Nach Podcast-Aussagen«Sex ist kein Tauschhandel»: Experten kritisieren SVP-Glarner
SVP-Nationalrat Andreas Glarner sorgt mit einer Podcast-Aussage für Empörung: Wenn Frauen keinen Sex gewähren, würden Männer fremd oder ins Bordell gehen. Experten nennen diese Sichtweise rückständig und abwertend – für Frauen und Männer.
Darum gehts
SVP-Nationalrat Andreas Glarner sorgte mit Aussagen über Sexualität und Prostitution in einem Podcast für Empörung.
Er sagte, wenn Frauen ihren Partnern Sex verweigerten, gingen diese fremd oder ins Bordell. Zudem behauptete er, Prostitution verhindere Vergewaltigungen.
Sexologinnen und Sexologen kritisieren seine Aussagen als überholt und antifeministisch.
Glarner zeichne das klassische Bild der Frau als Hüterin des Sexes und des Mannes als bedürftigen Konsumenten, was ein problematisches Geschlechterbild zeichne.
SVP-Nationalrat Andreas Glarner ist für seine polarisierenden Aussagen bekannt. Jüngstes Beispiel? Sein Auftritt im Podcast «Die Thronfolge», mit dem er nicht nur in sozialen Medien, sondern auch im Bundeshaus für Diskussionen sorgte: «Wenn eine Frau anfängt, sich einem Mann zu verweigern, dann geht er fremd oder ins Bordell», sagte Glarner. Er selber nutze den Service zwar nicht, sei aber dankbar dafür, «sonst würde es mehr Vergewaltigungen geben».
«Andreas Glarner reproduziert überholtes Bild von Sexualität»
«Das ist eine extrem veraltete Sichtweise auf Sexualität und Beziehungen», kritisiert der Sexologe Ben Kneubühler. Die Vorstellung, dass Männer quasi naturgesetzlich zum Fremdgehen oder zu Prostitution gezwungen werden, wenn sie keinen Sex erhalten, degradiere sie zu triebgesteuerten Wesen ohne Selbstkontrolle. «Das ist weder schmeichelhaft für Männer noch fair gegenüber Frauen. Eine erwachsene, partnerschaftliche Sexualität sieht anders aus.»
Auch Sexologin Lea Eugster bewertet die Aussagen als überholt. Solche Überzeugungen führten dazu, dass Frauen und weiblich sozialisierte Menschen nicht aus Lust Sex hätten, sondern aus Pflichtgefühl. «In meiner Arbeit erlebe ich ganz oft, dass genau solche Glaubenssätze dazu führen, dass Frauen ihre Grenzen übergehen und eigene Bedürfnisse hinten anstellen, um Erwartungen zu erfüllen.»
Die Experten
Zudem sei die Behauptung, dass Prostitution Vergewaltigungen verhindern würde, problematisch. «Studien zeigen, dass sexualisierte Gewalt vor allem mit Macht und Kontrolle zusammenhängt und nicht mit unerfülltem Verlangen», so Eugster weiter.
«Nicht nur antifeministisch, sondern rückwärtsgewandt»
Genauso problematisch sei das zugrundeliegende Geschlechterbild. «Glarner zeichnet das klassische Bild der Frau als Hüterin des Sexes und des Mannes als bedürftigen Konsumenten», erklärt Kneubühler. Sexualität lasse sich nicht auf ein einfaches «Angebot und Nachfrage»-Prinzip herunterbrechen. «Ausserdem impliziert Glarners Aussage, dass weibliche Sexualität primär der Befriedigung männlicher Lust diene», fügt Eugster an. Eine erfüllende Sexualität entstehe nicht dadurch, dass eine Seite gewähre und die andere nehme.
Zudem werde die Verantwortung für die Sexualität einer heterosexuellen Beziehung komplett der Frau zugeschoben. «Das Signal ist: Wenn du nicht lieferst, musst du dich nicht wundern, wenn dein Mann sich anderweitig bedient. Das ist nicht nur antifeministisch, sondern schlicht rückwärtsgewandt», so Kneubühler. Die Vorstellung, dass weibliche Sexualität lediglich eine Ressource sei, die nach Bedarf verteilt oder entzogen werde, sei völlig überholt. «Sexualität ist kein Tauschhandel, sondern basiert auf gegenseitigem Verlangen, Kommunikation und Einfühlungsvermögen.»
Glarner ist mit Denkweise nicht allein
Trotzdem sei Glarner nicht allein mit dieser Denkweise. «Ich beobachte in der Praxis, dass das Bild von der Frau, die in einer Partnerschaft zu Sex verpflichtet ist, sehr weit verbreitet und oft tief verankert ist – egal, welches Gender», sagt Eugster. Es sei auch nicht zu leugnen, dass es viele Strömungen gebe – wie Andrew Tate oder die «Tradwife»-Bewegung – die traditionelle Rollenbilder wieder romantisierten. Auch Kneubühler beobachte dies. «Wir sehen in der Rhetorik von Andrew Tate und anderen, dass alte Rollenbilder im modernen Gewand wieder Einzug halten.»
Ein zentraler Punkt, der in Glarners Aussagen fehle, sei die Möglichkeit, an der eigenen Beziehung zu arbeiten, so Kneubühler. «Statt fremdzugehen oder ein Bordell aufzusuchen, könnten sich Männer auch überlegen, wie sie die Lust in ihrer Beziehung wieder anfachen können. Verführen, anstatt zu fordern – das wäre ein erwachsenes Modell von Sexualität.»
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