China auf dem Weg zur Weltmacht: «Moral spielt in der Geopolitik keine Rolle»

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Fokus auf 2049Chinas Weg zur Weltmacht: «Geopolitisch spielt Moral keine Rolle»

Trump, Trump, Trump tönt es in den Schlagzeilen. Derweil strebt China unbeirrt sein Ziel an, 2049 führende Weltmacht zu sein. Die Chancen stehen gut, sagt Geopolitik-Experte Remo Reginold.

Donald Trump hat hohe Zölle auf Waren aus diversen Ländern verhängt. In der Folge fielen weltweit Börsenkurse.
Während die Weltaufmerksamkeit auf den USA liegt, ist man im Reich der Mitte relativ gelassen.
Das sagt Remo Reginold, Experte für Geopolitik.
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Donald Trump hat hohe Zölle auf Waren aus diversen Ländern verhängt. In der Folge fielen weltweit Börsenkurse.

AFP

Darum gehts

  • Donald Trump macht mit seinem Zoll-Hammer wieder einmal weltweit von sich reden und schickt die Aktienmärkte auf Tauchgang.

  • China reagiert mit Gegenzöllen – bleibt ansonsten laut Geopolitik-Experte Remo Reginold relativ gelassen.

  • Das hat laut dem Experten gute Gründe: «China will bis 2049 die dominierende Weltmacht sein und plant in einem Zeithorizont, der weit über Trump hinausgeht.»

Alle Welt blickt auf die USA. Welche Ziele verfolgt eigentlich China?

Remo Reginold*: China will bis 2049 kulturell, politisch und wirtschaftlich die führende Nation der Welt sein. Darauf ist alles ausgerichtet. Und sie wollen bis dann fähig sein, überall auf der Welt und sogar im Weltall Kriege nicht nur führen, sondern auch gewinnen zu können.

China hat eine Fläche von 9.596.960 km² und ist damit das viertgrösste Land der Welt nach Russland, Kanada und den USA. Mit ungefähr 1,42 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern liegt es in dieser Rangliste knapp hinter Indien auf Rang 2.

China hat eine Fläche von 9.596.960 km² und ist damit das viertgrösste Land der Welt nach Russland, Kanada und den USA. Mit ungefähr 1,42 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern liegt es in dieser Rangliste knapp hinter Indien auf Rang 2.

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Wird ihnen das gelingen?

Die Zeichen stehen gut. Wirtschaftlich und technologisch hat China den Westen teils schon abgehängt. Und während die USA und Europa mit Hindernissen bei der Aufrüstung kämpfen, hat China Strukturen geschaffen, um innert kürzester Zeit massiv aufrüsten zu können. Aktuell fahren sie aber mit ihrem Motto «Gewinnen ohne militärischen Kampf» recht gut.

«China will ausstrahlen, was in den USA verloren geht: Eine stabile, regelbasierte Ordnung.»

Remo Reginold, Experte für Geopolitik

Hat Chinas Kurs sich durch Trumps Amtsantritt verändert?

Nein. Die chinesische Führung denkt in einem viel grösseren Zeithorizont. Sie schauen zu, wie Trump poltert und Europa in Hektik verfällt. Selber versuchen sie international, Zuversicht, Ruhe und Verlässlichkeit auszustrahlen. Sie präsentieren dem Rest der Welt das, was in den USA zunehmend verloren geht: wir brauchen eine stabile, regelbasierte Ordnung.

Das Swiss Institute for Global Affairs

Remo Reginold ist Direktor des Think Tanks «Swiss Institute for Global Affairs».

Remo Reginold ist Direktor des Think Tanks «Swiss Institute for Global Affairs».

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Remo Reginold ist Direktor des Think Tanks «Swiss Institute for Global Affairs». Das Institut betreibt, unterstützt und fördert interdisziplinäre Forschung zu geo- und sicherheitspolitischen Themen. Ziel ist es, Visibilität für diese Themengebiete zu schaffen sowie neue Ansätze in der Analyse und Methodik zu erarbeiten. Dabei steht im Vordergrund, die breite Öffentlichkeit für diese Herausforderungen zu sensibilisieren sowie Übersetzungs- und Vermittlungsarbeit zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zu leisten.

Wirkt das? Treibt Trumps Politik den Rest der Welt in die Hände Chinas?

