Ukraine-Krise – Diese Auswirkungen hätte ein Krieg in der Ukraine auf die Schweiz

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Ukraine-KriseDiese Auswirkungen hätte ein Krieg in der Ukraine auf die Schweiz

Über 100’000 russische Soldaten sind an der Grenze zur Ukraine stationiert. Die USA und die Nato rechnen mit einem baldigen Einmarsch. Was würde das für die Schweiz bedeuten?

In der Ukraine rechnen die Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Schlimmsten – mit einem Einmarsch Russlands.
In den Wäldern der Ukraine bereiten sich Zivilisten in Verteidigungskursen auf den Krieg vor.
Eine Invasion Russlands sei nicht ausgeschlossen, sagt auch Witali Klitschko, ehemaliger Boxweltmeister und Bürgermeister von Kiew.
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In der Ukraine rechnen die Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Schlimmsten – mit einem Einmarsch Russlands.

AFP

Darum gehts

Die Lage in der Ukraine spitzt sich zu: Russland rüstet laut US-Informationen an der ukrainischen Grenze weiter auf, in der Ukraine selbst steigt die Nervosität. Bewohnerinnen und Bewohner bereiten sich auf das Schlimmste vor, einige kaufen Waffen, andere Lebensmittel. Selbst Witali Klitschko, ehemaliger Boxweltmeister und nun Bürgermeister von Kiew, schliesst eine Invasion Russlands nicht aus, wie er in einem Interview mit 20 Minuten sagt.

Die Krise beschäftigt auch die Schweizer Politik: Während Schweizer Politikerinnen und Politiker die Neutralität des Landes betonen, forderte der Kreml erst kürzlich die Schweiz dazu auf, im Konflikt Stellung zu beziehen. Was bereits jetzt klar ist: Ein potenzieller Krieg in der Ukraine hätte Auswirkungen auf ganz Europa – und damit auch auf die Schweiz. Das sagt Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel und Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung swisspeace.

Schweiz wird Sanktionen mittragen

Sowohl die EU als auch die USA hätten «deutliche Sanktionen» gegen Russland angekündigt, sollte Wladimir Putin in der Ukraine einfallen. Diese wirtschaftlichen Sanktionen würden auch von der Schweiz – zumindest in einem gewissen Ausmass – mitgetragen, sagt Goetschel. «Je nach Entwicklung der Lage ist mit einer Verunsicherung des Marktes zu rechnen.» Man dürfe nicht vergessen, dass Russland einer der grössten Erdöl- und Erdgasförderer der Welt sei.

Zwar sei davon auszugehen, dass Putin weiterhin interessiert daran sein werde, die Geschäfte mit Erdöl und Erdgas aufgrund des wirtschaftlichen Stellenwerts für Russland weiterzuführen, so Goetschel. Bei einem Lieferstopp könnte der europäische Markt auf Zulieferern aus den USA oder Japan wechseln. Ein längerer Lieferunterbruch hätte jedoch deutliche Auswirkungen auf die Preise, wie verschiedene Experten gegenüber 20 Minuten erst kürzlich sagten. Verschiedenen Schweizer Firmen drohten dabei gar die Schliessung

«Zur guten Vorbereitung gehört ein Notvorrat»

Nicht nur Erdöl und Erdgas, auch Weizen ist ein Hauptexportprodukt, sowohl von der Ukraine als auch von Russland. Mit einem jährlichen Volumen von 60 Millionen Tonnen Weizen stemmen die beiden Staaten 30 Prozent des globalen Weizenhandels und gehören damit zu den weltweit wichtigsten Exporteuren. Auch die Schweiz importiert Weizen aus diesen Ländern, sagt Thomas Grünwald vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL).

Eine kurzfristige Beeinträchtigung dieses Handels sei jedoch verkraftbar: «Die Schweiz trifft stets Vorkehrungen, um solche Mangellagen auszugleichen», sagt Grünwald. Es würden sogenannte Pflichtlager – Warenvorräte, um Engpässe in ausserordentlichen Lagen abzufangen – angelegt. Gleichzeitig appelliert er auch an die Eigenverantwortung: «Zu einer guten Vorbereitung gehört ein Notvorrat

Flüchtlingsströme bis in die Schweiz? 

Wie Nicolas Hayoz, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Freiburg und Osteuropaspezialist, sagt, sei bei einem russischen Einmarsch auch mit zahlreichen Flüchtlingen zu rechnen. «Falls ein grosser Teil der Ukraine besetzt wird, müssen wir in der Schweiz mit einer riesigen Flüchtlingswelle rechnen.» Ein Blick in die Vergangenheit würde das beweisen: «Nach dem Prager Aufstand 1968 hat die Schweiz etwa 11’000 Tschechoslowaken aufgenommen.» Laurent Goetschel rechnet hingegen nicht damit, dass die Flüchtlingsströme die Schweiz erreichen: «Der Krieg in den osteuropäischen Gebieten der Ukraine, in Donezk und Lugansk, hat primär zu Vertreibungen innerhalb der Ukraine geführt.»

Auch in politischer Hinsicht spiele die Schweiz wohl nur eine untergeordnete Rolle, so Goetschel: «Da die Schweiz weder EU-Mitglied ist, noch der Nato angehört und neutral ist, wird sie sich zurückhalten.» Auch als Vermittlerin werde sich die Schweiz nur dann einbringen, wenn die Konfliktparteien sie dazu ersuchen. «Das kommt vor allem für Russland jedoch wohl nicht in Frage, da es den Konflikt nicht zwischen den Nationen Russland und Ukraine sieht, sondern vielmehr um einen Konflikt innerhalb der Grenzen Russlands.» Dass sich die Rolle der Schweiz auf die Unterstützung im Rahmen der «guten Dienste» beschränken wird, sagt auch Nicolas Hayoz. An der passiven Position der Schweiz übt er leise Kritik: «Die Schweiz könnte auch aktiver ihre Position vertreten und gegenüber Russland eine bestimmtere Haltung einnehmen.»

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