Zünfte«Ausschluss ist denkbar» – Zunftmeister reagieren auf CS-Debakel
Um Mitglied einer Zunft zu werden, braucht es einen guten Ruf. Doch was, wenn dieser leidet? Wir fragen Zürichs Zünfter.
Darum gehts
Manche der ehemaligen Bankenchefs sind Zünfter. So beispielsweise Walter Kielholz und Urs Rohner.
Was passiert mit Zunftmitgliedern, wenn sie in Verruf geraten?
Der Zunftmeister der Zunft zur Meisen sagt: «Bei gerichtlich festgestellten Verfehlungen ist ein Ausschluss grundsätzlich denkbar.»
Ein Zünfter sagt, solche Situationen seien immer auch ein «kleiner Charaktertest».
Der grosse Tag naht – Mitte April ist Sechseläuten. Frühlingsfest, Böög-Verbrennen und Tag der Zünfte. Während die Zunftmeister und -sprecher an ihren Reden feilen, haben einige ihrer Mitglieder mit Negativschlagzeilen zu kämpfen. Wie gehen die Zünfte damit um, wenn berühmte Mitglieder wie Walter Kielholz und Urs Rohner in Verruf geraten?
Beide sind Mitglieder der Zunft zur Meise. Zunftmeister Gustav von Schulthess sagt: «Wir sind Zunftfreunde. Die berufliche Tätigkeit der Zünfter steht nicht im Vordergrund.» Gerate ein Mitglied in die Negativschlagzeilen, bestehe «a priori kein Handlungsbedarf. Werden indes gravierende Verfehlungen gerichtlich festgestellt, so ist grundsätzlich auch ein Ausschluss aus unserer Zunft denkbar.»
Zünfter: «Bewunderungs-Entzug ist schwer erträglich»
Manchmal ist ein Ausschluss aber auch gar nicht nötig. Ein Mitglied der Gesellschaft zur Constaffel erinnert sich an den Fall des früheren CS-Bankers und Swissair-Verwaltungsrats Lukas Mühlemann, der 2002 zurücktreten musste. Damals sei Mühlemann von einem Tag auf den anderen abgetaucht und habe sich in der Gesellschaft zur Constaffel bis heute nicht mehr sehen lassen, obwohl er immer noch Mitglied sei.
Wenn jemand derart öffentlich Kritik einstecken müsse wie jetzt Urs Rohner, könne er in der Zunft schon «schräge Blicke» ernten, sagt der Zünfter, der anonym bleiben will. «Gier ist in Zunft-Kreisen schlecht angesehen. Es gilt nicht einfach: Je mehr Geld, desto besser. Gar nicht. Der Freisinn ist liberal, doch das hat immer auch mit Verantwortung, Vernunft und Masshalten zu tun.»
Ein Zunft-internes Verfahren kenne er für solche Fälle nicht. Allerdings gebe es in jedem Gesellschafts- und Vereinsleben auch informelle Sanktionen: «Für hochgefeierte Exponenten aus Wirtschaft, Politik, Medien und Kultur ist der Bewunderungs-Entzug durch die Umgebung ganz schwer erträglich.» Betroffene würden sich deshalb eher zurückziehen oder von sich aus gehen.
Zunftmeister: «Schwierigkeiten sind ein Charaktertest»
Hansruedi Strasser, Zunftmeister der «Wollishofer», hatte einen schwierigen Fall. Ein Zunftmitglied geriet nach geschäftlichen Verfehlungen in die Schlagzeilen. Doch nicht nur der Ruf war das Problem, sondern auch der effektive Schaden. «Zunftmitglieder haben finanzielle Nachteile erlitten. Rechnungen wurden nicht bezahlt, Leute hatten Renten-Einbussen. Das hat dann mit Ehrenhaftigkeit nicht mehr viel zu tun», sagt Strasser.
Ein Zünfter müsse nicht nur ein reines Strafregister haben, sondern auch Vorbild für die Gesellschaft sein. «Er muss das Bürgertum als Vorbild leben.» Eine Mehrheit der Wollishofer Zünfter war für den Ausschluss des fehlbaren Mitglieds, doch das reichte nicht. Gemäss Statuten braucht es ein Zweidrittel-Mehr.
Wie würde Hansruedi Strasser reagieren, wenn Walter Kielholz und Urs Rohner seine Mitglieder wären? «Man muss unterscheiden. In unserem Fall war kriminelle Energie im Spiel. Bei der Credit Suisse hingegen handelt es sich um Missmanagement. Das ist eine andere Liga.» Er erwarte in so einem Fall, dass ein Zünfter vorübergehend in den Hintergrund trete und je nach Entwicklung von sich aus gehe. «So eine Situation ist immer auch ein kleiner Charaktertest.»
Zunftmeister: «Wir sind ein Freundeskreis»
Christian Bretscher, Zunftmeister der Zunft zum Kämbel, hat Erfahrung mit Zünftern, die für Schlagzeilen sorgen. «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel ist Mitglied der Kämbel-Zunft und mit streitbaren Positionen immer wieder in der Kritik, jüngst etwa wegen seiner Putin-freundlichen Berichterstattung. «Natürlich gibt es da Diskussionen und kritische Fragen in der Zunft. Ein Grossteil der Mitglieder ist anderer Meinung, ich auch», sagt Bretscher. Doch öffentliche Kritik genüge nicht, um jemanden zu diskreditieren. Das wäre etwa bei einer Straftat der Fall, die niemand versteht.
«Wir sind viel mehr ein Freundeskreis, als die Leute vielleicht annehmen», sagt Christian Bretscher. Gerade in schwierigen Situationen sei die Zunft ein Kollektiv, das einem Mitglied Halt und ein Zuhause biete.
Zünfte
26 Zünfte, 3000 Zünfter
In Zürich gibt es 26 Zünfte, oder genau genommen: 25 Zünfte und die Gesellschaft zur Constaffel. Insgesamt gibt es rund 3000 Zünfter, hinzu kommen Anwärter, Jungzünfter und Schankburschen. Am Sechseläuten ist das Zunftleben öffentlich sichtbar, die Zünfter treten in Kostümen auf die Strasse und treffen sich danach in ihren Zunftlokalen, wo Reden gehalten werden. Doch auch unter dem Jahr gibt es in den Zünften viele Anlässe, etwa Vorträge, Ausflüge oder Bälle. Im November findet bei den meisten Zünften das Martini- oder Rechenmahl statt. Das ist ein Abendessen im Zunfthaus, zu welchem Gäste anderer Zünfte eingeladen werden und an dem die Jahresrechnung abgenommen sowie «Halbzeit» des Zunft-Kalenders gefeiert wird. blu
Keine News mehr verpassen
Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.