Bettwanzen in Paris?Pariser Bettwanzen: Protokoll einer russischen Propaganda-Kampagne
Die Aufregung um die Bettwanzen-Invasion in Paris letzten Herbst war gross. Dabei war die Bettwanzen-Plage gar keine. Ein russisches Netzwerk hat sie zu einer gemacht. Wie das?
Darum gehts
Bettwanzen in Paris – das war im Herbst 2023 weltweit ein Thema.
Laut französischer Regierung wurde das Thema aber «durch Konten, die mit Russland in Verbindung stehen», aufgebauscht.
20 Minuten hat die Argumentation Frankreichs nachvollzogen.
Bettwanzen in Paris: Das war eines der grossen Themen in Herbst 2023. Die Tiere seien überall in der französischen Hauptstadt, hiess es: in Hotels, Zügen, der Metro und sogar im Kino. Die sozialen Medien wurden mit entsprechenden Beweisen geflutet. Medien weltweit berichteten über die «Plage», auch 20 Minuten.

So hat es angeblich im Herbst 2023 vielerorts in Paris ausgesehen.
Getty Images/iStockphotoNun erklärte Frankreichs Europaminister Jean-Noël Barrot dem privaten TV-Sender TF1: «Das Thema wurde online aufgeblasen durch Konten, die mit Russland in Verbindung stehen.» Die Regierung könne nachweisen, dass die Kampagne Teil der hybriden Kriegsführung Moskaus gewesen sei, zitiert Faz.de aus dem Gespräch. Das heisst nicht, dass es in Frankreich keine Bettwanzen-Vorfälle gegeben hat. Bloss: So gross wie beschrieben war das Problem nicht.
«Das Thema wurde online aufgeblasen durch Konten, die mit Russland in Verbindung stehen.»
Trotz aller Aufregung: Es fehlten handfeste Beweise
Den Schreckensmeldungen standen schon früh auch beruhigende Aussagen von Fachleuten gegenüber. Die Betreibergesellschaft der Pariser Metro schrieb etwa, dass «kein erwiesener Fall von Bettwanzen in den letzten Tagen in unseren Materialien (Metro, RER, Tram und Bus) festgestellt wurde». Auch Gesundheitsminister Aurélien Rousseau bekräftigte, dass Frankreich «nicht von Bettwanzen überflutet» werde. Es gebe keinen Grund zu allgemeiner Panik.
Warum Bettwanzen?
Das Thema Bettwanzen kam im Juli 2023 in Frankreich auf. Grund dafür war ein Bericht der französischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz Anses. Darin hielten die Autorinnen und Autoren fest, dass in den letzten Jahren eine Häufung von Bettwanzen-Vorfällen beobachtet worden sei. Zwischen 2017 und 2022 sei mehr als jeder zehnte französische Haushalt von Bettwanzen befallen worden. Inländische Medien nahmen sich daraufhin des Themas an. Ausländische Medien weniger. Auch auf Social Media kursierte das Thema nicht gross. Anfang Oktober änderte sich das schlagartig.
Oktober 2023: Screenshots von gefälschten News-Artikeln
Anfang Oktober tauchten in den sozialen Medien plötzlich Screenshots von gefälschten Newsartikeln auf, die den Anschein erweckten, von den Websites verschiedener französischer Medien zu stammen. Auffällig ist, dass die vermeintlichen Artikel alle einen Bezug zwischen den Bettwanzen und dem Krieg in der Ukraine herstellen (siehe Bildstrecke):
Keine Original-Artikel
Keiner der vermeintlichen Artikel ist echt, wie ein Faktencheck der AFP über den vermeintlichen «La Montagne»-Screenshot zeigt und die Redaktionen selbst bestätigen: «Libération» veröffentlichte eine eigene Richtigstellung. «20 Minutes», «Le Figaro» und «Contrepoints» erklärten gegenüber «Les Overservateurs de France 24», nichts dergleichen veröffentlicht zu haben.
So erklärt Anses den Anstieg an Bettwanzenfällen
Die Behörde Anses, die mit ihrem Bericht das Thema Bettwanzen im Juli 2023 überhaupt erst aufbrachte, nennt einen anderen Grund: «Der in den letzten Jahren beobachtete Anstieg von Bettwanzenvorfällen lässt sich insbesondere durch die Zunahme des Reiseverkehrs und die zunehmende Resistenz von Bettwanzen gegenüber Insektiziden erklären», heisst es in einer Mitteilung.
