Ukrainerin Anna (23)«Es fühlt sich an, als hätte ich endlich ein bisschen Glück»
Anna Bila (23) hatte genaue Pläne für ihre künstlerische Zukunft in Kiew – doch der Krieg zerstörte ihre Träume. Anderthalb Jahre später tanzt sie nun in ihrem eigenen Studio in Oerlikon.
Darum gehts
Anna Bila (23) floh nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs in die Schweiz.
Bereits in ihrer Heimat tanzte und unterrichtete sie in einem Tanzstudio.
Nun hat sie ihr eigenes Tanz- und Fotostudio in Oerlikon ZH eröffnet.
Im Erdgeschoss läuft die Banksy-Ausstellung, durch eine Hintertür erreicht man das Treppenhaus, welches eine willkommene Abkühlung vom heissen Spätsommer bietet. Gleich neben dem Bahnhof Oerlikon ZH steht das Gebäude, in dem die Ukrainerin Anna Bila (23) ihr neues Tanz- und Fotostudio eingerichtet hat. Noch ist es relativ leer – bis auf einen breiten Wandspiegel, eine Fotoleinwand und einige Stühle. Vor den Fenstern hängen bunt bemalte Vorhänge. «Meine Künstler-Freunde haben sie gestaltet», erklärt Bila.
«Ich unterrichtete als Tanzlehrerin in einem anderen Studio in Oerlikon – doch als dieses dicht machte, sagte mir die Besitzerin: ‹Nimm die Schülerinnen und Schüler mit und starte was Eigenes›», erzählt sie. Und genau das hat sie Anfang September mit dem Tanz- und Fotostudio «AU.CH» gemacht, wo sie Funk- und Hip-Hop-Kurse anbietet. «Es fühlt sich an, als hätte ich endlich ein bisschen Glück – es ist wie ein Geschenk des Lebens.»
«Es war wie in einer Apokalypse»
Anna stammt ursprünglich aus Cherson, lebte aber bereits lange Zeit in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Dort war sie als Tanzlehrerin tätig, befand sich im Masterstudium zur Filmemacherin und jobbte als Freelance-Fotografin und Video-Regisseurin. Dieses Leben musste sie jedoch im Februar 2022 aufgeben.
«Überall heulten Sirenen, Gebäude standen in Brand, in den Läden gab es keine Lebensmittel mehr – es war wie in einer Apokalypse», erinnert sie sich. Bereits einen Tag nach Kriegsausbruch packte die damals 22-Jährige ihre Sachen – am nächsten Tag hatte sie die Ukraine verlassen. «Das Schrecklichste für mich war es, meine jungen Tanzschülerinnen und -schüler zurückzulassen.»
«Zürich fühlt sich wie eine zweite Heimat an»
Annas beste Freundin, die zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs in der Ukraine war, studierte in Genf. «Sie meinte, ich solle doch zu ihr in die Schweiz kommen», erzählt die 23-Jährige. Als der jungen Ukrainerin nach drei Monaten in der Schweiz klar wurde, dass der Krieg nicht endet, machte sie sich auf die Suche nach einem Job – und wurde in Zürich fündig. «Ich startete bei 20 Minuten ein Praktikum als Fotografin und arbeitete letztendlich elf Monate dort.»
In Genf habe sie sich zwar sicher gefühlt, aber ihr habe die Kunstszene gefehlt. «Als ich nach Zürich kam, fühlte es sich wie eine zweite Heimat an», erzählt Anna strahlend. «Es hat so viele Künstlerinnen und Künstler, die Stadt und Menschen sind sehr offen – es erinnert mich an mein Zuhause in Kiew.» Viele hätten Anna helfen und unterstützen wollen, doch sie zog es vor, selbstständig klarzukommen. «Ich lehnte die Sozialhilfe ab, zahlte meine Versicherungen selbst – auch die Gratis-Sim-Karte der Swisscom wollte ich nicht haben», sagt sie.
«Ich weiss nicht mehr, ob ich zurück in meine Heimat will»
Neben dem Aufbau ihres eigenen Tanzstudios arbeitet Anna als Freelancerin bei einem Marketing-Unternehmen. Und sie studiert auch wieder: An der Zürcher Hochschule der Künste hat sie ein Masterstudium in Transdisziplinarität begonnen. Das bedeute auch, dass Anna noch mindestens zweieinhalb Jahre in der Schweiz bleiben werde. «Ich weiss nicht mehr, ob ich noch zurück in meine Heimat will», sagt sie.
Ihr Ziel sei es, zukünftig ihr Tanzstudio zum Hauptberuf machen zu können. Kinder, Teenager sowie Erwachsene sind bei ihr willkommen. Eine Lektion kostet 25 Franken, ein Saisonabo für vier Monate bekommt man für 350 Franken – besucht man mehrere Tanzstunden, gibt es einen Mengenrabatt.
«In der Schweiz ist die Tanzszene immer noch hauptsächlich ein Hobby – ich will aus meinen Schülerinnen und Schülern professionelle Tänzer machen und ihnen zeigen, dass sie ihre Leidenschaft auch zum Beruf machen können.» Und: «Ich will in meinem Tanzstudio einen Ort der Gemeinschaft schaffen, wo sich meine Schülerinnen und Schüler treffen, austauschen und zusammen Zeit verbringen können, um eine starke Verbindung untereinander aufzubauen.»
Tanzt du gerne?
Beschäftigt dich oder jemanden, den du kennst, der Krieg in der Ukraine?
Hier findest du Hilfe für dich und andere:
Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Kriegsangst?, Tipps von Pro Juventute
Beratungsangebot (Deutsch, Ukrainisch, Russisch), von Pro Juventute
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Anmeldung und Infos für Gastfamilien:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 058 105 05 55
Keine News mehr verpassen
Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.