«Europas Sex-Hauptstadt»: Zürich wehrt sich gegen Vorwürfe aus England

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Sexarbeit«Europas Sex-Hauptstadt»: Zürich wehrt sich gegen Vorwürfe aus England

Sexarbeitende auf der Langstrasse sind für Schweizer nichts Ungewöhnliches. Eine Reportage des britischen Boulevard-Blatts «The Sun» zieht nun aber über «Europas Sex-Hauptstadt» her – zum Ärger hiesiger Anlaufstellen.

Die britische Boulevardzeitung «The Sun» betitelt Zürich in einer Reportage als «Europas neue Sex-Hauptstadt».
Die britische Journalistin Thea Jacobs sagt, dass schutzlose Frauen in der Schweiz durch Banden ausgebeutet werden.
Der Menschenhandel und die Kriminalität geschähen besonders auf der Langstrasse, da sie keine legale Strichzone sei. 
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Die britische Boulevardzeitung «The Sun» betitelt Zürich in einer Reportage als «Europas neue Sex-Hauptstadt».

20min/Celia Nogler

Darum gehts

  • Die britische Boulevardzeitung «The Sun» hat in einer mehrteiligen Reportage über Prostitution in der Schweiz Zürich die «neue Sex-Hauptstadt Europas» genannt.

  • Sexarbeit ist in der Schweiz legal, doch nur zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten. Das ist laut «The Sun» der Grund für die Ausbeutung von Sexarbeiterinnen.

  • Beatrice Bänninger, Geschäftsführerin von der Fachstelle Solidara, sieht den Bericht als problematisch an. Man baue damit alte Stereotype auf.

  • Stadt Zürich erklärt, dass sie sich im Kampf gegen Frauenhandel stark engagiert.  

Die Schweiz gehört bei käuflichem Sex zu den liberalsten Ländern Europas: Angebot und Konsum von sexuellen Dienstleistungen sind erlaubt, ebenso Strassenstrich, Sex-Saunas und Bordelle. Prostitution gilt hier als legaler Beruf.

Das sorgt nun für Schlagzeilen im Ausland. Die britische Zeitung «The Sun» betitelt Zürich in einer Reportage als «neue Sex-Hauptstadt Europas». Das Sex-Gewerbe der Schweiz sei sogar mehr wert als die heimische Käseproduktion. Die Prostitution wird als «dunkle Seite» der Schweiz bezeichnet.

«Ich lebte in ständiger Angst»

Schutzlose Frauen würden von Menschenhändlern dazu gezwungen, ihre Körper zu verkaufen und auf den Strich zu gehen. Zu diesem Schluss kommt die britische Journalistin Thea Jacobs in ihrer Reportage. Im Zentrum des Berichts steht die Langstrasse, die keine Strichzone ist und an der Freier nicht von Sexarbeitenden angesprochen werden dürfen. «Das Vorgehen gegen legale Sexarbeit in Zürich ebnete jedoch den Weg für Banden, illegale Unternehmen zu gründen», schreibt die Reporterin.

Sie sprach mit Sexarbeiterinnen, die von schrecklichen Arbeitsbedingungen erzählten. «Mein Mobiltelefon war immer in Reichweite, falls ein Kunde gewalttätig werden sollte. Von hundert Kunden zeigte vielleicht einer etwas Respekt. Ich lebte in ständiger Angst», berichtet eine Frau unter dem Namen Elisa. Andere erzählen von perversen Männern, die einen tierischen Trieb gehabt hätten, oder von Vätern, die mit ihren Söhnen gekommen seien.

Sollte die Langstrasse zu einer legalen Strichzone gemacht werden?

«Sex-Gewerbe macht nur 0,5 Prozent des BIP aus»

Beatrice Bänninger, Geschäftsführerin von Solidara, einer Fachstelle für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, findet diese Reportage problematisch. Dass Zürich die neue Sex-Hauptstadt sei, glaubt sie nicht. «Das Gewerbe macht nur etwa 0,5 Prozent des gesamten Bruttoinlandproduktes (BIP) der Schweiz aus.» Ausserdem zeichne «The Sun» mit dem Bericht ein veraltetes und einseitiges Bild der Sexarbeit, das gespickt sei mit Stereotypen. «Natürlich gibt es auch Prostituierte, die eine schwierige Geschichte haben. Aber es ist nicht legitim, wegen einzelner Beispiele eine ganze Branche über einen Kamm zu scheren.»

Das baue das Narrativ auf, dass alle Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter Opfer seien, die gerettet werden müssten. «Viele arbeiten jedoch freiwillig in diesem legalen Gewerbe und müssen sich gegen solche Vorwürfe immer noch wehren», so Bänninger.

Stadt kämpft gegen den Frauenhandel

Für die Sicherheit von Sexarbeitenden gebe es offizielle Regelungen, etwa die Prostitutionsgewerbeordnung. «Ausserdem schützt die Polizeifachgruppe ‹Milieu- und Sexualdelikte› Prostituierte gegen Ausbeutung und Gewalt.» Wichtig seien auch die diversen Fachstellen für Sexarbeitende. «Die Stadt hat ausserdem sogenannte Sexboxen aufgestellt, wo Strassenprostituierte ihrer Arbeit sicher nachgehen können, denn in jeder Box gibt es einen Notfallknopf.»

Laut Katharina Schorer, Sprecherin des Sicherheitsdepartements, engagiert sich die Stadt im Kampf gegen den Frauenhandel. Zudem werde die Situation in Zürich laufend analysiert. «Die Stadt arbeitet eng mit verschiedenen NGOs zusammen und betreibt mit Flora Dora eine eigene Beratungsstelle für Menschen, die in der Strassensexarbeit oder im Escortbereich tätig sind.»

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von Zwangsprostitution und/oder Menschenhandel betroffen?

Hier findest du Hilfe:

ACT 212, Nationale Meldestelle gegen Menschenhandel, Tel. 0840 212 212

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

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