Militärübung Pilum 22Wie lange könnte die Armee die Schweiz verteidigen?
Die Armee testet derzeit in der Verbandsübung Pilum 22 die Bereitschaft der Bodentruppen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie lange die Schweiz sich im Kriegsfall verteidigen könnte.
Armeechef Thomas Süssli beantwortet die Frage, wie lange die Schweizer Armee einem Angriff widerstehen könnte.
20 Minuten/Marco Zangger/Tarek El SayedDarum gehts
Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffs auf die Schweiz ist für die absehbare Zukunft gering.
Dennoch stellt sich die Frage, wie lange die Schweizer Armee in einem solchen Fall durchhalten könnte.
Nur «etwa vier Wochen», sagt Armeechef Thomas Süssli.
Dieses relativ geringe Durchhaltevermögen ist der Luftwaffe geschuldet.
Auch mit 36 F-35-Jets kann die Luftüberlegenheit nur kurze Zeit aufrechterhalten werden.
Ohne Luftschutz können sich die Bodentruppen nicht bewegen.
Pilum 22 ist die grösste Militärübung in der Schweiz zum Thema Verteidigung seit 1989. Dabei geht es um die Fähigkeit, das Land und die Bevölkerung in einem bewaffneten Konflikt auch am Boden zu verteidigen. Die Übung hat dabei nicht direkt mit der Invasion Russlands in die Ukraine, die den Krieg nach Europa zurückbrachte, zu tun. Die Planung für Pilum 22 hat bereits vor zwei Jahren begonnen.
An den Aufgaben der Armee hat der Krieg nichts geändert. Neben der Unterstützung der zivilen Behörden etwa im Fall von Naturkatastrophen oder Terroranschlägen und der Friedenssicherung, ist es vor allem die Abwehr eines militärischen Angriffs auf die Schweiz – auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines solchen für die absehbare Zukunft gering ist.
Doch könnte sich die Schweiz überhaupt im Alleingang gegen einen militärischen Angriff verteidigen? Und wenn ja, wie lange? Die Antwort auf die erste Frage ist ja. Die Schweiz kann sich gegen einen militärischen Angriff verteidigen. Denn die Schweiz hat pro Kopf mehr Kampfjets, Panzer und Soldaten als andere Länder. So verfügt die Schweizer Milizarmee auf tausend Einwohner über 16 Soldaten. Im Vergleich dazu sind es in Österreich sechs Soldaten und in Deutschland etwa zwei. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Vergleich mit den Nachbarländern in Bezug auf Panzer und Kampfflugzeuge.
Geringes Durchhaltevermögen der Luftwaffe
Dieser Alleingang der Schweizer Armee wäre allerdings von kurzer Dauer. Das liegt am begrenzten Durchhaltevermögen der Luftwaffe. Der Bundesrat hat sich, gestützt auf den Bericht «Luftverteidigung der Zukunft» von 2017, dafür entschieden, dass in Zeiten erhöhter Spannung jeweils rund um die Uhr zwei Patrouillen in der Luft sein sollen, um die Lufthoheit zu sichern.
Muss ein solcher Einsatz über längere Zeit aufrechterhalten werden, «steigt die Beanspruchung der Flotte und damit die Anzahl Maschinen, die von der Industrie gewartet und repariert werden müssen, damit sie nachhaltig flugfähig bleiben», wie es im Bericht heisst. Das heisst, immer mehr Jets würden am Boden bleiben. «Diesen Rhythmus kann die Armee mit der nun bestimmten Zahl von 36 F-35-Kampfjets rund einen Monat aufrechterhalten», sagt Armeesprecher Stefan Hofer zu 20 Minuten.
«Wenn gleichzeitig noch Luftverteidigungsoperationen dazukommen, wäre es sogar noch weniger lang», erklärte Armeechef Thomas Süssli im Gespräch mit 20 Minuten Ende Juni. Kann die Luftüberlegenheit nicht mehr sichergestellt werden, wären auch die Möglichkeiten der Truppen am Boden stark eingeschränkt. «Die Bodentruppen könnten sich ohne Luftschutz nicht bewegen», sagt Süssli und liefert die Antwort auf die zweite Frage gleich mit: «Ich glaube, mehrere Wochen ist die richtige Antwort.»
Kooperation oder Alleingang?
Die Bedrohung der Schweiz durch einen militärischen Angriff mag gering sein. Angesichts des Kriegs in der Ukraine und des geringen Durchhaltevermögens der Armee, haben auch Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Kooperation an Aktualität gewonnen. So forderte Pro Militia, eine Vereinigung ehemaliger und eingeteilter Angehöriger der Schweizer Armee, im Januar in einem Strategiepapier das Parlament und den Bundesrat auf, «die Grundsatzfrage ‹Verteidigungspolitischer Alleingang oder strategische Partnerschaft› ernsthaft anzugehen.» Pro Militia regt dabei eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsbündnis Nato an, die laut der Vereinigung durchaus mit der Neutralität vereinbar ist.
Ähnlich sieht es der Bundesrat. Wie er im Zusatzbericht zum Sicherheitspolitischen Bericht 2021 festhält, sind etwa eine verstärkte Teilnahme an Übungen, eine Intensivierung des Partnerschaftsstatus bei der Nato oder eine Beteiligung der Armee an EU-Verbänden denkbar. Ein Nato-Beitritt ist für den Bundesrat dagegen keine Option, wie er im September festhielt.
In einer repräsentativen Umfrage von 20 Minuten und Tamedia mit 12’437 Teilnehmenden befürworteten 52 Prozent eine militärische Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen des Pesco-Netzwerks. Pesco («Permanente Strukturierte Zusammenarbeit») wurde 2017 von 25 EU-Mitgliedstaaten ins Leben gerufen. Neben den meisten EU-Teilnehmern sind auch Norwegen, Kanada und die USA an Pesco beteiligt. Als Fernziel wird oft die Gründung einer europäischen Armee genannt. Ein Beitritt zur Nato kommt für zwei Drittel der Schweizer dagegen nicht infrage.
Soll die Schweiz enger mit der Nato kooperieren?
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