Natalie Urwyler gewinnt im Schadenersatz-Prozess gegen Inselspital

Publiziert

GeschlechterdiskriminierungÄrztin verklagt Inselspital auf 5 Millionen Franken

Natalie Urwyler führt seit zehn Jahren einen Rechtsstreit gegen das Berner Inselspital. Sie ist sich sicher: Ihr wurde die Beförderung aufgrund ihres Geschlechts verwehrt. 

Natalie Urwyler führt seit zehn Jahren einen Rechtsstreit gegen ihren alten Arbeitgeber ...
... das Inselspital in Bern. Urwyler bekam nicht nur wegen einer unrechtmässigen Kündigung vor Gericht recht, sondern auch, als sie wegen versagter Karrierechancen Schadenersatz forderte. 
Personaldirektorin Nicole Stämpfli hält das jüngste Urteil des Gerichts für unverständlich. 
1 / 3

Natalie Urwyler führt seit zehn Jahren einen Rechtsstreit gegen ihren alten Arbeitgeber ...

Wikipedia/ Oliver Lovey

Darum gehts

  • Die Ärztin Natalie Urwyler verklagte 2020 das zweite Mal ihren Ex-Arbeitgeber, das Berner Inselspital. 

  • Sie forderte Schadenersatz, weil ihr durch eine vorausgegangene Kündigung Karrierechancen verbaut worden seien.

  • Das Gericht Bern-Mittelland gab der 51-Jährigen recht. Wie hoch der Schadenersatz ausfällt, steht noch nicht fest. 

Natalie Urwyler (51) ist überzeugt: Wäre sie ein Mann, hätte das Berner Inselspital sie nach ihrer Habilitation schon längst befördert. Da sie aber eine Frau ist, verwehrte das Spital ihr den Karrieresprung. Nun entschied das Regionalgericht Bern-Mittelland Ende Januar zu ihren Gunsten: Die Richterin gab der Anästhesistin recht. Ob die 51-Jährige die geforderten fünf Millionen Franken Schadenersatz erhält, ist aber noch nicht entschieden. Ausserdem will das Inselspital das Urteil weiter vors Obergericht ziehen. Über den Fall berichtet die «NZZ»

Bereits 2018 gab das Obergericht des Kantons Bern Urwyler Recht: Ihr war zu Unrecht gekündigt worden: Die Kündigung erhielt sie während ihres unbezahlten Mutterschaftsurlaubs, zuvor hatte sie sich im Spital für den gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschutz und die Gleichstellung eingesetzt. Vor Gericht plädierte sie auf eben diese und machte eine Rachekündigung geltend. Das Inselspital musste Urwyler schliesslich 465'000 Franken Lohn nachzahlen und sie wieder anstellen. Die Ärztin ist eine der ersten Personen, die sich aufgrund des Gleichstellungsgesetzes gegen einen Konzern vor Gericht durchgesetzt hat.

Urwyler fordert fünf Millionen Franken Schadenersatz

2020 klagte die heute 51-Jährige dann erneut, diesmal ging es um Schadenersatz. Denn mittlerweile arbeitet die Ärztin am Spital Wallis. Dort verdient sie aber nicht nur weniger, sondern hat auch ihrer Ansicht nach eingeschränktere Karrieremöglichkeiten als am Berner Inselspital. Wäre sie damals nicht gekündigt worden, hätte sie Aussicht auf einen Chefarztposten oder eine Professur gehabt. Denn das Inselspital hatte sie nach dem ersten Urteil zwar wieder eingestellt, sie dann aber sogleich wieder freigestellt — zu zerrüttet sei das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Chef. 

Urwyler fordert fünf Millionen Franken Schadenersatz vom Inselspital — sie sagt aber, ihr gehe es um viel mehr, nämlich die Gleichberechtigung von Frauen gegenüber ihren männlichen Kollegen. «Ich will, dass eine verhinderte Frauenkarriere ein Preisschild erhält», sagte sie 2020 der «NZZ am Sonntag». Sie ist sich sicher, dass sie im Inselspital nicht befördert worden war, weil sie eine Frau ist: «Ich hatte einen klar besseren Leistungsausweis als die Männer, die leitende Ärzte wurden.»

Berner Inselspital hält Forderung für realitätsfremd

Für Urwylers Ex-Arbeitgeber ist das Urteil des Gerichts nicht nachvollziehbar: Denn für den Zeitraum, für den Urwyler die Beförderung anberaumt, war sie längst freigestellt. Die Personalchefin des Inselspitals sagte gegenüber der NZZ, dass sie es für «unverständlich und realitätsfern» halte, jemanden zu befördern, der gar nicht mehr bei besagtem Arbeitgeber tätig ist. Der Anwalt des Spitals, Jörg Zumstein, hält es ausserdem für bedenklich, dass eine bestimmte formale Qualifikation – in diesem Fall Urwylers Habilitation – automatisch zur Beförderung führen sollte: «Hat dieser Entscheid Bestand, könnte praktisch jeder Arzt, der habilitiert worden ist, einen Anspruch erheben, vom Oberarzt zum leitenden Arzt befördert zu werden.» Laut einer Statistik des Spitals werde nur ein Viertel der habilitierten Ärzte auch zum Chefarzt befördert. 

Schon jetzt wird darüber diskutiert, dass Urteil des Gerichts Bern-Mittelland Folgen hat, die über den Fall Urwyler hinausgehen. Müssen künftig alle Spitäler ihre Ärzte befördern, wenn diese eine Habilitation vorweisen? Arbeitsrechtsexperte Thomas Geiser sieht das nicht gegeben: Nur wenn nachweisbar ist, dass ein Mann gegenüber einer Frau bevorzugt werde, hätten die Spitäler ein Problem. 

Wurdest du schon mal aufgrund deines Geschlechts diskriminiert?

Keine News mehr verpassen

Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.

Deine Meinung zählt