EU-ExpertinDarum bleiben die Schweizer Verhandlungen mit Brüssel so geheim
Christa Tobler ist eine der profiliertesten EU-Kennerinnen der Schweiz. Die klare Pro-Europäerin, die als Professorin an der Uni Basel unterrichtet, gibt einen Einblick in die geheimen Verhandlungen, die derzeit zwischen Bern und Brüssel stattfinden.
Darum gehts
Die Schweiz und die EU verhandeln seit Monaten über neue Abkommen zu Themen wie institutionelle Anbindung, Strom und vieles mehr.
Die Verhandlungen sind intensiv, aber es dringen kaum Details nach aussen.
Kürzlich wurden Fortschritte bei den Verhandlungen verkündet. Worin diese exakt bestehen, ist aber ein Geheimnis der Gesprächspartner.
Innerhalb der Schweiz sind die Positionen klar: SP und Gewerkschaften betonen den Lohnschutz, während die SVP die Souveränität betont und die GLP geregelte Beziehungen fordert.
Seit einigen Monaten verhandeln die Schweiz und Brüssel über neue Abkommen. Es geht um die institutionelle Anbindung, den Europäischen Gerichtshof, Strom, die Bahn, den Lohnschutz, die Zuwanderung und um Geld. Sei es Geld, das die Schweiz mit guten Wirtschaftsbeziehungen verdienen kann, oder Geld, das sie als sogenannte Kohäsionszahlungen an die EU zahlen soll.
Wie weit die Verhandlungen sind, ist derzeit ein grosses Mysterium. Gegen aussen dringt nämlich wenig. Zeit für einige Fragen an Professorin Christa Tobler, eine der profiliertesten Kennerinnen der turbulenten Beziehungen der Schweiz mit der EU.
Frau Tobler: Was ist der aktuelle Stand bei den Verhandlungen mit Brüssel?
Es wird äusserst intensiv und heftig verhandelt. Details dringen aber nur wenige nach aussen. Das Schweizer Aussendepartement spricht neben Brüssel auch mit den Kantonen, Parteien, Verbänden und den anderen Departementen.
Das öffentliche ‹Common Understanding› ist ein cleverer Schachzug.
Es erstaunt, dass bei so vielen Beteiligten, so wenig – vor allem Skandalöses – nach aussen dringt. Das grenzt fast an ein Wunder.
Ich bin weniger überrascht. Beide Seiten, also die Schweiz und die EU, haben die von ihnen angepeilten «Landezonen» in einem gemeinsamen Dokument publiziert, dem «Common Understanding». Dadurch ist bekannt, worüber gesprochen wird. Das ist ein durchaus cleverer Schachzug, denn es gibt nichts Grundsätzliches zu leaken.
Das sind die Positionen der Schweizer Parteien
Wenn aber bekannt ist, was besprochen wird, worüber wird denn überhaupt noch verhandelt?
Es geht um das Feintuning. Und dabei versucht natürlich jede Seite noch herauszuholen, was geht. Aber: Dieses Feintuning ist auf einer extrem technischen Flughöhe, da wird um einzelne Worte oder Formulierungen gerungen. Das eignet sich nicht zum Skandalisieren.

Christa Tobler ist Professorin für Europarecht am Europainstitut der Universität Basel.
20min/Matthias SpicherVor einigen Tagen wurden von Ignazio Cassis und dem EU-Verantwortlichen Maroš Šefčovič nach einem Telefonat plötzlich «deutliche Fortschritte» bei den Verhandlungen verkündet. Wissen Sie, woraus diese Fortschritte bestehen?
Das ist eine gute Frage, ich weiss es tatsächlich nicht. Man weiss nur, was schon seit Beginn der Verhandlungen die heiklen Punkte sind: die Spesenregelung, der Umfang der Personenfreizügigkeit, die staatlichen Beihilfen und so weiter.
Im Juni wollten sich Cassis und Šefčovič in der Schweiz treffen. Das klappte dann aber nicht mit der Begründung, es sei nie ein offiziell geplanter Termin gewesen.
Das kürzliche Telefonat hat wohl schon einen Zusammenhang mit dem geplatzten Treffen im Juni. Beide Seiten wollten jetzt das Signal aussenden, «alles ist gut, wir sprechen miteinander». Aber die Fortschritte scheinen noch zu gering für ein Treffen auf Minister-Ebene.
Wie stehst du zu den laufenden Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU?
Kann man sich auch nur im Entferntesten Hoffnung machen, dass bei der Zuwanderung in die Schweiz etwas herausgeholt wurde?
Man weiss aus dem Common Understanding, dass die EU der Schweiz schon vor dem Verhandlungsstart bei einigen Details entgegengekommen ist. Aber man weiss auch, dass die EU nicht noch weiter gehen will. Übrigens nutzt das Common Understanding auch der Schweiz. Ich hörte Gerüchte, dass die EU nun plötzlich doch wieder über das Freihandelsabkommen mit der Schweiz sprechen will. Doch hier könnte die Schweiz blocken – mit Verweis eben auf das Common Understanding – und sagen, dass der Freihandel nie als Thema der laufenden Verhandlungen geplant war.
«An der Sturheit könnten die Verhandlungen noch scheitern.»
Woran könnten die Verhandlungen scheitern?
An der Sturheit der beiden Seiten. Wenn zum Beispiel der Bundesrat sagen würde, «ohne Ventilklausel bei der Zuwanderung geht es nicht», dann können wir ein positives Ergebnis vergessen. Aber auch wenn die EU sagen würde, «wir wollen nun doch die volle Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie», dann scheitern die Verhandlungen. Es ist einfach unrealistisch, dass beide ihre Maximalforderungen durchbringen.

Der Bundesrat will die Verhandlungen noch dieses Jahr zum Abschluss bringen. Doch ob das klappt, ist offen, sagt Christa Tobler im Interview mit 20 Minuten.
20min/Matthias SpicherWann gibt es wieder handfeste Neuigkeiten?
Dann, wenn alles fertig ausgehandelt ist. Bei solchen Gesprächen gilt jeweils, dass die letzten Differenzen oft die schwierigsten sind. «Nothing is agreed until everything is agreed», sagt die Diplomatie dazu. Der Bundesrat will zwar dieses Jahr fertig verhandeln, ich wage aber keine Prognose.
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