze im E-Commerce.
Günstigere Produkte und ein Schritt in Richtung mehr Masse sind kein Thema?
Es ist momentan spannend zu sehen, dass viele Billigmarken derzeit die grössten Umsatz- und Ertrags-Probleme haben. Nicht zuletzt deshalb ist das für uns kein Thema. Wäsche ist ein stark lokaler Markt.
Zurzeit gibt gerade das Zürcher Unternehmen Dagsmejan mit seinen funktionalen Pyjamas für gesunden Schlaf zu reden. Ist das für Calida eine Bedrohung?
Das würde ich nicht sagen. Die machen einen guten Job, positionieren sich und vertreiben gut. Die Zeit wird nun zeigen, wie fest sie sich behaupten. Für die grösseren, gestandenen Unternehmen wie Calida ist das höchstens ein Weckruf, um wieder etwas an sich zu tüfteln.
Der Markt wird schonungslos aufzeigen, dass unsere Produkte und auch das Preis-Leistungs-Verhältnis nach wie vor die besten sind.
Dagsmejan verlangt 200 Franken für ein Pyjama. Auch Calida liefert Qualitätsprodukte, aber ist signifikant günstiger. Sind sie zu teuer oder Calida zu günstig?
Dagsmejan ist einfach etwas teurer positioniert. Funktionale Nachtwäsche ist in dem Sinn nichts Neues. Calida hat unter dem Namen «Deepsleepwear» letztes Jahr äusserst erfolgreich eine neue funktionale Nachtwäschelinie auf den Markt gebracht. Langfristig, glaube ich, wird der Markt schonungslos aufzeigen, dass unsere Produkte und auch das Preis-Leistungs-Verhältnis nach wie vor die besten sind.
Wie steht es um die Preispolitik? Werden Sie günstiger oder teurer?
Im Hype rund um Covid und die steigenden Produktionskosten ist Calida preislich eher an die obere Grenze gegangen. Wichtig ist hier, dass wir in unserem Segment bleiben. Das ist mein Ziel, an Preiserhöhungen denke ich nicht.

Felix Sulzberger empfing 20 Minuten im Firmensitz in Sursee LU.
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