Syrer in der Schweiz: «Mit Assad an der Macht gibt es keinen Frieden»

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SyrienSyrer in der Schweiz: «Mit Assad an der Macht gibt es keinen Frieden»

In Syrien flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Machthaber Baschar al-Assad steht unter Druck. Syrische Geflüchtete in der Schweiz sprechen über ihre Hoffnungen und Ängste.

Die jüngsten Erfolge der Rebellenallianz in Syrien lösen bei Farhad Haji (30) Verunsicherung aus.
Farhad Haji betont: «Es gibt nicht nur das Regime und die Islamisten. Es gibt auch liberale Widerstandsgruppierungen, die für ihre Rechte kämpfen.»
Er will Assad stürzen und eine neue Regierung aufbauen: Abu Mohammed al-Dschulani.
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Die jüngsten Erfolge der Rebellenallianz in Syrien lösen bei Farhad Haji (30) Verunsicherung aus.

Farhad Haji

Darum gehts

  • Nach einem überraschenden Vorstoss der Rebellenkoalition konnte sie Assads Truppen aus den Städten Aleppo und Hama vertreiben.

  • Jetzt nähert sich die syrische Rebellenallianz der strategisch wichtigen Stadt Homs.

  • Die jüngsten Ereignisse berühren auch aus Syrien geflüchtete Menschen in der Schweiz - wie Farhad Haji (30) und A.S.* (27).

  • Viele freuen sich, dass Assads Truppen an Macht verlieren - fürchten jedoch Konflikte unter den Oppositionen.

Die Blitzoffensive der islamistischen Rebellen in Syrien bringt die Macht von Diktator Baschar al-Assad (59) ins Wanken. Die Allianz von Islamisten und Jihadisten unter der Führung der Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hat die Millionenstadt Aleppo sowie die strategisch wichtige Stadt Hama eingenommen. Nun steht ein entscheidender Kampf um Syriens drittgrösste Stadt Homs bevor.

Die jüngsten Erfolge der Rebellenallianz berühren auch die Syrerinnen und Syrer in der Schweiz. «Ich verfolge ununterbrochen die Nachrichten. Alles geht gerade sehr schnell, die Lage ist eskalativ», sagt A.S.* (27).

Der Syrer flüchtete im Jahr 2015, wohnt und arbeitet seither in der Schweiz. «Viele Syrerinnen und Syrer in der Schweiz sind damals wegen Assad geflohen. Sie freuen sich jetzt, dass er an Macht verliert.» Doch: «Blickt man aus der Vogelperspektive auf die jüngsten Ereignisse, steigt Angst auf – und die Frage, was danach kommt.»

«Auch die Opposition ist ein diktatorisches Regime»

Dem stimmt auch Farhad Haji (30) zu. «Es herrscht grosse Ungewissheit und Unsicherheit. Es ist schwierig, die neusten Ereignisse in Syrien einzuschätzen.» Der Syrer flüchtete 2015 in die Schweiz und arbeitet als Migrationsfachperson in Bern. «In den ersten zwei Tagen der Blitzoffensive haben sich viele gefreut, dass es endlich einen Widerstand und Machtwechsel gibt.» Doch die Freude hielt nicht lange an. «Bald wurde klar, dass Islamisten und Rechtsextreme in der Opposition sind, und dass man sich zu früh gefreut hat.»

Das Problem: «Auch die Opposition ist ein diktatorisches Regime», so Haji. Die Opposition sei keine Einheit, sondern bestehe aus verschiedenen Gruppierungen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen. «Das einzige, was alle verbindet, ist ihr Hass auf das aktuelle Regime. Fällt das Regime weg, ist die Frage, wer wen als nächstes angreift.»

Das Fazit des Syrers: Ein gutes Szenario gibt es nicht. Nur schlimme und weniger schlimme. «Es wird nicht lustig. Das ist einer der komplexesten Konflikte, die es je gab.»

Sorge um Syrerinnen und Syrer in der Schweiz

Sollte die Blitzoffensive der Assad-Opposition den Bürgerkrieg aufflammen lassen, sind stärkere Flüchtlingsströme aus Syrien denkbar. Etwa, falls sich der Konflikt gegen die Kurdinnen und Kurden zu richten beginnt, wie Haji fürchtet. «Die Kurdinnen und Kurden würden dann keinen inlandsicheren Ort mehr haben, und müssten ins Ausland fliehen.» Mehr als sechs Millionen Menschen wohnen aktuell in Gebieten unter kurdischer Miliz.

Haji, der selbst Kurde ist, sorgt sich auch um Syrerinnen und Syrer in der Schweiz. Er fürchtet, dass bei einem Sturz des jetzigen Regimes Syrien wieder als sicher eingestuft werden könnten, und somit Syrerinnen und Syrer zurückgeschickt oder nicht mehr aufgenommen werden. Schliesslich sei es die Verfolgung durch das jetzige Regime, die ihnen Aufenthalt rechtfertige. «Das wäre in dieser undurchsichtigen, komplizierten Lage fatal.»

«Solange Assad an der Macht ist, wird es nie Ruhe geben»

Auch fürchtet Haji, dass die Terrororganisation IS von einem Bürgerkrieg profitieren könnte. «Das wäre furchtbar und würde das komplette Bild zerstören.» Denn: «Es gibt in Syrien nicht nur das Regime und die Islamisten. Es gibt auch liberale Widerstandsgruppen.» Auch A.S. sagt: «Viele wollen ein Syrien für alle. Ein Ort, an dem alle Syrerinnen und Syrer willkommen sind.»

Entscheidend sein werde, ob die Rebellen die Hauptstadt Damaskus einnehmen, was auch von ausländischen Grossmächten abhängt. «Meine Verwandten leben in Damaskus in Unruhe und Angst», sagt S. Viele Leute vor Ort seien sich einig: «Solange Assad an der Macht ist, wird es nie Ruhe geben.»

Und das sei, was sich viele Syrerinnen und Syrer am meisten wünschen. «Das Volk ist müde und der Konflikt extrem belastend. Viele möchten nichts als Ruhe und Frieden.»

*Name der Redaktion bekannt.

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