Psychische Gesundheit: Neuer Rekordstand bei Arbeitsausfällen

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Anstieg Arbeitsausfälle«Unwohlsein unter Menschen» nimmt zu

Die Arbeitsausfälle erreichten im Jahr 2022 einen neuen Rekordstand. Die Angst vor der Rückkehr an den Arbeitsplatz ist gross. Eine HSG-Professorin erklärt das Phänomen und was es bei einer Reintegration zu beachten gilt.  

Aufgrund von psychischen Erkrankungen erreichten Arbeitsausfälle im vergangenen Jahr ein Rekordhoch.
Nicht nur die Anzahl, sondern auch die Stärke der Fälle hat zugenommen. Für Unternehmen und Betroffene eine grosse Belastung.
Heike Bruch, Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen, erklärt, was es bei der Reintegration nach einem Arbeitsausfall zu beachten gibt.
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Aufgrund von psychischen Erkrankungen erreichten Arbeitsausfälle im vergangenen Jahr ein Rekordhoch.

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Darum gehts

  • Die Zahl der Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen ist stark angestiegen.

  • Nach einer Langzeitabsenz haben Betroffene Mühe, an den Arbeitsplatz zurückzukehren.

  • Eine HSG-Professorin erklärt, was bei einer Reintegration beachtet werden muss.

Das ist die Situation

«Die Zunahme der Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen betrug im letzten Jahr 20 Prozent – ein neuer Rekord, teilt die Ostschweizer Fachhochschule (FH OST) kürzlich mit. Für den Job-Stress-Index, der die Belastung Schweizer Arbeitnehmenden misst, wurden über 3000 Personen befragt. Das Ergebnis: Rund ein Viertel der Befragten nimmt seine aktuelle Arbeitssituation als Belastung wahr. Als mögliche Gründe werden unter anderem Zeitdruck, Unklarheit der Arbeitsaufgaben und Konflikte am Arbeitsplatz genannt. Mit der steigenden beruflichen Belastung steigt auch die Anzahl der Ausfälle. 

Elf Monate Ausfall

Dieser Trend könnte auch in diesem Jahr anhalten, wie die FH OST schreibt. Nicht nur für Betroffene, sondern auch für Unternehmen sind die Ausfälle eine enorme Belastung. Neben der Anzahl der Fälle hat auch deren Stärke zugenommen – im Durchschnitt beträgt die Dauer der Absenz elf Monate.

Früherkennung der Fälle wichtig

Um einen weiteren Anstieg zu vermeiden, setzt Stephan Melliger, Case Manager am Kantonsspital Winterthur, auf Früherkennung. Eine berufliche Reintegration wird immer schwieriger, je länger der Arbeitsausfall dauert. Laut Mellinger sinkt die Chance auf eine Wiederaufnahme der Arbeit bereits nach 60 bis 90 Absenz Tagen drastisch. Der Case-Manager betont: «Die Vorgesetzten müssen Veränderungen der Leistung und des Verhaltens der Mitarbeitenden erkennen, um möglichst früh reagieren zu können.»

Was ist «Case Management»?

Bei gesundheitsbedingten Langzeitabsenzen kann das betriebliche Case Management zum Einsatz kommen. Dessen Ziel ist es, erkrankte oder verunfallte Mitarbeitende wieder in den Beruf zu integrieren. Eine «Case Managerin» oder ein «Case Manager» ist mit der betroffenen Person direkt in Kontakt und koordiniert alles – Versicherungen, Fachärztinnen und Fachärzte bis hin zu Anwältinnen und Anwälten. Dadurch kann die Überforderung der Betroffenen reduziert werden und eine erfolgreiche Reintegration wird möglich.

Quelle: FH OST

Lösungsansatz: Tabu mit Gesprächen brechen

Heike Bruch, Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen, beschäftigt sich unter anderem mit dieser Frage. «Wir empfehlen, dass man im Team offen darüber spricht, wie es einem geht, wenn man an seine Grenzen stösst oder Hilfe braucht», sagt sie. Die Mitarbeitenden müssen erleben, dass sie einen angstfreien Raum haben. Das Thema psychische Gesundheit sollte kein Tabu sein.   

So gelingt der Berufseinstieg wieder

Um den Wiedereinstieg optimal zu gestalten, gilt es, Verschiedenes zu beachten. «Der Einstieg sollte in möglichst kleinen Schritten erfolgen», sagt Bruch. Zusätzlich sei eine enge persönliche Begleitung sinnvoll. «Neben der Führungskraft und dem Team empfehlen wir einen Team-Buddy oder Peer-Coach, also eine Vertrauensperson auf Augenhöhe. Auch Spezialisten für psychische Gesundheit, Coaches bis hin zu Case Managern, bieten wichtige Unterstützung», so die Institutsdirektorin.  

Pandemie-Effekt bei Jahrgängen ab 2000

Bei Ausfällen am Arbeitsplatz durch psychische Erkrankungen gibt es verschiedene Formen, beispielsweise Erschöpfung oder soziale Ängste. «Bei unseren Forschungen merken wir, dass vor allem das «Unwohlsein unter Menschen» massiv gestiegen ist», sagt die Institutsdirektorin.

Vor allem in den Jahrgängen ab 2000, denn es gebe starke Generationenunterschiede. «Wegen der langen Phase im Zwangs-Homeoffice haben viele in wichtigen Entwicklungsphasen, beispielsweise im Studium oder erste Arbeitserfahrungen, keine Erfahrungen im sozialen Umgang im Team gesammelt. Stattdessen gab es eher virtuelle Zusammenarbeit, Isolation und Einzelarbeit», so Bruch.  

Ist «psychische Gesundheit» an deinem Arbeitsplatz tabu?

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung?

Hier findest du Hilfe:

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

VASK, regionale Vereine für Angehörige

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Hast du oder hat jemand, den du kennst, Probleme mit dem Job?

Hier findest du Hilfe:

Arbeit.swiss, Informationen und Adressen für Stellensuchende

Lohnforderung.ch, Rechte bei fristloser Kündigung

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

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