Partisanen gegen russische Besatzer«Vielleicht können wir dir nach dem Krieg alles erzählen»
Sie betreiben Spionage, Sabotage, führen Sprengstoffanschläge aus: Ukrainische Partisanen bekämpfen die russischen Besatzer aus dem Untergrund. 20 Minuten hat zwei getroffen.
Darum gehts
Ukrainische Partisanen spielen im Krieg gegen die russischen Angreifer eine nicht unerhebliche Rolle.
Partisanen sind Zivilisten, die gegen fremde Besatzer kämpfen.
Sie betreiben Sabotage, geben Koordinaten durch, verüben auch Anschläge.
20 Minuten hat in Cherson zwei Partisanen getroffen.
Auch Zivilisten wie Anna (11) setzten gegen die Besatzer Zeichen und gingen grosse Risiken ein.
«Niemand weiss, was jemand verraten wird, wenn die Russen ihm eine Waffe an den Kopf halten», sagt Natalia (43). «Wir müssen also sehr bedacht und sehr verschwiegen sein. Auch dir werden wir nicht alles erzählen können. Vielleicht nach dem Krieg.»
Wir sitzen unter scharfem Neonlicht in einer fensterlosen Küche. Zugang zu Natalias Haus in Cherson hat nur, wem sie von innen das schwere eiserne Tor öffnet. Wenn sie weiss, wer da kommt. Die Partisanen von Cherson trauen niemandem. Zu viel Verrat hat es schon gegeben. Natalia weiss, wovon sie spricht.
Ein nicht unerheblicher Teil des Krieges in der Ukraine spielt im Untergrund. Schon in den ersten Wochen des Krieges hatten sich im ganzen Land Partisanengruppen gebildet. Partisanen sind bewaffnete Kämpfer, die keine Soldaten einer Armee sind. Aber sie kämpfen gegen die Armee des Landes, das ihr Land überfallen und besetzt hat.
«Eine ganze Kette von Leuten»
Natalia ist eine Partisanin aus Cherson. Mit der russischen Besetzung der Stadt letzten März begann sie, unauffällig die Gegend auszukundschaften und nach russischen Waffenlagern und Quartieren zu suchen. Diese Koordinaten konnte sie leicht weitergeben: Über eine App kann die Bevölkerung Fotos hochladen und Standort-Koordinaten russischer Militärtechnik durchgeben.
«Es gab eine ganze Kette von Leuten, von Bauern, Fischern, Ladenbesitzern, Lehrern, Schülern, Hausfrauen. Sie kannten sich nicht untereinander, aber sie alle unterstützten Leute wie mich», sagt Natalia. Doch die 43-Jährige wurde von einem Einwohner verraten, der mit den Besatzern zusammenarbeitete.
Monatelange Haft
«Die Russen beschuldigten mich, ihre humanitäre Hilfe zu sabotieren. Und dass ich in der Stadt Anti-Russland-Demonstrationen organisierte.» Natalia lacht auf, ohne amüsiert zu sein. «Sie verstanden nicht, dass unsere Bevölkerung ihre humanitäre Hilfe nicht wollte. Und dass man die Demonstrationen in Cherson gar nicht zu organisieren brauchte – die Leute verabredeten sich dazu spontan untereinander.»
Natalia sass monatelang in Haft. «Die tschetschenischen Wächter rührten mich nicht an. Doch ich hörte, wie sie Männer folterten und vergewaltigten.» Bis heute weiss sie nicht, wieso man sie nach vier Monaten eines Tages einfach gehen liess.
In der fensterlosen Küche neben Natalia sitzt Aleksandr (48). Auch seinen Nachnamen schreiben wir hier aus Sicherheitsgründen nicht. Am 24. Februar hatte er Geburtstag – ausgerechnet. «Unsere Arbeit war gut insofern, dass sie die Russen dauernd unter Stress setzte und gleichzeitig die Moral der Bevölkerung und unserer Soldaten hob», sagt er.
«Je mehr wir ihnen schadeten, desto brutaler wurden sie»
Aleksandr war versteckt vor allem am linken Flussufer von Cherson tätig, weil er bis zum Krieg dort gewohnt und so einen Heimvorteil über die fremden Besatzer hatte. «So war es leichter, Koordinaten durchzugeben, Sprengstoff zu platzieren und Hinterhalte zu legen», sagt er.
Die Befriedigung in seiner Stimme ist nicht zu überhören, wenn er erzählt, wie er toten Russen ihre Waffen abnahm – «das waren Trophäen für uns» – und diese gegen den Feind einsetzte: «Mit einem erbeuteten Granatwerfer gelang es mir, auf einen Schlag zwölf Russen in einem Auto zu töten.» Die Kehrseite: «Je mehr wir den Russen schadeten, desto brutaler wurden sie gegen alle.»
Bedeutungsvolles Schweigen
Aleksandr zufolge bildeten sich viele Widerstandszellen in und um Cherson spontan. «Wir waren untereinander nicht verbunden, kannten uns nicht persönlich, sondern nur von Whatsapp. Das war unsere Stärke.» Es ging dennoch nicht lange, und die russischen Soldaten fanden heraus, wer er war. «Ich tauchte unter. Die Bevölkerung aus umliegenden Dörfern half, versteckte mich, gab mir Essen», erinnert er sich. «Das war natürlich eine unentbehrliche Hilfe. Doch da war immer auch die Gefahr, dass Kollaborateure mich an die Russen verraten.»
Sind er und Natalia noch immer aktive Partisanen, jetzt, wo Cherson seit November befreit ist und die russischen Truppen sich an das östliche Flussufer zurückgezogen haben? Die beiden schauen sich an und schweigen bedeutungsvoll.
Wie zur Ablenkung zückt Aleksandr sein Handy und zeigt ein Fahndungsfoto von sich: «Das haben russische Medien letztes Jahr veröffentlicht. Man sucht mich immer noch», sagt er grinsend. «Doch sie haben die falschen Angaben von mir. Da stehen der Name und der Geburtstag meines Sohnes.»
Widerstand kommt im Krieg wichtige Rolle zu
Bei der Befreiung von Cherson spielte der geheime und riskante Krieg dieser Männer und Frauen eine grosse Rolle, da sind sich Analysten einig. Wie stark die ukrainischen Partisanen das allgemeine Kriegsgeschehen heute beeinflussen, ist zwar unklar – doch unerheblich sind sie nicht. Immerhin erwähnt das «Institute for the Study of War» die Partisanenaktivitäten seit Ende März regelmässig in seinen Berichten. Demnach haben die russischen Besatzer wegen des anhaltenden Widerstands Schwierigkeiten, die gesellschaftliche Kontrolle zu erlangen.
Der ukrainische Widerstand operiert zwar im Dunkeln, gleichzeitig unterstützt Kiew die Partisanen und wehrhafte Bevölkerung ganz offen: Die ukrainischen Spezialkräfte haben per Gesetz den Auftrag, den Widerstand zu koordinieren und informieren auf der Seite über erfolgreiche Aktionen. Dazu unterhalten die ukrainischen Streitkräfte eine Internetseite auf Englisch und Ukrainisch, um diejenigen zu unterstützen, «die für die Befreiung unseres Landes und die Freiheit von russischen Besatzern kämpfen wollen.»
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