In Europa, aber auch in anderen westlich orientierten Ländern wie Japan oder Südkorea ist Unruhe spürbar. Dass die Welt in Chinas Hände getrieben wird, wäre wohl überspitzt formuliert. Aber China ist dem Westen gegenüber sehr offen und strebt Annäherungen und Kooperationswillen an, die verlockend sind. Gleichzeitig schaffen die Chinesen wirtschaftliche und technologische Fakten. Und damit infrastrukturelle Abhängigkeiten.

Zum Beispiel?

Abgehängt wurden wir etwa bei der Elektromobilität, siehe BYD. Oder bei Solarpanels. Aber auch im Bereich Social Media und Social Engineering: Tiktok ist eine absolute Vorreiterplattform in Architektur und Design geworden. Im Bereich Billiggüter hat China längst Abhängigkeiten geschaffen, siehe Temu, Shein und Alibaba. Der Wohlstand der Schweiz und anderer europäischer Länder wurde in den letzten Jahrzehnten auf zwei Säulen gebaut: Sicherheitsgarantien der USA und Billigwaren aus Asien.

In der Umweltarena Spreitenbach hat der chinesische E-Autohersteller BYD seine Pläne für die Schweiz und Europa verkündet.
Verantworten wird die Offensive die italienische Automanagerin Maria Grazia Davino.
Stella Li, die Nummer 2 im weltgrössten E-Auto-Konzern nach dem Gründer Wang Chuanfu.
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In der Umweltarena Spreitenbach hat der chinesische E-Autohersteller BYD seine Pläne für die Schweiz und Europa verkündet.

BYD

Und das bricht nun zusammen?

Nicht unbedingt. China ist genauso auf Abnehmer angewiesen wie wir auf die billigen Produkte. Schauen wir Trumps Zölle an: Chinas grösste Angst ist nicht der direkte Schaden für ihre Wirtschaft, sondern ein Zusammenbruch der amerikanischen Wirtschaft, weil den Amerikanern dann die Kaufkraft fehlt, um all die chinesischen Waren zu bestellen. China will nicht den Welthandel übernehmen oder gar militärisch die Welt erobern. China will am Welthandel teilhaben und diesen mitprägen – und das nicht nur im Westen, sondern auch auf dem afrikanischen Kontinent, dem Kontinent der Zukunft.

Mit dem Bau von kritischer Infrastruktur?

Auch, aber das geht viel tiefer. Ist China in einem afrikanischen Land aktiv, ist es Usus, Stipendien an lokale Talente zu vergeben. Diese gehen ein paar Jahre in China studieren und werden mit den chinesischen Werten ausgebildet oder auch «indoktriniert». Dann werden sie zurück ins Heimatland geschickt und übernehmen dort Führungspositionen. Und schon hat man Menschen in mächtigen Positionen, die China wohlgesinnt sind.

Belt and Road Initiative

Die chinesische Belt and Road Initiative (BRI) ist ein weltweites Infrastrukturprojekt, mit dem China Handelswege auf Land und See ausbauen will – ähnlich wie eine moderne Seidenstrasse. Dabei investiert China in Strassen, Häfen, Eisenbahnen und Energieprojekte in über 140 Ländern. Ziel ist es, wirtschaftliche Verbindungen zu stärken und Chinas Einfluss weltweit auszubauen. Die untenstehende Grafik stammt vom Mercator Institute for China Studies und gibt einen Überblick über schon realisierte und geplante Projekte der Initiative.

«Indoktrinieren», «wohlgesinnte Menschen in Machtpositionen»: Nach freundlicher Zusammenarbeit klingt das nicht.

Das kann man durchaus kritisch sehen. Es ist wirkungsvolle Beeinflussung mit einem freundlichen Lächeln. Und man muss zugeben, dass es ziemlich schlau ist und China seinem Ziel bis 2049 einen Schritt näher bringt.

Das Bild, das in westlichen Gesellschaften über China vorherrscht, ist negativ geprägt. Einverstanden?

