BernAlain Berset tritt zurück – «in der Covid-Zeit lief ich am Limit»
Unmittelbar nach der Bundesratssitzung hatte Alain Berset eine überraschende Pressekonferenz angekündigt. Um 12.30 Uhr verkündete er seinen Rücktritt.
Bundespräsident Alain Berset wird Ende Jahr sein Amt als Bundesrat niederlegen.
Nach zwölf Jahren als Bundesrat und Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern sei jetzt ein guter Zeitpunkt.
Bersets Nachfolge ist noch offen und wird im Dezember entschieden werden.
Alain Berset erklärt seinen Rücktritt. (Video: 20min/dsc)
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Alain Berset: Nach 12 Jahren ist Schluss
Alain Berset tritt nach 12 Jahren als Bundesrat und Vorsteher des Eidgenössischen Departements für innere Angelegenheiten (EDI) auf Ende Jahr zurück.
Er begründet seinen Entscheid damit, dass er mit der dritten Abstimmung über das Covid-Gesetz die Bewältigung der Pandemie habe abschliessen können. Wichtig sei ihm, seine dritte Legislatur abzuschliessen.
Fragen, ob sein Rücktritt mit Skandalen, Druck aus der Partei oder den Corona-Leaks zusammenhänge, verneint Berset. Jetzt sei einfach der richtige Zeitpunkt.
Bersets Nachfolgerin oder Nachfolger ist noch nicht geklärt. Die SP-Spitze wird dazu in Kürze eine Pressekonferenz abhalten.
Pressekonferenz ist beendet
Das wars! Vielen Dank fürs Mitlesen, in Kürze folgt hier eine Zusammenfassung.
Blick in die Zukunft
Auf das Innendepartement kommt viel zu. Hören Sie auch deshalb auf?
«Ich habe wirklich gezeigt, dass ich keine Angst habe vor vielen Abstimmungen. Ich habe 29 Abstimmungen erlebt. Ich fürchte die nicht, es wäre kein Problem gewesen, in diesem Rhythmus weiterzumachen. Aber Sie haben recht, es kommt jetzt viel auf das EDI zu: zwei Initiativen zur AHV, zwei im Bereich Gesundheitskosten plus die BVG-Revision.
Corona-Leaks
«Ich bin froh, dass die GPK die Corona-Leaks untersucht», sagt Berset. Ansonsten sei dazu alles gesagt.

«Arbeitslast und Drohungen während Covid waren brutal»
Gab es Phasen, in denen Sie sich wohler gefühlt haben als heute im Bundesrat? «Schwierige Frage. Der Bundesrat lebt, mit sieben Menschen mit anderen Ansichten. Das wird in Redaktionen nicht anders sein. Es gab unterschiedliche Phasen, mal war es einfacher und mal schwieriger. Das ist normal. Aber es war immer der Wille da, Sachen zu verbessern, wenn es nicht läuft. Es gab Momente, in denen ich mich nicht wohl fühlte, aber das hatte nicht mit dem Bundesrat zu tun. In der Covid-Zeit lief ich manchmal am Limit. Das war brutal, wie man es sich kaum vorstellen kann. Aber auch die Drohungen haben mir zu schaffen gemacht. Es gab Momente, wo ich mich gefragt habe, ob ich meinen Job noch gut machen kann.»
Verhältnis zur Parteispitze
Wann hat die SP-Spitze davon gewusst? «Die Zusammenarbeit mit meiner Partei war immer hervorragend. Es gibt ein Rollenverständnis, das perfekt ist. Im Bundesrat haben wir eine andere Rolle als im Parlament oder ein Parteipräsident oder eine Fraktionschefin. Ein stabile und lange Teilnahme an der Regierung ist ein Vorteil, die Rollenteilung hat immer perfekt funktioniert. Die Partei-Spitze habe ich vor Ihnen informiert, das müssen Sie sie aber direkt fragen.»

14 Jahre bis zur Pensionierung
Sie müssen noch 14 Jahre auf die Pensionierung warten. Werden Sie sich weiter engagieren? Ehrenamtlich? Oder was werden Sie machen? «Das eilt jetzt nicht», sagt Berset. Er habe noch keine Strategie für nachher. «Ich habe jetzt und werde bis Ende Jahr alles geben für den Job, den ich habe. Dann sehen wir weiter.»
«Medien zentral für die Demokratie»
Wie war Ihre Beziehung zu den Medien? Berset bleibt gelassen: «Die Medienarbeit und die Medienfreiheit sind fundamentale Bestandteile und Rechte einer Demokratie. Das gibt ihnen das Recht zu kritisieren, auch einmal sehr hart oder sogar inkorrekt oder unfair. Ich weiss sehr genau, dass es in beide Richtungen gehen kann. Es braucht eine Balance und die Konkurrenz zwischen den Medien ist wichtig.»

