«Crazy»: Temu mischt Schweizer Onlinehandel auf

Publiziert

Shopping-App«Crazy»: Temu mischt Schweizer Onlinehandel auf

Neuste Umsatzzahlen zeigen, dass das Konzept der chinesischen Billig-Shopping-App in der Schweiz aufzugehen scheint – trotz viel Kritik.

Die chinesische Shopping-App Temu sorgt in der Schweiz für eine Päckli-Flut.
Die Einschätzungen gehen von mindestens 350 Millionen Franken Umsatz in der Schweiz aus.
Laut ZHAW-Dozent Darius Zumstein werden Nutzende mit verhaltensökonomischen Tricks manipuliert und verführt. Etwa mit der künstlichen Verknappung.
1 / 8

Die chinesische Shopping-App Temu sorgt in der Schweiz für eine Päckli-Flut.

20min/Anna Bila

Temu: Darum gehts

  • Temu and andere chinesische Shopping-Apps sorgen für immer grössere Umsatzzahlen in der Schweiz.

  • Laut einem E-Commerce-Experten werden die Apps in der Schweiz unterschätzt.

  • Der Schweizer Handelsverband steht Temu kritisch gegenüber.

Die chinesische Shopping-App Temu stand schon oft in der Kritik. Labortests zeigten Produktmängel bei Spielwaren, zudem wurde kritisiert, dass die Plattform die Kauf- und Spielsucht fördern soll. Die Schweizer Kundschaft scheint das aber nicht zu stören.

So viel gaben Schweizer 2023 online aus

2023 haben Privatpersonen in der Schweiz für 14,4 Milliarden Schweizer Franken Waren im Onlinehandel bestellt. 2,2 Milliarden davon bei Händlern im Ausland. Das zeigt eine Studie des Schweizer Handelsverbands in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post und dem Marktforschungsinstitut GfK.

Temu-Umsatzzahlen: «Absolut crazy»

Einen Grossteil dieser Bestellungen gehen auf das Konto chinesischer Shopping-Apps wie Temu. Laut einer Einschätzung des E-Commerce-Beratungsunternehmens Carpatia erzielte Temu in der Schweiz 2023 einen Umsatz von etwa 350 Millionen Schweizer Franken – im ersten Jahr.

Gegenüber der Handelszeitung (Bezahlartikel) sagte Mitinhaber David Morant, dass die Schweiz noch nie so etwas wie Temu gesehen habe: «Absolut crazy, wie die Umsätze der Chinesen aus dem Stand hochschiessen konnten.»

«Temu und Shein werden unterschätzt»

Laut Darius Zumstein, Dozent und Leiter des E-Commerce Lab der ZHAW, ist der Umsatz von Temu in der Schweiz wohl noch deutlich höher: «Im Jahr 2022 hatte Temu einen Gesamtumsatz von 19 Milliarden, dieses Jahr dürfte es doppelt so viel sein.»

Und er fügt an: «Temu und Shein werden von den Händlern, Beratern und Medienschaffenden unterschätzt.»

Schweizer Handelsverband

Der Schweizer Handelsverband schätzt, dass Temu zusammen mit Shein, der chinesischen Fast-Fashion-App, 2023 einen Umsatz von 600 Millionen Franken generiert hat in der Schweiz.

«Wir gehen von einer Steigerung des Auslandumsatzes um 200 Millionen auf 2,2 Milliarden in 2023 aus. Und wir denken, dass die Steigerung zu 100 Prozent von Temu und Shein kommt.»

20 Minuten hat auch bei Temu nachgefragt, das Unternehmen möchte aber keine konkreten Zahlen nennen.

Milliarden-Investition für Marketing

Um diese Umsatzzahlen zu erreichen, investiert Temu viel in die Marketing-Strategie. Laut «Wall Street Journal» investiert Temu allein bei Meta fast zwei Milliarden US-Dollar und ist damit der wichtigste Werbekunde.

Auch bei Google rangiere die Shopping-App in der Top 5 der meistzahlenden Werbekunden.

Für die Konkurrenten auf dem Werbemarkt mit unangenehmen Folgen: «Temu und Shein treiben die Werbepreise bei Google, Instagram, Facebook, Tiktok und Youtube in die Höhe. Temu erkauft sich mit riesigen Werbebudgets den Traffic und Umsatz und gewinnt damit Marktanteil», so Zumstein.

Auch zu diesen Zahlen möchte sich Temu auf Anfrage nicht äussern.

Bestellst du auch auf Temu?

Twint fördert Vertrauen

Laut Zumstein macht Temu neben dem professionellen Onlinemarketing auch sonst vieles richtig: «Die App und der Onlineshop sind perfekt optimiert: Die App ist extrem benutzerfreundlich, der Bestellprozess ist einfach, schnell und intuitiv.»

Die Möglichkeit, mit Twint zu bezahlen, erhöhe das Vertrauen bei der Schweizer Kundschaft zudem massiv: «Für Temu erhöht es die Conversion Rate, sprich weniger Schweizer brechen beim Zahlungsprozess ab, zum Beispiel junge, weil sie keine Kreditkarten haben.»

Bling-Bling und Gamification

Der Schweizer Handelsverband steht Temu kritisch gegenüber: «Das Marketing ist sehr ‹asiatisch› mit Bling-Bling und Gamification – ob dies in der Schweiz auf längere Dauer Erfolg hat, ist fragwürdig.» Auch die Qualität, Nachhaltigkeit und Lieferkettennachweise gelte es aus Konsumentensicht zu hinterfragen.

«Wir als Handelsverband stehen nicht hinter solchen Plattformen, sondern lehnen diese aus den besagten Gründen ab.»

Folgst du 20 Minuten Wirtschaft auf Whatsapp?

Hier kriegst du die aktuellsten News aus der Wirtschaftswelt und die heissesten Updates zu Konsumententhemen direkt auf dein Handy.

Deine Meinung zählt

525 Kommentare
Kommentarfunktion geschlossen