ChicagoTrump-Fan Mike hat auch im Stammlokal seine Pistole stets dabei
Im «Golden Apple» treffen sich die unterschiedlichsten Menschen – von Stammgästen wie Mike, der immer seine Pistole dabei hat, bis hin zu Nachtschwärmern auf der Suche nach einem späten Snack. 20 Minuten hat mit ihnen über die Präsidentschaftswahl gesprochen.
Darum gehts
- Das «Golden Apple» ist eines der letzten 24-Stunden-Diner Chicagos und zieht Gäste jeder Art an – von Stammkunden bis zu Nachtschwärmern.
- Die Gäste kommen mit unterschiedlichen politischen Einstellungen und Erfahrungen, vom Trump-Unterstützer mit Waffe bis zu jungen Leuten, die sich im Zwei-Parteien-System nicht abgeholt fühlen.
- 20 Minuten hat mit einigen von ihnen über die bevorstehenden Wahlen gesprochen.
Kaffee tröpfelt ununterbrochen in zwei bauchige Kannen. Frische Pancakes, Eier und Toast werden im Minutentakt durch die Durchreiche geschoben, während das Geschirr am Tisch nebenan bereits wieder abgeräumt wird. Es ist zehn Uhr morgens an einem Samstag, es könnte aber auch zwei Uhr nachts sein. Denn: Das «Golden Apple» ist eines der letzten Diner Chicagos, das nie schliesst.

Die Pistole ist immer griffbereit
«Ich komme fast täglich her, aber nicht für Pancakes, die sind mir zu schwer», erzählt Mike (65), der am Tresen seinen Kaffee trinkt. Vor 38 Jahren ist er aus Kroatien in die USA gekommen. Seit damals sei hier in Chicago viel passiert. «Es ist sehr gefährlich geworden, ich trage immer eine 9mm-Pistole bei mir», erzählt Mike.
Das US-Wahlsystem kurz erklärt
Laut ihm hängt die Kriminalität vor allem mit der Einwanderung zusammen. Das sei auch der Grund, wieso er Trump unterstütze. Er werde härter durchgreifen und die Grenze besser kontrollieren, ist Mike überzeugt. «Ich habe schliesslich auch acht Monate auf mein Visum warten müssen, bis die Behörden sicherstellten, dass ich kein Kommunist bin.»

Stammgäste wie Mike gibt es im «Golden Apple» viele. «Sie machen etwa 70 Prozent unserer Kundschaft aus», erzählt Nick, einer der drei Betreiber. Die Freunde haben ebenfalls Wurzeln in Europa – in Griechenland – und teilen sich die Schichten auf. «Einer arbeitet morgens, einer nachmittags, einer nachts. Einen Schlüssel besitzen wir nicht, es ist ja immer wer da.» Als sie das Diner vor 28 Jahren übernommen haben, sei die Gegend hier ziemlich rau gewesen. «Mittlerweile kommen aber vor allem Anwälte morgens und betrunkene Anwälte nachts», sagt Nick mit einem Augenzwinkern.
US-Wahlen offen dank Kamala Harris
Einer dieser Anwälte, die zum Frühstück kommen, ist Jack. Er lese hier täglich die vier Lokalzeitungen, bevor er ans Gericht geht. Sein Fachgebiet: Personenschäden. «Die Wahl im November hat auf meine Arbeit zum Glück keine direkten Auswirkungen. Trotzdem hoffe ich ganz klar auf Kamala Harris’ Sieg.» Sie sei eine gute Kandidatin und habe dafür gesorgt, dass der Wahlkampf zu einem echten Wettrennen geworden sei.

