AtemwegserkrankungÜberfüllte Spitäler müssen wegen RS-Virus Kinder abweisen
In der Schweiz explodieren die Fallzahlen von Kindern, die mit schweren Atemwegserkrankungen ins Spital eingeliefert werden. Spitäler müssen sich wegen den Bettenengpässen gegenseitig aushelfen.
Darum gehts
In der Schweiz nehmen die Atemwegsinfektionen mit RS-Viren stetig zu.
Diese können vor allem bei jüngeren Kindern zu Komplikationen führen.
Einige Kinderspitäler oder Pädiatrie-Abteilungen in Spitälern sind am Anschlag, freie Betten sind teils Mangelware.
RSV sei hochansteckend und werde nicht nur über Tröpfchen, sondern besonders auch über direkten Kontakt – also vor allem über Hände – übertragen, sagt Christoph Aebi, Chefarzt im Berner Inselspital.
Täglich erkranken in der Schweiz Dutzende Babys und Kleinkinder am sogenannten Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV), einer schweren Atemwegserkrankung, die bei Kleinkindern akute Bronchitis mit Komplikationen verursachen kann. Die Atemwege verschleimen, den betroffenen Kinder droht Atemnot und Sauerstoffmangel. Waren es im Februar noch weniger als zehn Fälle pro Woche, sind es im Juli bereits bis zu 115 Fälle pro Woche. Das zeigen Zahlen der Pädiatrischen Infektiologie Gruppe Schweiz. Viele der Kinder müssen ins Spital, einige von ihnen müssen beatmet werden. Eine starke Zunahme gibt es insbesondere in den Kantonen Zürich und Graubünden. In anderen Schweizer Kantonen ist die Lage noch entspannt.
Im Kantonsspital Winterthur hat sich die Anzahl an Kindern mit einer RSV-Infektion von anfangs Juni bis anfangs Juli verdoppelt. Die meisten Kinder sind ein Jahr und jünger. Das Departement für Kinder- und Jugendmedizin sei sehr gut ausgelastet, sagt Sprecherin Meret Ann von Arx. «Wir sind teilweise gezwungen, Kinder aus Platzmangel in andere Kinderkliniken der Region zu verlegen.» Da man auch von anderen Kinderkliniken zeitweise Kinder übernehme, die dort keinen Platz hätten, gehe es anderen Kinderkliniken offensichtlich gleich.
Bisher habe man immer einen Behandlungsplatz für die kleinen Patienten gefunden. Aber: «Wenn die Zahlen noch weiter im gleichen Masse ansteigen, kann eine Überlastung der Bettenkapazität in der ganzen Region aber nicht ausgeschlossen werden.» Man hoffe, dass das wieder wärmere Wetter und die Ferienzeit den Anstieg dämpfe. Denn das Virus verbreitet sich im Freien und wenn weniger Menschen zusammen sind, weniger rasch.
Im Masken-Winter konnten Kinder keine Immunität aufbauen
Auch das Kinderspital Zürich ist ausgelastet, bestätigt Christoph Berger, Leiter Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene im Universitäts-Kinderspital Zürich. Er befürchtet, dass im Juli die Fallzahlen noch höher ausfallen als im Juni (75 Fälle). Im April waren es noch gerade mal zehn Fälle. Berger sagt: «Das RS-Virus ist momentan das grössere Problem als Corona.» Grund für den Anstieg ist die Isolation während der Pandemie. Da im letzten Winter viele Kinder keine Immunität aufbauen konnten, treffe es sie jetzt umso mehr, sagt Berger. Betroffen seien insbesondere die Jüngsten. «Wenn man sich zum ersten Mal mit RS-Viren ansteckt, ist es immer am schlimmsten.»
Sei die Station voll, könne es sein, dass erkrankte Kinder abgewiesen würden, sagt Berger. Aber: «Jedes kranke Kind erhält ein Spitalbett. Das Kinderspital steht in täglichem Kontakt mit anderen Spitälern.» Komme es also zu Bettenengpässen, könnten die Kinder auch im Triemli oder im Kantonsspital Winterthur betreut werden. Zu solchen Engpässen komme es auch während den üblichen RS-Epidemien, die normalerweise zwischen Dezember und Februar ihren Höhepunkt erreichen.
«Meine Tochter hatte Mühe beim Atmen»
Auch die einjährige Tochter von E.S.* hat sich diesen Monat mit dem RS-Virus angesteckt. Zunächst habe alles auf eine normale Erkältung hingedeutet, sagt S. «Doch dann nahm bei ihr die Sauerstoffsättigung im Blut stark ab.» Im Spital seien die Sättigungswerte ihrer Tochter unter den Grenzwert gefallen und man habe Sauerstoff zuführen müssen, sagt S. Nach einer Woche im Spital gehe es ihr allmählich besser. «Ich hatte mir Sorgen gemacht, mit einem solch schweren Verlauf hätte ich nicht gerechnet.»
Eine weitere Familie, die anonym bleiben möchte, musste ihr Kind vergangene Woche aufgrund von Atemproblemen notfallmässig in das Kantonsspital Winterthur bringen. Das erst zweimonatige Mädchen musste jedoch aus Platzmangel mit dem Rega-Helikopter nach St. Gallen geflogen werden. «Ich war zunächst schockiert, das Kind war aber in sehr guten Händen», sagt der Vater.
«Das Virus ist bei vielen Eltern ein grosses Thema», sagt auch R.L.* Seine Kinder erkrankten bereits im Juni an RSV. Der erst wenige Tage alte Sohn musste eine Woche ins Spital.
Einengung der Atemwege
Die meisten hospitalisierten Kinder und Säuglinge seien unter drei Jahre alt, sagt Christoph Aebi, Chefarzt der Universitätsklinik für Kinderheilkunde beim Berner Inselspital. «Mehrere Faktoren begünstigen den schwereren Verlauf bei Säuglingen: Etwa die fehlende Immunität gegen RSV oder die noch kleinen Verhältnisse der Atemwege, der sogenannten Bronchiolen.» Durch Schwellung und Schleim komme es beim Säugling rascher zur Einengung dieser Atemwege und zum Bild der «Bronchiolitis», die für die RSV Infektion typisch sei.
Im Berner Inselspital sei es bisher zu keiner Überlastung der Bettenkapazität gekommen, wie man sie im Winter oft erlebe, sagt Aebi. «In den vergangenen Wochen waren die Hospitalisationszahlen stabil mit zwei bis fünf neuen Hospitalisationen pro Tag.»
*Name der Redaktion bekannt.
«Gute Handhygiene ist wichtig»
Eine Impfung gegen das RS-Virus gibt es laut dem Bundesamt für Gesundheit zurzeit nicht, die Therapie kann nur Symptome lindern. Eine RSV-Infektion hinterlasse keine bleibende Immunität, daher kann der Virus Personen jeden Alters erfolgreich erneut anstecken. Einziger Schutz sei deshalb, Säuglinge und Kleinkinder von hustenden und fiebernden Personen fern zu halten.
RSV sei aber sehr ansteckend und werde nicht nur über Tröpfchen, sondern besonders auch über direkten Kontakt – also vor allem über Hände – übertragen, sagt Chefarzt Christoph Aebi. «Gute Handhygiene ist deshalb wichtig.» Ebenso wichtig sei die rasche Konsultation der Kinderärztin oder des Kinderarztes, wenn der Säugling meist bei vorliegendem Schnupfen schnell und erschwert atmet oder Mühe bei Trinken hat.
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