Wohl Russland hinter den Fake-Screenshots
Angesichts der Stossrichtung dürften die Screenshots russische Urheber haben. Zudem sind in mehreren europäischen Ländern Desinformations-Kampagnen dokumentiert, die einen russischen Hintergrund haben.
Auch die Davidstern-Graffiti, die nach den Terrorattacken der Hamas auf Israel an Pariser Fassaden auftauchen, sollen eine gezielte russische Propagandaaktion gewesen sein. Die Täter sollen gestanden haben, von einem russischen Auftraggeber bezahlt worden zu sein, die Graffitis zu sprühen und für Social Media zu fotografieren.
Portal Kombat: Russisches Netzwerk verbreitete Fake-Screenshots
Die Fake-Screenshots verbreiteten sich schnell und weit. Dafür verantwortlich war laut der französischen Agentur Viginum, die für die Erkennung und Bekämpfung von Online-Desinformationskampagnen zuständig ist, «ein strukturiertes und koordiniertes Netzwerk» (PDF). Sein Name: Portal Kombat, das laut Viginum mit der auf der Krim ansässigen russischen Firma Tiger Web in Verbindung stehen soll. Zu Portal Kombat gehören laut Viginum «mindestens 193 Websites», die pro-russische Inhalte verbreiteten. Darunter die verschiedenen Prawda-Portale, aber auch donetsk-news.ru. Auch Dutzende Telegram-Kanäle und Blogs sollen in die Verbreitung der Fake-News involviert gewesen sein.
«Der beobachtete Anstieg lässt sich insbesondere durch die Zunahme des Reiseverkehrs und die zunehmende Resistenz von Bettwanzen gegenüber Insektiziden erklären.»
Recherchen des Baltischen Zentrums für investigativen Journalismus Re:Baltica bestätigen dies für die gefälschten «Libération»-Inhalte. Das Team konnte aufzeigen, dass die Screenshots der Fake-Artikel von mehreren pro-russischen Telegramkanälen veröffentlich wurden, darunter dem von Ukraina.ru, einer Website der Mediengruppe Russia Today. Auch die Website RF-SMI teilte dies Falschbehauptung, die vermeintliche Bettwanzenplage gehe auf ukrainische Flüchtlinge zurück. Die Behauptung wurde auch von vielen Social-Media-Userinnen und -Usern geteilt.

Der Blick auf die Website ukraina.ru zeigt, dass das Portal zum Russia Today (Россия сегодня) gehört.
Screenshot ukraina.ruWelche Absicht steckt hinter der Bettwanzen-Kampagne?
Die eindeutige Stossrichtung der fünf Fakenews-Screenshots zeigt, dass die Kampagne unter anderem darauf abgezielt haben dürfte, ukrainische Flüchtlinge zu diskreditieren und in der französischen Gesellschaft Unruhe zu stiften. Dass auch die Sanktionen Frankreichs gegen Russland zum Thema gemacht wurden, die den Fake-Screenshots zufolge die Bettwanzen überhaupt erst zu einem Problem werden liessen, deutet darauf hin, dass zudem Groll gegen die Entscheidungen der französischen Regierung geschürt werden sollte. Kurz: Frankreich zu destabilisieren, wie Frankreichs Europaminister Barrot sagt.
Dazu passt, dass die Portal-Kombat-Websites mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine zunehmend die besetzten ukrainischen Gebiete und die westlichen Länder, die die Ukraine und ihre Bevölkerung unterstützen, ins Visier geraten sind, wie Viginum in seinem Bericht schreibt. Ein weiterer Grund dürften die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele sein. Man habe den Eindruck erwecken wollen, dass ausländische Besucher in Paris befürchten müssen, von Bettwanzen befallen zu werden und darum ihren Besuch absagen.
Wie hast du letzten Herbst über die Bettwanzen-Plage gedacht?
Fazit
Die angebliche Bettwanzen-Invasion in Paris im vergangenen Herbst war nicht so gross, wie medial berichtet wurde. Zwar hat die Zahl der Bettwanzen-Vorfälle in Frankreich laut der nationalen Behörde für Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz Anses in den letzten Jahren zugenommen. Aber eine «Bettwanzen-Epidemie» hat es vergangenen Herbst nicht gegeben. Die Aufregung wurde nach Erkenntnissen der französischen Regierung bewusst von Russland befeuert, um ukrainische Flüchtlinge zu diskreditieren und Frankreich zu destabilisieren. Das russische Propagandanetzwerk Portal Kombat soll dabei eine Rolle gespielt haben.
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