Die Gäste Jake (23) und Audrey (23) hingegen ordnen sich im politischen Spektrum weder links noch rechts ein. «Ich sehe mich in der Mitte, auch wenn es die in den USA gar nicht gibt», klagt Audrey, die vor einem Jahr von San Francisco nach Chicago gezogen ist. Jake pflichtet ihr bei. «Das Zwei-Parteien-System macht keinen Sinn, ich fühle mich nicht abgeholt.» Deshalb seien die zwei auch noch unentschieden, wen sie wählen würden – wenn überhaupt. «Ich konzentriere mich lieber darauf, dass es mir und meinem Umfeld gut geht – auch wenn das etwas egoistisch klingt», sagt Audrey.
«Hier ist alles riesig – auch die Probleme»
Mittlerweile ist es 23 Uhr und Peter ist derjenige der drei Inhaber, der die Nachtschicht übernimmt. «Nach der Corona-Pandemie wollte niemand mehr zurück in die Gastro, vor allem nicht nachts. Also muss ich selber ran», erzählt er. Die USA seien ganz anders als Griechenland: «Du kannst hier aus dem Nichts reich werden, aber auch auf der Strasse landen.» Oder wie es ein Stammkunde, der zuhört, mit Blick auf die hohe Obdachlosigkeit ausdrückt: «Hier ist alles riesig – auch die Probleme.»

Das sehen auch Christopher (34) und Eric (41) so. Die beiden besuchen das Lokal nach einer Comedy-Show. «Der Künstler hatte ein T-Shirt mit Pancake-Print an, das hat uns hungrig gemacht», spassen die zwei. Als der Name Donald Trump fällt, vergeht ihnen das Lachen: «Ich finde es bedenklich, dass wir in diesem Land so weit gekommen sind, dass jemand wie er überhaupt wählbar geworden ist», sagt Christopher. Auch Eric will Trump kein zweites Mal im Weissen Haus sehen. «Ich werde Kamala Harris wählen.» Dennoch macht er sich grosse Sorgen, was eine Niederlage des Ex-Präsidenten mit sich bringen könnte: «Ich habe Angst, dass wir dann nicht nur einen Sturm aufs Kapitol, sondern einen Bürgerkrieg erleben.»

Solche Gedanken macht sich Owen (23) nicht. «Die Wahl wird mein Leben kaum beeinflussen, darum interessiere ich mich nicht gross dafür», sagt er, während ihm das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben steht. «Ich weiss, ich sollte mich mehr einbringen.» Keine Schuldgefühle hat er gegenüber seinen Freunden, die er in einer der nahegelegenen Bars zurückgelassen hat. «Ich hatte keine Lust mehr auf Gesellschaft, dafür aber Hunger.»
So scheint es vielen zu gehen. Die Tische im «Golden Apple» füllen sich mit Partygängern, die genug Bier, aber zu wenig Essen im Magen haben. «In einer halben Stunde, also um zwei Uhr, schliessen die meisten Bars, ab dann herrscht hier wieder Hochbetrieb», erklärt Peter und setzt schon einmal eine neue bauchige Kanne Kaffee auf.

20 Minuten in den USA
- «Ich will einfach meinen Scheiss auf die Reihe kriegen»
- «Wir wären in Trümmern»: So sehen Harris- und Trump-Fans die Zukunft
- Gewalt in Detroit: «Mein bester Freund starb in meinen Armen»
- «Grüezi»: Wie schweizerisch ticken Berne und New Glarus?
- Wer in Berne und New Glarus das Rennen machen wird
- Opioidkrise im Wahlkampf: Die entscheidende Frage geht unter
- «Ich lasse nicht zu, dass mein Leben hier endet»
- «Ihr grenzt doch an Norwegen»: Das wissen US-Wähler über die Schweiz
- «Zünglein an der Waage»: Entscheiden Muslime über US-Wahlausgang?
- «Kann sein, dass wir Trump helfen – aber dann ist es halt so»
- US-Wahlkampf: «Die streiten wie in der Primarschule»
- «Er ist der zweitbeste Mensch»: So erlebte 20 Minuten eine Trump-Rally
- Politspektakel: 20 Minuten besucht Harris-Rally in der Autostadt Detroit
- Veteran Derrik (28) wählt Trump: «Er ist so stark wie eh und je»
- Hüte, Flaggen, Schilder: «Ich weiss, was die Kunden wollen»
- «So wie wir wählen, wählt auch der Rest des Landes»
- Erlebnisse der gesamten USA-Reise im Ticker
Folgst du schon 20 Minuten auf Whatsapp?
Carolin Teufelberger (cat) arbeitet seit 2024 für 20 Minuten als Redaktorin beim Ressort News, Wirtschaft & Videoreportagen.
