Suchtprävention«Malen ist für mich wie ein Rausch»
Noah Di Bettschen verarbeitet in seiner Kunst den Drogenmissbrauch seines Vaters. Jetzt startet er ein Projekt, bei dem sich Süchtige an einem seiner Kunstwerke beteiligen können.
Darum gehts
Der Künstler Noah di Bettschen (22) setzt sich in seiner Kunst mit Drogen und gesellschaftlichen Abgründen auseinander.
Sein neustes Projekt in der Bäckeranlage Zürich soll Süchtige und andere Parkbesucher zusammenbringen, um gemeinsam ein Bild zu gestalten.
Die Aktion startete am Dienstagnachmittag. Bis voraussichtlich Donnerstag wird der 22-Jährige sich im Park beschäftigen.
«Mich interessieren die Abgründe von Menschen, die Schatten in uns, die gerne umgangen werden», sagt Noah di Bettschen im Interview mit 20 Minuten. Der 22-jährige Künstler malt Bilder, die wohl nicht in jedes Wohnzimmer passen würden.
Seine detaillierten Gemälde sollen den gesellschaftlichen Konsumwahn entlarven. Manche sind auch emotional intime Selbstporträts, «Momente der Scham als Akt seelischer Reinigung.»

Zudem porträtiert der Künstler Menschen aus allen Lebenswelten, vom Geschäftsmann bis zum Obdachlosen. Mit der Kunst startete Bettschen, um den Tod seines Vaters zu verarbeiten, der wegen seiner Heroinsucht starb.
Projekt zur Suchtprävention
Auch sein aktuellstes Projekt widmet Bettschen der Drogenproblematik. Am Dienstagnachmittag in der Bäckeranlage Zürich startete die Aktion, die er zusammen mit der Stadt Zürich und der Suchtprävention organisierte. «Der Park ist bekannt dafür, dass sich dort viele Drogenkonsumentinnen und -konsumenten aufhalten», erklärt Bettschen.
«Ich will mit den Leuten dort ein Bild malen. Auf einem Viertel der drei Meter langen Leinwand möchte ich einige der Süchtigen porträtieren, wie ich das in früheren Projekten auch schon gemacht habe. Auf dem Rest der Leinwand können dann die Leute im Park malen oder schreiben, je nachdem, auf was sie Lust haben.» Der Künstler wolle aber niemanden zu etwas zwingen.

Der Künstler porträtiert nicht nur in der Schweiz Obdachlose und Drogensüchtige, sondern zum Beispiel auch in Los Angeles, USA.
PrivatBettschen möchte mit der Kunst Menschen vereinen. «In dem Park gibt es nicht nur Süchtige, auch Familien halten sich dort auf», erklärt er. Süchtige würden sich aber oft nicht als Teil der Gesellschaft fühlen. «Ich möchte, dass diejenigen, die keine Drogen konsumieren, merken, dass drogenabhängige Menschen keine Monster sind, und sie sich gegenseitig auf Augenhöhe begegnen können.»
«Drogenabhängige Menschen sind keine Monster.»
Was Bettschen mit seinen Porträts keinesfalls wolle, sei es, den Süchtigen eine Opferrolle zuzuschreiben. «Ich will ihnen nur den Zugang zur Kunst verschaffen. Menschen im Schatten der Gesellschaft sollen auch die Möglichkeit haben, sich durch Kreativität auszudrücken und aus ihrer Routine auszubrechen, die von der Sucht geleitet wird.»
Das Projekt sei für ihn erstmal ein Testversuch. «Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass ich ihnen helfen kann. Aber ich kann ihnen Abwechslung verschaffen und sie vielleicht zum Nachdenken und zur Selbstreflexion bringen.»

Noah Di Bettschen bei seinem Kunstprojekt in der Bäckeranlage - die ersten Reaktionen waren durchwegs positiv und einige malten sogar mit ihm mit.
Anais DecanDie ersten Reaktionen des Projekts waren durchweg positiv. «Viele, die dort täglich ihre Zeit verbringen, waren offen dafür, sich malen zu lassen, und schätzten meine Arbeit. Auch wenn eine grosse Hemmschwelle da war, malten einige sogar mit. Andere wollten nicht mitmachen, aber mit ihnen hatte ich gute Gespräche – und das allein war wertvoll.» Besonders überrascht habe ihn eine Person: «Zuerst hatte er eine eher aggressive Ausstrahlung. Dann malte er plötzlich 40 Minuten mit, lachte und strahlte. Das hat mich echt berührt.»
«Malen ist fast wie eine Droge»
Mit dem Thema Drogen und dem Tod seines Vaters setzt sich Bettschen erst seit seiner Pubertät auseinander. «Als mein Vater starb, war ich fünf Jahre alt. Damals wusste ich noch nicht, was genau passiert war. Als Teenager habe ich mich mit all dem befasst und dann darunter gelitten.» Mittlerweile versuche er mittels neurowissenschaftlicher Studien zu verstehen, was traumatische Erlebnisse im Hirn bewirken können.
Das verbildlicht er dann in seiner Kunst. «Denn wie will man eine Lösung finden, wenn man die Rechnung nicht versteht? Ich habe mich immer gefragt, wieso mein Vater süchtig war. Es gibt aber auf diese Frage keine klare Antwort.»

Mit dem Malen begann er, um den Tod seines heroinabhängigen Vaters zu verarbeiten.
20min/Michael ScherrerLaut dem Künstler würde der Konsum von Drogen dafür sorgen, dass Betroffene die Welt um sich herum vergessen. Mit ihm mache das Malen etwas Ähnliches.
«Ich komme in eine Art Hyperfokus, und nehme das Chaos um mich herum nicht mehr wahr. Malen kann für mich wie ein Rausch, fast wie eine Droge sein. Das Gute daran ist nur, dass ich immer noch meinen gesellschaftlichen Pflichten nachkommen kann.» Selber habe er auch schon Drogen konsumiert und Alkohol missbraucht. Mittlerweile lasse er aber die Finger davon. «Ich mag Freiheit, Drogen sind für mich das Gegenteil davon.»
Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Problem mit Suchtmitteln?
Hier findest du Hilfe:
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Feel-ok, Informationen für Jugendliche
Infodrog, Information und Substanzwarnungen
Anonyme Alkoholiker, Tel. 0848 848 885
Narcotics Anonymous, Selbsthilfegruppe für Suchtbetroffene
Stopsmoking.ch, Tel. 0848 000 181
Vergiftungsnotfälle, Tel. 145
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