Dok «Game Over»«Die Credit Suisse wurde von innen ausgeraubt»
Den Untergang der Credit Suisse gibt es ab heute auf der Leinwand. Investigativ-Journalist Arthur Rutishauser erklärt im Interview, dass man die Reue der Entscheidungsträger auch in hundert Minuten vergeblich sucht.
Der offizielle Trailer des «Game Over»-Films.
Contrast FilmCredit Suisse: Darum gehts
Ab Donnerstag läuft «Game Over», der grosse Dok-Film zum CS-Untergang in Deutschschweizer Kinos.
Pünktlich auf den Filmstart erklärt Investigativ-Journalist Arthur Rutishauser, weshalb sich der Kinobesuch lohnt.
Ebenfalls zeigt Rutishauser auf, wie schwierig es war, die Verantwortlichen vor die Kamera zu bringen.
Am 19. März 2023, einem eigentlich so normalen Frühlingssonntag, passiert das Undenkbare: Die einst so stolze Credit Suisse ist am Ende und wird von der UBS geschluckt. 739 Tage später, am 27. März 2025, erscheint mit «Game Over» ein investigativer Dokumentarfilm in den Deutschschweizer Kinos, der die Geschehnisse aus der Perspektive der involvierten Führungskräfte neu aufrollt.
Möglich machen es die Produktionsfirma «Contrast Film», Erfolgsregisseur Simon Helbling («Pressure Game») und vor allen Dingen «Sonntagszeitung»-Chefredaktor Arthur Rutishauser. Letzterer gewährt im Gespräch mit 20 Minuten Einblick in den wichtigsten Schweizer Wirtschaftsfilm seit «Grounding».
Herr Rutishauser, ist das Thema Ihres Films «too big to fail»?
Das werden wir sehen. Es hat sich schon beim Swissair-Film oder auch beim Film über Jelmoli gezeigt, dass es durchaus ein Publikum gibt für solche Produktionen.
Was meinen Sie genau mit «solche Produktionen»?
«Game Over» ist genauso der Versuch, ein sehr komplexes Thema auf eine publikumsgerechte Art zu erzählen – mal anders als nur mit Zahlen und Buchstaben. Ich glaube, das ist uns gelungen.
Der Vergleich zum Spielfilm über die Swissair, «Grounding», wird schnell gezogen. Wieso ist «Game Over» ein Dok- und kein Spielfilm?
Es gibt verschiedene Gründe, die gegen einen Spielfilm sprechen. Allem voran ist da der Zeitfaktor: Schauspieler auszusuchen und auf eine Rolle zu trainieren, braucht neben der ohnehin aufwendigen Recherche noch viel mehr Zeit. Dabei ist es bei solchen Themen entscheidend, relativ zeitnah Fakten zu liefern.

«Sonntagszeitung»-Chefredaktor Arthur Rutishauser hat die Geschehnisse rund um den Untergang der Credit Suisse in Form eines Buches und in Form eines Dokumentarfilms aufgearbeitet.
Contrast FilmApropos Fakten liefern: Ich nehme an, Sie sind bei der Recherche auf viele Widerstände gestossen.
Es gab natürlich verschiedene juristische Androhungen, als ich Entscheidungsträger von damals angefragt hatte. Aber so ist das nun mal.
Was sind das für Androhungen?
Es wird schnell betreffend angeblicher Verletzung des Persönlichkeitsrechts gemahnt und eingeschüchtert. Man wusste halt auch, was ich schon in der Zeitung geschrieben hatte.
Haben Sie sich dadurch nicht abschrecken lassen?
Nein. Mit den allermeisten habe ich zudem – zumindest off-the-record – gesprochen. Nur mit einem nicht.
Mit wem nicht?
Urs Rohner. Der ist wahrscheinlich die schwierigste Personalie von allen, weil er gegen aussen so etwas wie das Gesicht des CS-Untergangs ist. Auch wenn er ganz zum Schluss nicht mehr dabei war.
Wie erklären Sie sich, dass er sich nicht äussern will?
Er will sich halt einfach nicht mit dem Geschehenen auseinandersetzen. Ähnlich war es mit Ex-CEO Tidjane Thiam. Da gabs wenigstens einen Mailverkehr.
Wie haben Sie das bei den anderen hingekriegt?
Das gab es zunächst meist lange Verhandlungen, ein langes Hin und Her. Als dann auch ein gewisses Vertrauen da war, dass wir die Geschichte gänzlich aufrollen wollen, haben sich dann schon einige zu Gesprächen bereit erklärt.
Gab es auch Personen, die sich reinwaschen wollten?
Klar. Das haben alle probiert – einige sogar mit Powerpoint-Präsentationen. (lacht)
Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Ich bin überzeugt, dass wir eine spannende Geschichte zusammen haben. Wir haben aus sämtlichen Geschäftsleitungen seit der Chiasso-Affäre 1977 mit Personen direkt sprechen können, die uns aus erster Hand erzählen, was innerhalb der CS abgelaufen ist.
Was nimmt der Besucher aus dem Kino mit? Gibt es neue Erkenntnisse?
Wir erzählen die Geschichte der Credit Suisse während der letzten 50 Jahre. Es beginnt mit einer Katastrophe, die die meisten falsch im Kopf hatten.
«Eine Community von ungefähr 1500 Leuten, die jährlich mindestens eine Million Franken verdient hat, auch wenn die Bank Verluste schrieb.»
Sie meinen die Chiasso-Affäre.
Genau. Selbst bei der CS wird das Ausmass des Skandals unterschätzt. Die Firma war nach einem Verlust von rund fünf Milliarden Franken bereits damals eigentlich in Konkurs und hat nur dank der Nationalbank überlebt.
Was geschah in der Folge?
Man sieht halt, was daraus gemacht wurde: Die Firma ging global und wurde richtiggehend aufgeblasen – mit dem Resultat, dass das Unternehmen um 2002 herum noch einmal am Abgrund stand.
Und dann kam 2007.
Ab 2007 wurde dann die Credit Suisse eigentlich von innen ausgeraubt. Eine Community von ungefähr 1500 Leuten, die jährlich mindestens eine Million Franken verdient hat, auch wenn die Bank Verluste schrieb. So wurde die Credit Suisse langsam ausgehöhlt.
Der Titel «Game Over» suggeriert ein Spiel. Haben die Entscheidungsträger mit der Bank gespielt?
Das ist schon eine der Erkenntnisse aus der ganzen Recherche. Ab circa 2010 hatte sie kein Geschäftsmodell mehr, um ernsthaft Geld zu verdienen. Deshalb wurden immer noch höhere Risiken eingegangen – und damit Geld verspielt.

