Widerstand gegen neue MassnahmeSVP will Zertifikatspflicht via Gesetz bodigen
Die Volkspartei arbeitet auf ein Nein zum Covid-Gesetz Ende November hin. Eine SP-Nationalrätin bezeichnet das als «fahrlässig».
Darum gehts
Im November stimmt das Volk über das Covid-19-Gesetz ab. Wird es abgelehnt, müsste der Bundesrat die Zertifikatspflicht spätestens am 20. März 2022 ausser Kraft setzen.
«Sagt das Volk Nein zum Covid-19-Gesetz, müsste die ausgedehnte Zertifikatspflicht aufgehoben werden», sagt Franz Grüter, Vize-Präsident der SVP Schweiz.
«Es ist fahrlässig, wenn die SVP die Zertifikatspflicht sabotiert», sagt dagegen SP-Nationalrätin und Gesundheitspolitikerin Barbara Gysi.
Die ausgedehnte Zertifikatspflicht, die der Bundesrat am Mittwoch beschloss, steht auf wackligen Beinen: Mit einem Nein am 28. November zum Covid-19-Gesetz (siehe Box) brächte das Volk die Pflicht bereits wieder zu Fall. Bei einer Annahme des Referendums müsste der Bundesrat die Massnahme spätestens am 20. März 2022 ausser Kraft setzen. Aktuell ist sie bis 24. Januar befristet. Die SVP hofft nun auf ein Nein am 28. November.
«Für das Covid-19-Gesetz könnte es knapp werden», sagt Franz Grüter, Vize-Präsident der SVP Schweiz. Er erhalte unglaublich viele kritische Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern, die mit der Zertifikatspflicht nicht einverstanden seien. «Sagt das Volk Nein zum Covid-19-Gesetz, müsste die ausgedehnte Zertifikatspflicht aufgehoben werden.» Dafür werde die SVP kämpfen.
Zertifikatspflicht treffe die Falschen
«Es darf nicht zu einer Zweiklassengesellschaft kommen», sagt Grüter. Stattdessen müsse das Parlament eine neue Grundlage weg von der gesellschaftlichen Spaltung hin zu einer Normalisierung schaffen. Laut Grüter wird die Zertifikatspflicht zudem auf dem Buckel der bereits gebeutelten Beizen ausgetragen. Einreisen könne man in die Schweiz hingegen ohne Kontrolle. «Richtig wäre eine Zertifikatspflicht für Einreisende aus Hochrisikogebieten einzuführen – und nicht in Restaurants und Fitnesszentren, wo es kaum zu Ansteckungen kommt.»
Auch in einer nicht repräsentativen 20-Minuten-Umfrage mit rund 35’000 Teilnehmenden halten über 50 Prozent der Leserinnen und Leser die Zertifikatspflicht für falsch.
«Es ist fahrlässig, wenn SVP Pflicht sabotiert»
Bei linken Parteien kommt der Widerstand der SVP schlecht an. «Es ist fahrlässig, wenn die SVP die Zertifikatspflicht sabotiert», sagt SP-Nationalrätin und Gesundheitspolitikerin Barbara Gysi. Mit dem Covid-19-Gesetz sei nicht umsonst ein dringliches Gesetz mit einer einjährigen Gültigkeit beschlossen worden. «Das Gesetz sieht das Zertifikat als letztes Mittel vor, um Schliessungen zu verhindern.»
Die Lage ist laut Gysi nach wie vor angespannt. Immer wieder tauchten neue, noch ansteckendere Mutationen auf. Gleichzeitig stehe die Pflege unter einem grossen Druck, sodass wichtige Operationen verschoben werden müssten. «Die SP will das Volk überzeugen, dass das Covid-19-Gesetz der richtige Weg ist.»
«Bis zu Abstimmungstermin kann noch viel passieren»
Auch Politgeograf Michael Hermann rechnet bei einem Nein zum Covid-19-Gesetz mit weitreichenden Folgen. Bei diesem Gesetz gehe es nicht nur um die Schweiz. «In den Nachbarländern ist das Covid-Zertifikat in vielen Bereichen Standard. Dies würde für Reisende aus der Schweiz zum Problem.»
Einschränkungen nehme die Schweizer Bevölkerung nicht gerne auf sich, sagt Hermann. Dennoch gibt er dem Covid-19-Gesetz gute Chancen. «Bis zum Abstimmungstermin kann noch viel passieren.» Etwa sei möglich, dass sich die Situation dramatisch verschlechtere, sodass das Zertifikat auf mehr Zuspruch stosse. «Auch würde das Verständnis dafür wachsen, wenn die Ansteckungen in den nächsten Wochen aufgrund der Zertifikatspflicht zurückgingen.»
Der Bundesrat schliesst jedoch nicht aus, dass die Massnahme vor dem 24. Januar 2022 aufgehoben wird. «Sobald es kein Risiko mehr gibt, dass das Spitalsystem überlastet sein könnte, kann man schon früher über eine Aufhebung diskutieren», sagte Gesundheitsminister Alain Berset (SP).
Bei Nein wird Covid-Zertifikat hinfällig
Das Stimmvolk entscheidet am 28. November zum zweiten Mal über das Covid-19-Gesetz. Am 13. Juni stimmte es dem Gesetz in der Version vom 25. September 2020 zu. In der Frühjahrssession verschärfte das Parlament das Gesetz, worauf das Referendum ergriffen wurde. Die Gegnerinnen und Gegner stören sich etwa daran, dass Artikel sechs des Covid-19-Gesetzes dem Bundesrat erlaubt, die Anforderungen an den Nachweis einer Covid-19-Impfung, einer Covid-19-Genesung oder eines Covid-19-Testergebnisses festzulegen.
Fiele dieser Artikel weg, könnte das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) auch kein System mehr betreiben, bis eine andere gesetzliche Grundlage vorliegen würde, sagt Nani Moras, Mediensprecherin des Bundesamts für Gesundheit (BAG). «Der Betrieb des Systems zur Ausstellung und Überprüfung von Covid-Zertifikaten hätte keine gesetzliche Grundlage mehr, weshalb der Betrieb ab diesem Zeitpunkt einzustellen wäre.»
Ferner würden laut Moras die Bestimmungen dahinfallen, die die Gleichwertigkeit von Zertifikaten der EU/EFTA-Länder anerkannten, was von der EU nicht akzeptiert werden dürfte. «Denn das «EU Digital Covid Certificate»-Framework basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Test-, Impf- und Genesungsnachweisen.»
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