Tinderprofil«Bin schockiert» – Matthias hatte keine Ahnung, dass Frauen ihn bewerteten
Weltweit tauschen sich Frauen online über Männer aus, die sie daten. Auch in der Schweiz ist der Trend angekommen. 20 Minuten sprach mit einem Mann, vor dem in einer solchen Gruppe gewarnt wurde.
Darum gehts
Um herauszufinden, ob sie die gleichen Typen daten, haben Frauen weltweit Facebook-Gruppen namens «Are we dating the same guy?» erstellt.
Dort warnen sie andere Frauen vor Männern. Dieser Trend ist kürzlich auch in der Schweiz angekommen.
Einer dieser Männer ist Matthias*. Als 20 Minuten ihn kontaktiere, war er schockiert: Die Warnungen über ihn seien frei erfunden.
Die Betreiberin einer solchen Gruppe verteidigt sie: Es sei ein Safe Space für Frauen.
Daten kann eine mühselige Angelegenheit sein. Darum sind Gruppen mit dem Namen «Are we dating the same guy?» auf Facebook am Boomen. Auch in der Schweiz gibt es seit kurzem solche Gruppen. Innerhalb von wenigen Wochen haben sie teilweise über tausend Mitglieder.
Im ersten Teil erfährst du, was genau in solchen Gruppen besprochen wird und weshalb dies juristisch heikel sein kann. Denn manche Frauen teilen extrem viele persönliche Details. Die Kontaktdaten einiger Männer sind so schnell zu finden. So konnte 20 Minuten mit Matthias* Kontakt aufnehmen, dessen Tinder-Profilbild anonym mit einem Warnhinweis in einer der Gruppen geteilt wurde. «Seid vorsichtig mit diesem Typen. Er lügt die ganze Zeit. Und er wird euch wahrscheinlich einen falschen Namen angeben», schrieb letzte Woche eine Person zu einem Screenshot von seinem Tinderprofil.
Vorwürfe seien «haltlos»
«Ich bin absolut schockiert. Ich benutze Tinder seit drei Monaten nicht mehr und hatte insgesamt nur ein bis zwei Dates gehabt», so Matthias. Er habe keine Ahnung, wer den Beitrag gepostet haben könnte. «Ich bin noch nicht so lange in dieser Stadt und die wenigen Dates, die ich hatte, waren ganz normal.» Er könne sich an keine besonderen Vorkommnisse erinnern, die Dates seinen völlig unkompliziert abgelaufen.
Hast du schon mal was von solchen Facebook-Gruppen gehört?
«Vielleicht habe ich jemanden verletzt, ohne es zu wollen – und sie wollte mir deshalb eins auswischen?», fragt er sich. «Klar gab es auch Frauen, mit denen ich geschrieben habe, ohne dass ein Treffen zustande kam.» Aber dies sei doch ganz normal beim Daten. Matthias überlegt sich jetzt, einen Anwalt zu kontaktieren.
Mitglieder sollen sich an Richtlinien halten
Eine Gruppen-Administratorin einer solchen Schweizer Seite hat sich bereit erklärt, schriftlich unsere Fragen zu beantworten. Sie betont, dass das Teilen von persönlichen Erfahrungen auf Social Media Teil der Redefreiheit sei. «Solange die Frauen ihre persönlichen Erfahrungen teilen, ohne sensible oder private Informationen preiszugeben, werden keine Rechte anderer verletzt.»
Weiter sagt sie, dass diese Seite ein Safe Space sei, bei dem sich Frauen auch anonym austauschen könnten, ohne dafür verurteilt zu werden. «Das Teilen von Erfahrungen, gerade wenn man Ähnliches erlebt hat, kann zur emotionalen Heilung und zum Wachstum beitragen.»
Ausserdem sei in den Richtlinien festgehalten, was geteilt werden dürfe und was nicht. Darin steht unter anderem, dass keine persönlichen Informationen ohne Einverständnis geteilt werden dürfen. Ob diese Richtlinien allerdings wirklich eingehalten werden oder bloss Fassade sind, bleibt offen: Kritische Fragen von 20 Minuten, etwa, was passiere, wenn Frauen gegen die Richtlinien verstiessen oder ob gar schon Beiträge gelöscht oder Mitglieder verwarnt worden seien, blieb von der Gruppen-Admin unbeantwortet.
*Name der Redaktion bekannt
«Das fühlt sich an wie eine Produktebewertung»

Markus Theunert ist Gesamtleiter des Verbands maenner.ch.
20min/Simona RitterHerr Theunert, wie problematisch sind solche Gruppen?
Es ist sicherlich nichts Neues, dass Menschen, egal ob Mann oder Frau, über potenzielle Datingpartner oder -partnerinnen sprechen. Neu ist lediglich die Form. Die Art und Weise erinnert an Produktbewertungen von Onlinehändlern. Der Mensch wird zum Objekt. Ausserdem ist es grenzverletzend, wenn persönliche und intime Details online geteilt werden. Ich sehe hier auch die Portale in der Sorgfaltspflicht.
Ein Mann, der in so einer Gruppe diskutiert wurde, war extrem betroffen, als wir ihn mit den Anschuldigungen konfrontiert haben. Was macht das mit Männern, wenn sie anonym diskutiert werden?
Solche Gruppen können kontraproduktiv fürs Daten sein: Bei einem Date geht man davon aus, sich in einem einigermassen geschützten Rahmen zu befinden, bei dem man ja auch persönliche Details teilen möchte. Hat man Angst, dass das Gegenüber später die eigene Intimsphäre verletzt, kann das dazu führen, dass man sich verschliesst.
Haben Sie Verständnis für die Frauen, die sich in solchen Gruppen austauschen?
Wenn es darum geht, andere Frauen vor gewalttätigen oder toxischen Männern zu warnen, verstehe ich das. Dann müssen die Beiträge aber auch sicherheitsrelevant sein: Ob jemand zum Beispiel eine Vasektomie hatte oder nicht, gehört da sicher nicht rein.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen