Ukraine-Szenarien – Wie viele Geflüchtete kann die Schweiz eigentlich aufnehmen?

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Ukraine-SzenarienWie viele Geflüchtete kann die Schweiz eigentlich aufnehmen?

Täglich nimmt die Schweiz derzeit bis zu 1000 Menschen aus der Ukraine auf. Die Infrastruktur erlaube der Schweiz keine unbegrenzte Aufnahme von Geflüchteten, sagen SVP-Politiker. Doch weder sie noch ihre linken Kollegen noch Experten nennen eine konkrete Zahl.

Jeden Tag registrieren sich gegen 1000 Ukrainerinnen und Ukrainer in den Bundesasylzentren. Im Bild Flüchtende an der polnischen Grenze. 
Der Bund hat gemäss Staatssekretariat für Migration in den Bundesasylzentren rund 9000 Plätze zur Verfügung. Eine Übersicht, wie viele Plätze schweizweit zur Verfügung stehen, hat das SEM nicht.
Doch was, wenn der Krieg lange dauert und die Flüchtlingswelle nicht kleiner wird? «Eine Obergrenze festzulegen, wie viele Geflüchtete die Schweiz maximal aufnehmen kann, ist unmöglich», sagt Martin Roth, Kommunikationsleiter bei AOZ.
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Jeden Tag registrieren sich gegen 1000 Ukrainerinnen und Ukrainer in den Bundesasylzentren. Im Bild Flüchtende an der polnischen Grenze. 

AFP

Darum gehts

Der Flüchtlingsstrom aus der Ukraine reisst nicht ab: Jeden Tag melden sich zwischen 500 und 1000 Ukrainerinnen und Ukrainer in den Bundesasylzentren zur Registrierung. Dort erhalten sie den Schutzstatus S und werden auf die Kantone verteilt. Je grösser die Bevölkerung eines Kantons, desto mehr Flüchtende muss er aufnehmen. Der Kanton weist die Schutzsuchenden, die nicht bei Verwandten oder Bekannten unterkommen können, den Gemeinden zu. 

Der Bund hat gemäss Staatssekretariat für Migration in den Bundesasylzentren rund 9000 Plätze zur Verfügung. Eine Übersicht, wie viele Plätze schweizweit zur Verfügung stehen, hat das SEM nicht. Auch bei der Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren (SODK) heisst es: «Die SODK hat keine Übersicht über die Anzahl Plätze in den Kantonen. Wir erheben keine statistischen Daten.» Die Kantone seien aber täglich dabei, neue Plätze zu schaffen. «Wir sind für die erste Welle gerüstet», sagt Präsidentin Nathalie Barthoulot.

«Unmöglich, Obergrenze festzulegen»

Doch was, wenn der Krieg lange dauert und die Flüchtlingswelle nicht kleiner wird? «Eine Obergrenze festzulegen, wie viele Geflüchtete die Schweiz maximal aufnehmen kann, ist unmöglich», sagt Martin Roth, Kommunikationsleiter bei AOZ. Die Fachorganisation koordiniert die Unterbringung und Betreuung der Flüchtenden im Auftrag der Stadt Zürich – im Normalfall rund 2800 Personen. In der Krise organisiert die AOZ auch die Unterbringung der Geflüchteten aus der Ukraine. «Aufgrund der aktuellen Ausnahmesituation versuchen wir derzeit, diverse weitere Liegenschaften in Zürich zu mieten», sagt Roth. Auch das Staatssekretariat für Migration sucht händeringend nach weiteren Unterbringungsplätzen.

«Wenn es nur darum gehen würde, den Menschen ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen zu geben, gäbe es kaum eine Obergrenze, wie man in Polen gerade sieht», sagt Roth. Die limitierenden Faktoren seien andere: «Schwierigkeiten ergeben sich etwa bei der Betreuung oder bei der Platzierung der Kinder in den Schulen.» Die Situation sei jetzt schon fordernd und überall würde versucht, das Personal hochzufahren.

So viele Menschen suchen normalerweise Asyl

Linke pocht auf humanitäre Tradition

Von limitierenden Faktoren nichts wissen will SP-Nationalrat Fabian Molina: «Es gibt weder rechtlich noch politisch noch moralisch eine Obergrenze für die maximale Anzahl der ukrainischen Flüchtenden in der Schweiz.» Mit dem Schutzstatus S hätten alle ein Recht, zu bleiben. «Politisch gesehen haben wir nicht das Recht, so etwas zu definieren, solange der Krieg andauert», sagt Molina. Die Schweiz müsse sich solidarisch beteiligen und die Ukrainerinnen und Ukrainer moralisch unterstützen, in jeder Hinsicht.

«Die Schweiz ist ein Land mit einer humanitären Tradition», so Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt. «Wenn Menschen an Leib und Leben bedroht sind, gibt es keine Kapazitätsgrenzen.» Ausserdem sei Europa gross und nicht nur die Schweiz würde Flüchtende aufnehmen – es seien vor allem die angrenzenden Länder, welche besonders viele Unterkünfte zur Verfügung stellen würden.

Anders sieht das SVP-Nationalrätin Martina Bircher: «Die Infrastruktur unseres Landes kann nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen. Ausserdem brauchen diese nicht einfach nur ein Dach über dem Kopf.» Wäre es so, könnte man laut Bircher auch einfach auf grossen Wiesen Zelt-Camps anlegen. «Doch die Anforderungen an die privaten Unterbringungen sind extrem hoch.»

«Infrastruktur nicht überlasten»

Bircher will ganz genau hinschauen, was die vielen zusätzlichen Menschen in der Schweiz für die Infrastruktur und die Lebensqualität bedeuten. «Reisst der Flüchtlingsstrom nicht ab, wird es bald an Lehrerinnen, Übersetzern, Ärztinnen und Psychologen mangeln», sagt sie. Auch auf den Strassen und im ÖV führten immer mehr Menschen zu Problemen. «Die Strom- und Grundwasserversorgung sowie die Kläranlagen sind ebenfalls nur auf eine bestimmte Anzahl Menschen ausgelegt und die Kapazitäten können nicht beliebig hochgefahren werden.»

Wichtig ist gemäss SVP-Parteikollege und Nationalrat Mike Egger, dass die Schweiz unkomplizierte und schnelle Hilfe vor Ort sowie in den umliegenden Länder leistet. «Die Schweiz wird auch Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen und unterstützen, aber auch wir haben als Land eine Kapazitätsgrenze. Hier sind die bestehenden Infrastrukturen zu berücksichtigen. Es wird in allen Ländern ähnlich sein, man kann nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen», sagt Egger weiter.

Beschäftigt dich oder jemanden, den du kennst, der Krieg in der Ukraine?

Hier findest du Hilfe für dich und andere:

Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)

Kriegsangst?, Tipps von Pro Juventute

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

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