Kommt ebenfalls im Film vor: UBS-Boss Sergio P. Ermotti.
Contrast FilmSie haben mehrere Hundert Stunden Interviews geführt. Was schockierte Sie dabei am meisten?
Zum einen ist die Unverfrorenheit, wie man sich über gesetzliche Vorschriften hinwegsetzte, schon schockierend. Geldwäscherei-Normen zum Beispiel. Allein durch Geschäftsbeziehungen mit Kriminellen, die es gar nie hätte geben dürfen, wurden 22 Milliarden Franken verloren.
Und zum anderen?
Und zum anderen hat mich das Beispiel Moçambique schockiert: Ein ganzes Land wurde durch die Gier von ein paar CS-Bankern in den Ruin gestossen. Und alle wussten es.
Ab dem 27. März im Kino
Was ist Ihnen nicht so gut gelungen, wie Sie es anfänglich gerne gehabt hätten?
Ich dachte, einige der Hauptschuldigen würden sich erklären.
Dem war nicht so?
Es ist erstaunlich: Eine einzige Person, vielleicht zwei, haben auf irgendeine Art Reue oder Bedauern gezeigt, und dann auch nur off-record.
Wo wirst du die Dokumentation schauen?
Heisst: Trotz hoher Boni, die oft auch mit Verantwortungs- und Führungsspanne gerechtfertigt werden, zeigt niemand Verantwortung für das Geschehene?
Keiner zeigt Verantwortung. Es wurden obszön hohe Boni bezogen, obwohl die geschäftliche Realität dies niemals gerechtfertigt hätte. Das hat nichts mehr mit Kapitalismus zu tun, die Bank wurde intern ausgenommen.
Versprechen Sie sich durch den Film eine politische Reaktion?
Klar. Ich bin nicht Jurist, aber der Gesetzgeber und Regulatoren könnten schon aufgerüttelt werden – oder zumindest versuchen, die bestehenden Gesetze durchzusetzen.
Swissair ist durch, nun verfilmten Sie die Credit Suisse. Was muss als Nächstes verfilmt werden?
Wenige Fälle aus der Schweizer Wirtschaft erzeugen so viel Publikumsinteresse. Ein Fall, der sich aufdrängen würde, wäre derjenige um den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz. Aber vielleicht ist es dafür auch schon zu spät.
Weitere Tamedia-Filme in petto
Das Doku-Projekt ist in seiner Form der Zusammenarbeit einzigartig – und eine Premiere für Tamedia quasi als Filmproduzentin. Möglich macht dies das revidierte Filmgesetz (Lex Netflix), das neue Mittel in die Filmbranche spült.
Film-Initiator Stefan Halter, Director Media Business und Innovation, ist euphorisch: «Es wird ein grossartiger Movie.» Mit der Finanzierung dank der Möglichkeiten der Lex Netflix wolle er nun weitere Filmprojekte zwischen Journalismus und Unterhaltung in Angriff nehmen: «Ich plane, weitere Investigativ-Dokus mit internationaler Strahlkraft zu lancieren, immer based on true stories.»
Was ist «Lex Netflix?»
Das revidierte Filmgesetz, oft als «Lex Netflix» bezeichnet, ist ein neues Gesetz in der Schweiz, das Streaming-Dienste wie Netflix, Disney+ und Amazon Prime verpflichtet, mindestens vier Prozent ihrer in der Schweiz erzielten Einnahmen in die schweizerische Filmproduktion zu investieren.
Alternativ können die Anbieter eine Ausgleichszahlung in gleicher Höhe leisten. Darüber hinaus müssen Streaming-Anbieter sicherstellen, dass mindestens 30 Prozent ihres Programms aus europäischen Produktionen besteht.
Ziel des Gesetzes ist es, die schweizerische und europäische Filmindustrie zu stärken und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen sowie Schweizer Filmerlöse nicht ins Ausland zu verlagern. «Der CS-Crash ist nun die erste Doku-Serie, die im Rahmen der Lex Netflix zustande kommt», freut sich Halter, «darauf sind wir stolz.»

Initiator Stefan Halter hat dank Lex Netflix noch Grosses vor.
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