Rücktritt per Ende Jahr
In sechs Monaten sind Sie nicht mehr da. Trotzdem treten Sie nicht zurück, sondern treten nicht mehr an. Wieso? «Wie gesagt: Ich möchte die Legislaturperiode fertig machen. Dieser Rhythmus ist mir wichtig.» Deshalb verkünde er nicht seinen Rücktritt, sondern dass er nicht mehr antrete.
«Das ist die DNA unseres Polit-Systems»
Es gebe viel kollektive Intelligenz im Bundesrat, gemeinsam suche man den besten Weg. Wenn der Bundesrat nicht einig sei in den Lösungen, habe er vor Parlament und Volk wenig Chancen. «Das ist die DNA unseres Polit-Systems. Das vergisst man oft.»
Minderheiten im Bundesrat
Die Minderheitsposition im Bundesrat. «Wir sind alle Minderheiten im Bundesrat», sagt Berset. «Alle haben andere Positionen und arbeiten trotzdem zusammen. Es gab auch eine Zeit, als fünf Parteien im Bundesrat vertreten waren. Sind wir Minderheiten wegen der Sprache? Der Partei? Das kann immer wieder ändern. Aber wir müssen gemeinsam Lösungen finden im Bundesrat. Damit hatte ich nie Probleme, dafür habe ich mich engagiert.»

Ersatzwahl Dezember
Ist das nicht ein grösseres Risiko, weil die Grünen oder die GLP den Sitz angreifen könnten? «Es gibt eidgenössische Wahlen dieses Jahr. Die strategischen Überlegungen gibt es. In der Regel gibt es unerwartete Änderungen im Bundesrat während der Legislatur, etwa bei meiner Kollegin Simonetta Sommaruga. Das hatte sehr gute Gründe. Mir ist es einfach wichtig, die Zeiten und Zyklen zu respektieren.»
Das sagt Berset zu seiner Nachfolge
Seine Nachfolge brauche aber einen breiten Rücken, man kriege viel ab als Bundesrat. Sein Rat: «Stellen Sie die Institutionen über alles und geben Sie alles.» Dazu gebe es keine Alternative. «Wir machen das nicht für Titel oder Privilegien. Wir geben alles für unser Land.»
Nachfolge muss «ein Mensch» sein
Mann? Frau? Westschweiz? Deutschschweiz? «Es muss ein Mensch sein», sagt Berset. «Das versteht, wer will.»

Der Bundesrat traf sich für eine Sitzung im Rahmen der Extra Muros Reihe in Winterthur. Es war die 18. Veranstaltun in diesem Rahmen.
Vanessa Travasci«Kontinuität ist extrem wichtig»
Sie waren zwölf Jahre im selben Departement. Wollten Sie nie wechseln? «Nein, die Kontinuität ist extrem wichtig, wenn man Sachen verändern will. Ich glaube, dass die zwölf Jahre im Innendepartement mir erlaubt haben, mich perfekt in die Dossiers und Themen einzuarbeiten und kontinuierliche Arbeit zu leisten.»
Was haben Sie schlecht gemacht?
Bei der Abstimmung 2017 um die AHV-Zusatzfinanzierung haben sich laut Berset die Fronten verhärtet, das habe er zu spät erkannt. Auch das elektronische Patientendossier, eine so wichtige Sache, würde er rückblickend anders machen. «Aber man ist immer klüger im Rückblick. Ich habe sehr viel gelernt in all diesen Jahren.»
Corona-Leaks
Haben Sie von den Corona-Leaks gewusst? Berset: «Ich habe immer gesagt, dass ich innerhalb der Institutionen alles sagen werde. Das bleibt so. Es gibt keinen Grund, das jetzt zu ändern.»
Berset macht eine Sport-Analogie: «Einen 400-Meter-Lauf starten Sie nicht gleich wie einen Marathon. Es war auch nicht immer klar, dass ich eine zweite Zeit als Bundespräsident haben werde. Und Corona hat eine Rolle gespielt beim Entscheid.»

Wann haben Sie den Entscheid gefällt? «Die Interpretation in dem erwähnten Interview war nicht okay. Es war nicht mein Entscheid. Dieser hat sich nach und nach gefestigt. Aber wie gesagt: Meine Aussage beim Amtsantritt 2011, dass ich acht bis zwölf Jahre bleiben will, hat mich immer begleitet.»
Günstiger Moment um aufzuhören
«Im Ernst, dazu ist es noch zu früh», schiebt er nach. Der Moment, aufzuhören, sei günstig. Für danach habe er aber noch keine Pläne.
«Danach beginne ich mit Yoga»
Sie haben viel von Zyklen gesprochen. Was machen Sie am dem 1. Januar? «Ich beginne mit Yoga», witzelt Berset.
Was bereuen Sie am meisten?
Im Bundesrat gebe es sehr schöne Momente, sehr viel Leidenschaft. Es sei aber auch das totale Engagement. Es sei klar, dass man bei anderen Sachen zurückstecken müsse. Er sei aber sehr bescheiden. «Ich habe alles gemacht, aber nicht alles erreicht. Aber ich habe immer alles gegeben. Die verlorene Abstimmung 2017 zur Zusatzfinanzierung der AHV waren eine Niederlage, das war schade.»

Franchise
Die Franchisen nicht erhöhen zu müssen, sei ebenfalls stets ein wichtiges Anliegen gewesen und den Zugang zur Gesundheitsversorgung. «Es ist uns gelungen, die Franchise nicht anheben zu müssen. Das ist für mich extrem wichtig», sagt Berset. Es gebe aber noch sehr viel mehr Sachen und er werde auch noch Zeit haben, auf das zurückzuschauen.
Corona-Pandemie
Auch auf die Bewältigung der brutalen Herausforderung durch die Pandemie sei Berset stolz. Es habe auch Gewalt gegeben, die Umstände seien schwierig gewesen. Man habe die Bewältigung aber geschafft.
Er erwähnt auch noch einmal verschiedene Reformen.