Fall Luise (12)Darum töten Kinder Kinder
Eine Zwölfjährige soll von zwei Mitschülerinnen erstochen worden sein. Wieso kommt es zu solchen Taten? Expertinnen und Experten liefern Erklärungen.
Darum gehts
Die zwölfjährige Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg (D) wurde getötet.
Zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren haben die Tat gestanden.
Es ist kein Einzelfall. Dass Kinder Kinder töten, kommt sehr selten, aber dennoch vor.
Über die Gründe kursieren viele Theorien. Eine Expertin sagt, worauf Eltern achten sollen.
Nahe der deutschen Kleinstadt Freudenberg wurde am Wochenende die zwölfjährige Luise getötet – zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren sind geständig. Dass Kinder andere Kinder töten, ist sehr selten, aber kein Einzelfall. In Deutschland beispielsweise würden pro Jahr im Durchschnitt zwölf unter 14-Jährige als Beschuldigte von Straftaten gegen das Leben registriert, sagt Kriminologe Dirk Baier im Gespräch mit 20 Minuten.
Doch was sind die Ursachen dafür, dass so etwas geschieht? Sibylle Winter, Jugendpsychiaterin an der Berliner Charité, sagt im Interview mit «Redaktionsnetzwerk Deutschland», sie gehe im Fall Freudenberg von einer längeren Vorgeschichte aus, in welcher die Jugendlichen erfahren hätten, dass Aggressionen schnell und wirksam zur Lösung beitragen. Entweder durch Vorbilder oder durch Aggression als Konfliktlösungsweg im Alltag. Grundsätzlich sei das Aggressionspotenzial in jedem Kind vorhanden. Doch auch Vorbilder seien wichtig.
Das sind die Warnsignale
Winter nennt folgende Warnsignale: Wenn ein Kind mehrmals in der Woche gewalttätig werde, andere Leute verletze, sei das auffällig. Töte ein Kind einmal einen Schmetterling, könne dies auch Neugierde und Explorationsverhalten sein. Komme es mehrmals vor und sei eine Lust dabei im Spiel, sollten die Eltern dem auf den Grund gehen. Wenn es zu Prügeleien kommt, sei es wichtig, wie die Kinder dazu stehen. «Wenn das Kind Reue zeigt und sich entschuldigt, ist das etwas anderes, als, wenn es die Schuld komplett von sich weist.»
Ein Warnzeichen sei es auch, wenn es auf dem Spielplatz immer wieder Konflikte gibt, andere Kinder weinen oder verletzt werden und andere Eltern sich aufregen. Es sei in so einem Fall wichtig, den Anteil des eigenen Kindes an den Streitereien zu verstehen.
«Man wird nicht zum Mörder geboren»
Wie Kriminologe Christian Pfeiffer gegenüber «SWR» sagt, seien nicht nur Erwachsene zu extremen Gefühlen fähig. Auch Kinder könnten unglaubliche Hass- und Wutgefühle entwickeln, die sie überwältigen. Es müsse aber auch abgeklärt werden, was in den Familien abgelaufen sei. «Zu einem kindlichen Mörder oder einem Totschläger wird man nicht geboren, dazu wird man gemacht», sagt Pfeiffer. Wer liebevoll und gewaltfrei erzogen wurde, tendiere nicht zu einer solchen Tat.
Laut Kriminalpsychologe Rudolf Egg sei im Fall Luise nicht davon auszugehen, dass es sich nur um ein einzelnes Motiv handle. Wie er gegenüber «SWR» sagt, sei vielmehr zu erwarten, dass eine Vielzahl von Dingen zu dieser extremen, sehr seltenen Tat geführt hätten.
Fälle, in denen Kinder Kinder töteten
Motive können sich von denen Erwachsener unterscheiden
Laut Thomas Bliesener, Psychologe und Professor an der Universität Göttingen, könnten sich Gewaltmotive bei jüngeren Menschen von denen älterer unterscheiden. Wie er gegenüber dem «Tages-Anzeiger» erklärt, könne es beispielsweise sein, dass sie stärker unter Cybermobbing leiden als Erwachsene. «Wenn sie beleidigt werden, ist das für manche ein Weltuntergang, und sie können sich gar nicht vorstellen, dass das auch wieder aufhört.»
In Ausnahmefällen sei es zudem möglich, dass insbesondere unreife Jugendliche aus Neugierde töteten oder ihnen nicht bewusst sei, dass ihre Handlungen zum Tod führen können.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen
Trauerst du oder trauert jemand, den du kennst?
Hier findest du Hilfe:
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen
Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29
Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch
Lifewith.ch, für betroffene Geschwister
Verein Familientrauerbegleitung.ch
Verein Regenbogen Schweiz, Hilfe für trauernde Familien
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Pro Senectute, Beratung älterer Menschen in schwierigen Lebenssituationen