«Die Reichweite im Lokalen stösst an Grenzen»

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Today-Plattformen«Die Reichweite im Lokalen stösst an Grenzen»

Das Medienunternehmen CH Media stellt alle Today-Portale ein. Experten sehen Fehler im Geschäftsmodell und warnen vor Folgen für den Lokaljournalismus.

CH Media stellt per sofort alle sechs Today-Portale ein, 34 Mitarbeitende verlieren ihre Stellen.
Medienexperten sehen Fehler im Geschäftsmodell und kritisieren das rein werbefinanzierte Modell bei ihren Portalen.
Obwohl die Portale ihre Reichweite steigern konnten, blieben die Werbeeinnahmen aus. Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss vermutet, dass die lokale Reichweite nicht ausreichte, um genug Werbegelder anzuziehen.
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CH Media stellt per sofort alle sechs Today-Portale ein, 34 Mitarbeitende verlieren ihre Stellen.

Screenshot›/FM1Today

Darum gehts

  • CH Media stellt per sofort alle sechs Today-Portale ein.

  • Experten kritisieren den späten Einstieg in ein rein werbefinanziertes Geschäftsmodell.

  • Andere Schweizer Medienhäuser hätten frühzeitig in den Online-Werbemarkt investiert.

  • Sie sehen negative Folgen für den Lokaljournalismus.

CH Media stellt per sofort seine sechs regionalen Today-Portale ein. Die Entscheidung trifft 34 Mitarbeitende, die nun ihre Stelle verlieren. Nach einem Stellenabbau bei der TX Group, zu der auch 20 Minuten gehört, vor einem halben Jahr und bei der SRG vor kurzem, ein weiterer Paukenschlag in der Schweizer Medienlandschaft. Die Medienexperten Vinzenz Wyss und Roger Blum ordnen ein.

Diese Portale existieren nicht mehr

Reichweite allein reicht nicht mehr aus

Obwohl die Today-Portale steigende Reichweiten verzeichneten, blieben die Werbeeinnahmen hinter den Erwartungen zurück. Vinzenz Wyss sieht hier ein strukturelles Problem: «Die Reichweite im Lokalen stösst an Grenzen und reicht oft nicht aus, um die Werbewirtschaft zu überzeugen.» Roger Blum ergänzt, dass die Portale ein junges Zielpublikum hatten, das für Werbekunden offenbar nicht attraktiv genug war. «Die Werbeunternehmen planen meist mehrere Jahre im Voraus. Da die Reichweite anfangs nur langsam wuchs, wurden sie nicht in die Pläne aufgenommen.» Später, als die Reichweite schneller stieg, sei es offenbar wohl schon zu spät gewesen.

Fehler im Geschäftsmodell?

CH Media setzte bei den Today-Portalen auf ein rein werbefinanziertes Modell. Für Vinzenz Wyss angesichts der Dominanz von Google und Meta in der Werbebranche ein Fehler: «Es wäre wünschenswert gewesen, schon vor der Lancierung der Today-Portale eine digitale Strategie zu entwickeln, die alle Medienangebote von CH Media — Zeitungen, Radio und TV — berücksichtigt.» Roger Blum sieht hier ebenfalls Versäumnisse: «CH Media hat den Anschluss im Online-Markt verpasst.» Andere Medienhäuser wie Ringier und Tamedia hätten frühzeitig in Online-Dienstleistungen investiert, an denen sie gutes Geld verdienten.

Zu den Experten

Warum hält CH Media an den TV-Stationen und Radiostationen fest?

Obwohl die Zuschauerzahlen der regionalen TV-Stationen ebenfalls rückläufig sind, bleibt CH Media diesen Angeboten treu. Vinzenz Wyss vermutet, dass hier der Einfluss des Verleger-Vaters Peter Wanner eine Rolle spielt. «Er möchte im Deutschschweizer TV-Markt präsent bleiben. Zudem könnten in Aussicht gestellte Förderungen durch Gebührengelder diesen Wunsch unterstützen.»

Das sagt CH Media

Das Projekt der Today-Plattformen startete erst 2015, neun Jahre später ist Schluss. Haben Sie sich verzockt?
Zwar verzeichneten die Today-Portale steigende Reichweiten, aber leider waren die Werbeumsätze zuletzt rückläufig. Aus heutiger Perspektive ist ein kostendeckender Betrieb nicht mehr absehbar. Unternehmerisch zu handeln, bedeutet neue Geschäftsfelder zu erschliessen – aber auch Korrekturen vorzunehmen, wenn die notwendigen Ziele nicht erreicht werden. Das müssen wir nun leider tun.

Wann zeichnete sich ab, dass es nicht mehr möglich sein wird, sie rentabel zu betreiben?
FM1Today wurde 2015 als erstes Today-Portal gegründet und konnte sich in der Region Ostschweiz positiv entwickeln. Auf dieser Basis haben wir den Ausbau in den weiteren Regionen geplant und die Lücke in den regionalen Märkten besetzt. Zwar verzeichneten die Today-Portale steigende Reichweiten, aber leider stagnierten die Werbeumsätze. Aus heutiger Perspektive ist ein kostendeckender Betrieb nicht mehr absehbar.

Was ändert sich für den User?
Die User der Today-Portale werden je nach Region auf die Onlineportale unserer regionalen Zeitungstitel beziehungsweise auf «Watson» umgeleitet. Dazu berichten unsere regionalen TV- und Radiosender weiterhin wie gewohnt über das Geschehen in den verschiedenen Regionen der Deutschschweiz.

Wie steht es um weitere Angebote wie den Kult-Sender Tele Züri: Müssen die Fans jetzt auch darum bangen?
Nein, wir legen weiterhin einen starken Fokus auf unsere in den Regionen fest verankerten Zeitungs-, TV- und Radiomarken.

Die Reichweite ist gestiegen, der Umsatz ging zurück. Können werbefinanzierte regionale Newsplattformen gar nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden?
Die Medienbranche befindet sich in einem fundamentalen Strukturwandel. In diesen anspruchsvollen Zeiten können wir uns keine Produkte leisten, denen die wirtschaftliche Perspektive fehlt.

Gefahr für den Lokaljournalismus?

Die Schliessung der Today-Portale ist ein Verlust für den Lokaljournalismus, da sind sich beide Experten einig. Beide sehen aber noch Hoffnung: «Es gibt Chancen, dass eine Digitalstrategie der verbleibenden Medienangebote von CH Media das Lokale stärker unterstützt», meint Wyss. Für Roger Blum bedeutet der zunehmende Stellenabbau auch einen Qualitätsverlust: «Immer weniger Journalisten müssen immer mehr Themen in kürzerer Zeit abdecken.» Das sei sehr gefährlich, da eine direkte Demokratie ohne guten Journalismus nicht funktionieren würde.

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