Ja. Im Westen ist derzeit eine Generation von Führungspersonen im Amt, die im Kalten Krieg gross geworden sind. Und in diesem relativ starren Denken ist China durchaus auch ein Feind. Zudem haben Negativmeldungen zu den Uiguren, die Unterdrückungsaktionen zu den Protesten in Hongkong oder auch das Social Credit System das Negativbild verstärkt. Dass dieses Bild auch in der Gesellschaft vorherrscht, zeigt sich etwa auch darin, dass aktuell sehr wenige Europäer in China studieren.

Wie schneiden die USA, China und Europa ab, wenn man verschiedene messbare Grössen vergleicht? Der Ray Dalio Index gibt Aufschluss darüber.

Wie schneiden die USA, China und Europa ab, wenn man verschiedene messbare Grössen vergleicht? Der Ray Dalio Index gibt Aufschluss darüber.

Quelle: Ray Dalio The Great Powers Index: 2024

Der Stärkeindikator wird als Index von 0 bis 1 angegeben (höher = stärkere Macht), die Glücks-/Gesundheitsindikatoren werden als Z-Werte angegeben (höher = besser) und die zukünftigen realen Wachstumsschätzungen werden als annualisierte Wachstumsraten angegeben. Die Durchschnittsspalten zeigen einen gleich grossen Durchschnitt der Z-Werte für Stärke, Gesundheit, Glück und erwartetes Wachstum.

Heilige sind sie ja tatsächlich auch nicht. Menschenrechtsverletzungen, Internetzensur und Social Crediting sind Tatsachen.

Dem widerspreche ich auch nicht. Aber wir sprechen hier über Geopolitik und so brutal es klingt, Moral und Werte haben da nichts zu suchen. Und genau hier liegt einer der Denkfehler der heutigen europäischen Führer: Sie sehen sich als Bollwerk der moralischen Weltordnung, werden aber von der Realität überholt. Und: Europa legt hier oft auch eine Doppelmoral an den Tag.

Europäische Anführer wie Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, sehen sich laut Reginold als «Bollwerk der moralischen Weltordnung».

Europäische Anführer wie Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, sehen sich laut Reginold als «Bollwerk der moralischen Weltordnung».

AFP

Ein Beispiel?

Wir haben mit dem Finger auf Indien gezeigt, weil es trotz Sanktionen russisches Gas importierte, obwohl es sich dabei nur um einen Bruchteil des russischen Gases handelte, das über Umwege nach Europa gelangte. Wir schiessen gegen Katar wegen Menschenrechtsverletzungen und kaufen trotzdem in grossen Mengen katarisches Gas. Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die zeigen: In der Geopolitik zählen Opportunitäten, nicht die Moral.

«Die Welt ist hochkomplex und volatil geworden. Es gilt das Recht des Clevereren.»

Also gilt das Recht des Stärkeren?

Es gilt das Recht des Clevereren. Die Welt ist hochkomplex und sehr volatil geworden. Am Ende triumphiert der, der einen klaren Plan verfolgt, diesen aber auf veränderte Gegebenheiten anpassen kann. Und das macht China derzeit am geschicktesten.

Ein Plan bis 2049 und so viel Macht auf einer Person gebündelt, Xi Jinping, scheint mir nicht von sonderlich viel Flexibilität zu zeugen.

Auch das ist ein weit verbreitetes Missverständnis: Xi Jinping ist zweifellos sehr mächtig. Aber er steht nicht über der Idee des Grossen China. Droht diese zu scheitern, wird Jinping ohne mit den Wimpern zu zucken durch einen neuen Anführer ersetzt.

Der chinesische Präsident Xi Jingping: Laut Reginold durchaus ein mächtiger Führer. «Aber er steht nicht über der Idee des Grossen China. Droht diese zu scheitern, wird Jinping ohne mit den Wimpern zu zucken durch einen neuen Anführer ersetzt.»

Der chinesische Präsident Xi Jingping: Laut Reginold durchaus ein mächtiger Führer. «Aber er steht nicht über der Idee des Grossen China. Droht diese zu scheitern, wird Jinping ohne mit den Wimpern zu zucken durch einen neuen Anführer ersetzt.»

Getty Images

Das alles klingt sehr positiv. Teil der chinesischen Realität sind aber auch eine Immobilienkrise, hohe Verschuldung und tiefe Direktinvestitionen aus dem Ausland.

