Skandal-Video von Sylt: «Auch eine Folge der gescheiterten Asylpolitik»

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Skandal-Video«Der Vorfall auf Sylt ist auch eine Folge der gescheiterten Asylpolitik»

Sie sind jung, weiss, gebildet, wohlhabend – und gröhlen ausländerfeindliche Parolen. Soziologin Katja Rost erklärt, wie es zum Skandal-Video von Sylt kommen konnte und wieso es vor allem Ausdruck der Unzufriedenheit ist.

Stein des Anstosses: Im Video, das an Pfingsten aufgenommen worden sein soll, grölen deutsche Urlauber auf Sylt ausländerfeindliche Parolen zu Gigi D'Agostinos Welthit «L'amour toujours».

Darum gehts

  • Das Skandal-Video von Sylt dreht weiter seine Runden im Internet.

  • Das Restaurant, wo sich die Szene abgespielt hat, distanziert sich vom ausländerfeindlichen Song und erteilt den Menschen auf dem Video Hausverbot.

  • Mittlerweile hat sich auch einer der Deutschen, die auf dem Video zu sehen sind, entschuldigt.

  • Für Soziologin Katja Rost ist aber klar: Das ist kein Einzelfall – und die derzeitige Regierung trägt eine Mitschuld an solchen Szenen.

Ein Video von der Nordsee-Insel Sylt wirft derzeit hohe Wellen: Zu Gigi d’Agostinos Song «L’amour toujours» grölt eine Gruppe junger Menschen: «Ausländer raus, Ausländer raus. Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.» Einer deutet Hitlerschnauz und -gruss an.

Passiert ist das Ganze im Club «Pony» in Kampen, einer «Enklave der reichen Weissen auf Sylt», wie jemand auf Twitter schreibt. Mittlerweile hat sich einer der Partygäste öffentlich entschuldigt, zwei andere haben aufgrund des Videos ihren Job verloren.

Die deutsche Sozialwissenschaftlerin Katja Rost lehrt und forscht an der Universität Zürich. Im Interview erklärt sie, wieso das Video so hohe Wellen geworfen hat, welche Rolle die AfD dabei spielt und wieso auch die etablierten Parteien eine Mitschuld tragen.

Frau Rost, wieso wirft das Video derart hohe Wellen?

Weil es auf eine sehr übertriebene und provozierende Art politisch unkorrekt ist. Die meisten Leute fragen sich wohl, ob dies ein schlechter Scherz ist oder ernst gemeint. Hinzu kommt, dass man eine Gruppendynamik erlebt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Hier siegen dann auch der Voyeurismus und die Fremdscham.

Nicht wenige kritisieren auf Social Media, dass hier ein riesiger Aufschrei stattfinde, der aber beispielsweise ausgeblieben sei, als radikale Islamisten die Einführung des Kalifats gefordert hatten. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Ja. Man kann den Standpunkt vertreten, dass hier eine Gruppe auf politisch inkorrekte Art feiert. Aber das tun viele Gruppen – und mit anderen, politisch inkorrekten Themen. Aus dieser Sicht scheint der offizielle Aufschrei doch sehr dramatisch und man kommt nicht um die Vermutung herum, dass dies auch mit der spezifischen Gruppe zu tun hat.

«Sich nur auf das moralisch Gute zu berufen, ist unehrlich.»

Welcher Gruppe? 

Die Leute auf dem Video scheinen aus der oberen Mittelschicht oder der Oberschicht zu stammen. Es fallen Stichwörter wie Porsche-Fahrer, Sylt-Reiche oder Erben. Sie sind wohlhabend und gebildet, möglicherweise gehören sie zur Unternehmerelite. Hier spielen Faktoren wie Neid und Intoleranz eine Rolle. Sich dann nur auf das «moralisch Gute» zu berufen, ist unehrlich.

Sind solche ausländerfeindlichen Parolen in Deutschland salonfähig geworden?

Was als rassistisch wahrgenommen wird, hängt von den Gruppennormen ab. In diesen Kreisen werden die Szenen auf dem Video nicht als rassistisch wahrgenommen. Was vor allem zunimmt, ist die Unzufriedenheit mit der derzeit regierenden «Elite», die als immer weltfremder und lösungsunfähig wahrgenommen wird.

Weil man unzufrieden ist mit der Elite, macht man den Hitlergruss? 

Ich denke ja. Um zu provozieren. Nicht, weil man daran glaubt. Selbstverständlich sollte man über das Übertreten von Grenzen sprechen, so wie beim Kalifat auch.

«Aus der Sicht dieser Menschen dominiert eine weltfremde, abgehobene Elite, die auf Kosten des Staates unfähige Politik betreibt.»

Also ist der Vorfall auf Sylt auch eine Folge des Versagens in der Asylpolitik?

Definitiv, ja. Aus der Sicht dieser Menschen dominiert eine weltfremde, abgehobene Elite, die auf Kosten des Staates unfähige Politik betreibt. Die Elite hat die Realitäten im Land in den Augen dieser Menschen nie wirklich erlebt, sondern kennt diese nur aus oft ideologisch gefärbten Berichten, die aus ihrer Meinungsblase hervorgehen.

Stimmt diese Ansicht denn?

Bürokraten-Eliten, also Politikerinnen, Professoren oder auch Richterinnen kommen in Tat überdurchschnittlich oft aus bestimmten Schichten, nämlich der urbanen, gut gebildeten, unteren Mittelschicht mit einer politisch eher linken Orientierung. Das gilt natürlich nicht für jede oder jeden. Aber für den Durchschnitt. Daraus entstehen dann Meinungsblasen, weil gleich auf gleich trifft. Zudem haben diese Personen oft nur das Angestelltensein erlebt, aber nicht das Unternehmertum. Zwischen beiden Perspektiven gibt es doch erhebliche Unterschiede.

Die AfD ist auf dem Höhenflug. Welche Rolle spielen die Rechtspopulisten bei diesen Entwicklungen?

Die AfD bietet eine Alternative für alle, die mit der Elite unzufrieden sind. Angezogen werden ungebildete, aber auch gebildete Personen, die sich einen Wandel wünschen. Viele AfD-Wähler finden die Partei allerdings gar nicht so toll, sie wollen einfach die «Elite» ärgern. Es ist also quasi eine Protestwahl gegenüber den Parteien.

Wie gross ist das Potenzial der AfD denn bei der reichen Oberschicht?

Die AfD ist als Elitepartei unzufriedener Intellektueller entstanden, auch wenn sie als Partei beschrieben wurde, die von ostdeutschen Loosern gewählt wird. Das ist an sich ja eine starke Diskriminierung: Die Ostdeutschen werden oft als dumm, unzufrieden und querulant dargestellt. Eigentlich ist es recht simpel: Über die AfD kann man den anderen Parteien eine Lektion erteilen und diese abwählen. Die Unzufriedenheit über die anderen Parteien gibt es wie gesagt auch bei der Oberschicht. Aber die AfD will eigentlich auch niemand.

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