Polizeiliche KriminalstatistikDarum ist die Anzahl schwerer Gewaltdelikte so gestiegen
Die Kriminalstatistik 2022 zeigt Erschreckendes: Die Zahl der schweren Körperverletzungen und Vergewaltigungen hat stark zugenommen. Ein Kriminologe liefert Erklärungsansätze.
Darum gehts
Das Bundesamt für Statistik veröffentlichte am Montag die Polizeiliche Kriminalstatistik 2022.
2022 waren die Zahlen von schweren Gewaltstraftaten wie schwerer Körperverletzung und Vergewaltigungen höher als je zuvor.
Für Kriminologe Dirk Baier gibt es dafür verschiedene Erklärungen.
Die Anzahl schwerer Gewaltdelikte war in der Schweiz noch nie so hoch. Das zeigt die am Montag publizierte Polizeiliche Kriminalstatistik 2022. Diese erhebt die Daten seit 2009. Alleine letztes Jahr wurden 1942 schwere Gewaltdelikte registriert, dazu gehören unter anderem Tötungsdelikte, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung und Raub. Im Vergleich zum Vorjahr sind es 16,6 Prozent mehr und 16,4 Prozent mehr als 2020 – dem bisherigen Rekordjahr.
Vor allem die Zahlen der Vergewaltigungen und der schweren Körperverletzungen haben zugenommen. Die Anzahl Vergewaltigungen ist im Vergleich zu vor fünf Jahren 38,5 Prozent höher, der schweren Körperverletzung 30,3 Prozent. Kriminologe und Gewaltexperte Dirk Baier versucht sich an einer Erklärung.

Schwere Gewaltstraftaten von 2018 bis 2022
Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), Jahresbericht 2022Messer als Modeerscheinung
Für den Anstieg der schweren Körperverletzung gibt es gemäss Baier drei mögliche Erklärungsansätze. «Wie man in der Statistik erkennen kann, nimmt zum einen die Gewalt mit Stichwaffen wie Messern stark zu.» Messer seien in den letzten Jahren bei vielen Männern zu einer Art Modeaccessoire geworden. «Viele führen ein solches am Abend im Ausgang oder bei Treffen mit Bekannten mit. Wer eine Stichwaffe auf sich trägt, setzt diese auch eher ein.»
Bis anhin habe man viel über dieses Phänomen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen gesprochen. «Doch auch Personen zwischen 25 und 40 tragen immer öfter ein Messer auf sich.» Das Problem: Kinder und Jugendliche erreiche man in der Prävention an Schulen. «Erwachsene kann man hingegen kaum erreichen.» Deshalb sei es wichtig, dass die Polizei Personenkontrollen durchführe und Personen bei einem Verdacht ein Messer abnehme. «Zudem muss bei Straftaten konsequent das Gesetz greifen.»
20 Minuten hat mit jungen Erwachsenen über Messergewalt gesprochen.
20min/Helena MüllerFreizeitverhalten und Vorstellung von Männlichkeit
Als zweite Erklärung nennt Baier ein verändertes Freizeitverhalten. «Schwere Körperverletzung passiert oftmals im öffentlichen Raum. Grundsätzlich verbringen Menschen mehr Zeit draussen als früher.» Obwohl das eine positive Entwicklung sei, würden dabei oftmals Alkohol oder Drogen konsumiert. «Das kann eine gefährliche Mischung sein, die zu Konflikten führt.»
Schliesslich betont der Gewaltexperte, dass die steigende Gewalt keine Diagnose für die ganze Gesellschaft sei. «Es gibt Gruppierungen, die eher zu Gewalt neigen.» Die Täter seien oftmals wirtschaftlich schwächer gestellte Männer mit einer problematischen Vorstellung von Männlichkeit.
«Bereitschaft der Opfer, einen Sexualtäter anzuzeigen, hat zugenommen»
Bei der steigenden Zahl der Vergewaltigungen vermutet Baier die Begründung mehrheitlich im Anzeigeverhalten der Frauen. «Es scheint, dass die Bereitschaft der Opfer, einen Sexualtäter bei der Polizei anzuzeigen, zugenommen hat. Das ist eine erfreuliche Entwicklung.» Kampagnen zur Thematik scheinen Wirkung gezeigt zu haben.
Baier stellt nicht in Abrede, dass es auch in bestimmten Milieus zu mehr Vergewaltigungen gekommen sei. «Hier muss die Polizei genauer hinschauen.» Um welche Milieus es sich dabei genau handle und ob spezifische Massnahmen getroffen werden müssten, sei Sache der Polizei, so Baier.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen
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