Das stimmt. China ist ebenso unperfekt wie jedes andere Land der Welt auch, mit diesen Problemen müssen sie umgehen. Trotzdem glaube ich, dass China langfristig gut aufgestellt ist. Es wird zum Beispiel ein qualitatives Wachstum von fünf Prozent angestrebt und nicht mehr aggressive Wachstumszahlen. Dieses eher bescheidene Wachstum ist ein Zeichen von einer gewissen Gelassenheit.

Was löst die Aussicht, dass China immer mächtiger wird, in dir aus?

Wieso macht China nicht mehr dafür, sein Image in der westlichen Welt zu korrigieren?

Ich habe mich das etwa auch während der Aufstände in Hongkong gefragt oder bei der Kritik am Umgang mit den Uiguren. Ich sehe zwei Erklärungsansätze: Entweder hat China das nicht nötig, weil sie glauben, den Lauf der Zeit auf ihrer Seite zu haben. Gefürchtet werden kann auch positive Effekte haben. Oder: Womöglich ist China innenpolitisch gar nicht so stark und geeint, wie das nach aussen hin aussieht. Denn Fakt ist: Das chinesische Politsystem ist viel komplizierter als einfach eine Partei und alle sind stramm auf Parteilinie. Es gibt auch viel Bürokratie und unterschiedliche Interessen.

Natürlich sei China bei weitem nicht perfekt, räumt Reginold ein. In Hongkong kam es 2019 zu Protesten, die China blutig niederschlagen liess.

Natürlich sei China bei weitem nicht perfekt, räumt Reginold ein. In Hongkong kam es 2019 zu Protesten, die China blutig niederschlagen liess.

IMAGO/Depositphotos

Auch kulturell findet kaum Annäherung statt. Mit Werbung für Ferien in Dubai wird man überhäuft, aber Ferien in China ...?

Auch hier könnte eine Rolle spielen, dass China westlichen Tourismus nicht als nötig erachtet. China muss den durchschnittlichen westlichen Bürger nicht von sich überzeugen, es macht ihn durch die Hintertür von sich abhängig. Temu ist hierfür ein gutes Beispiel, aber auch die ganzen Technologien im Bereich der Nachhaltigkeit oder der künstlichen Intelligenz.

Seltene Erden sind laut Reginold ein Machtfaktor, der durchaus zu Gewalt verleiten könnte. Die weltweite Nachfrage dürfte sich bis 2050 fast verdoppeln, China ist mit Abstand der grösste Produzent. Grafik: 20 Minuten Quelle: USGS, Grafik: 20 Minuten

Seltene Erden sind laut Reginold ein Machtfaktor, der durchaus zu Gewalt verleiten könnte. Die weltweite Nachfrage dürfte sich bis 2050 fast verdoppeln, China ist mit Abstand der grösste Produzent. Grafik: 20 Minuten Quelle: USGS, Grafik: 20 Minuten

20 Minuten Visual

China will sich also zur Weltmacht aufschwingen. Was sind kritische Faktoren, von denen der Erfolg abhängt?

Der Zugang zu Ressourcen wird ein Thema sein, der wohl auch von offener Gewaltbereitschaft begleitet sein wird: China braucht für die Vorherrschaft im Informationsraum die Ressourcen, also etwa Seltene Erden, um die IT-Hardware zu bauen. IT-Hardware, Software – Stichwort KI - und Daten werden die Weltwährung sein.

Apropos KI: Wer gewinnt hier das Rennen?

Interessanterweise arbeiten die USA und China hier durchaus zusammen. Ich glaube nicht, dass es einen Sieger geben wird, weil man aufeinander angewiesen ist.

Und das Rennen ums Weltall?

Hier steht natürlich aus westlicher Sicht Elon Musk mit SpaceX im Moment im Fokus. China hat mit der Landung auf der Rückseite des Mondes und der neuen Raumstation aber demonstriert, dass sie rasch aufholen und allenfalls überholen können.

Ein Blick auf die Weltkarte, eingefärbt nach dem führenden Handelspartner aller Länder, zeigt: China dominiert im Welthandel. Grafik: 20 Minuten

Ein Blick auf die Weltkarte, eingefärbt nach dem führenden Handelspartner aller Länder, zeigt: China dominiert im Welthandel. Grafik: 20 Minuten

Inspiration: Econoviz, Quelle U.S. Census Bureau, Chinese General Administration of Customs

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