BernHier zahlen Touristen 1400 Franken – pro Woche
In einem Hochhaus in Berns sozial schwächstem Viertel kann man neuerdings Ferien machen. Eine gute Idee? Die Meinungen gehen auseinander.
Darum gehts
Die Stiftung Ferien im Baudenkmal saniert vom Verfall bedrohte Baudenkmäler und bietet sie als Ferienwohnungen an.
Ihr jüngstes Baudenkmal hat die Stiftung in der Stadt Bern eröffnet: eine Wohnung im 70er-Jahre-Hochhaus Fellergut in Bümpliz. Sie kostet 1400 Franken pro Woche.
Kritiker sehen eine Zweckentfremdung von Wohnraum, während Befürworter eine Aufwertung des Quartiers und den positiven Tourismus-Effekt betonen.
Die Stiftung Ferien im Baudenkmal kauft in der ganzen Schweiz heruntergekommene Baudenkmäler und saniert sie zu schmucken Ferienobjekten. Wer bauhistorisch interessiert ist und über das nötige Kleingeld verfügt, kann sich im Kanton Bern beispielsweise einen Aufenthalt in der alpinen Scheune Beatenberg (1084 Fr. pro Woche), im spätmittelalterlichen Altstadthaus du Bourg in Biel (1556 Fr.) oder im Rebarbeiterhaus in Twann (1805 Fr.) gönnen. Die Idee: Schützenswerte Bauten vor dem Verfall retten und zugleich nachhaltigen Tourismus betreiben.
In der Stadt Bern hat die gemeinnützige Stiftung nun ihr jüngstes Baudenkmal eingeweiht – und dieses tanzt unter all den charmanten Bauern- und Bürgerhäusern deutlich aus der Reihe: Es handelt sich um eine Systembauwohnung im über 20 Stockwerke umfassenden Hochhaus H10 im Bümplizer Fellergut. Das Quartier biete mit seinen Grossüberbauungen einen «einzigartigen Einblick in die Schweizer Architekturlandschaft insbesondere der Nachkriegszeit» und die Maisonettewohnung im 14. und 15. Stock «Weitsicht bis zu den Berner Alpen», wird das neueste Objekt auf der Webseite der Stiftung angepriesen.
Polarisierender Stadtteil
Der Stadtteil VI, zu dem auch Bümpliz zählt, polarisiert wie kein anderer. Die Bewohnerinnen und Bewohner schätzen das viele Grün und die gute Verkehrsanbindung, vor allem aber die vergleichsweise tiefen Mieten. Hier kostet eine Wohnung im Schnitt 1104 Franken pro Monat; der gesamtstädtische Durchschnittsmietpreis liegt bei 1289 Franken.

«Einzigartiger Einblick in die Schweizer Architekturlandschaft der Nachkriegszeit»: Hochhaussiedlung Fellergut in Bümpliz
Stiftung Ferien im BaudenkmalGleichzeitig weisen die Quartiere in Berns Westen die höchsten Anteile ausländischer Personen, die höchsten Quoten bei Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen und die tiefsten steuerbaren Haushaltseinkommen auf. Wegen der hohen baulichen und sozialen Dichte wird Bümpliz zuweilen abschätzig als «Ghetto von Bern» bezeichnet.
«Wohnraum können andere besser brauchen»
Ausgerechnet in einer Hochhaussiedlung im ärmstem Viertel werden künftig also vermögende Touristen und Touristinnen logieren – und das für 1400 Franken pro Woche.
Eine Ferienwohnung im Hochhaus Fellergut – eine gute Idee?
Nicht alle sind vom neusten Angebot der Stiftung begeistert. Wenn auch weniger akut als in anderen Stadtteilen, so herrsche doch auch in Bümpliz eine gewisse Wohnungsknappheit, sagt Ueli Jaisli, Präsident des Nordquartier-Leists Bern Bümpliz und SVP-Stadtrat. Umso wichtiger sei es, dass man Leuten mit tieferen Einkommen und ihren Familien günstige Wohnungen anbieten kann. «Vor diesem Hintergrund erscheint mir eine Ferienwohnung im Fellergut nicht sehr sinnvoll. Hier wird Wohnraum für Touristen geschaffen, den andere Leute viel besser gebrauchen können», sagt Jaisli.
«Andere Gruppe von Touristen angesprochen»
Für Stanislas Zimmermann, Professor für Architektur und Entwurf an der Berner Fachhochschule (BFH), überwiegen hingegen klar die Vorteile. So würden beispielsweise Selbst- und Aussenwahrnehmung des Quartiers eine Aufwertung erfahren und es werde möglicherweise eine andere Gruppe von Feriengästen angesprochen. «Ein neues Quartier wird für Touristen zugänglich und so die Touristen besser auf das ganze Stadtgebiet verteilt», sagt Zimmermann.
Den Preis von 1400 Franken pro Woche erachtet der Architekt zudem als gerechtfertigt, da er auch die sorgfältige historische Möblierung und den Unterhalt umfasse. «Der relativ hohe Preis entspricht den und würdigt die hohen städtebaulichen und architektonischen Qualitäten.»

Die Wohnung befindet laut Stiftung nahezu im Originalzustand und ist mit Gegenständen ausgestattet, die aus den 70er-Jahren stammen oder stammen könnten.
Stiftung Ferien im BaudenkmalZwar verschwinde eine günstige Wohnung vom Wohnungsmarkt, räumt Zimmermann ein. Aber: «Eine leichte Gentrifizierung, die zu einer stärkeren Durchmischung der Bevölkerungsstruktur führt, kann durchaus positiv sein.» Gentrifizierung werde problematisch, sobald sie zu einer Verdrängung der ursprünglichen Bewohnerinnen und Bewohner führe und die sozialen Netzwerke beschädige – so wie dies heute zum Beispiel in der Stadt Zürich der Fall ist, sagt Zimmermann.
«Vermieten von Baudenkmälern nicht Problem»
Auch die SP, die sich seit Jahren lautstark für günstigen Wohnraum einsetzt, sieht in der Ferienwohnung im Fellergut keinen Grund zur Sorge. Zwar sei man grundsätzlich gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum, sagt Lena Allenspach, Co-Präsidentin SP Stadt Bern: «In der Stadt Bern ist aber nicht das Renovieren und anschliessende Vermieten von Baudenkmälern durch gemeinnützige Stiftungen das Problem.» Für die SP sind die Übeltäter Immobilienkonzerne und Airbnb, welche die Mieten in die Höhe treiben bzw. dem Wohnungsmarkt Wohnungen entziehen würden.
Dennoch sei es wichtig, dass die Stiftung transparent mit den Quartierbewohnerinnen und -bewohnern kommuniziere, sagt Allenspach: «Die Beteiligung des Quartiers kann dazu beitragen, dass es zu einer Bereicherung für alle führt.»
Das sagt die Stiftung
Die Stiftung Ferien im Baudenkmal weist den Vorwurf des Leist-Präsidenten, wonach mit dem neuesten Angebot günstiger Wohnraum vom Markt verschwinde, zurück. Beim H10 im Fellergut handle es sich um ein Hochhaus mit Eigentumswohnungen. «Die Wohnung war und ist also seit ihrer Errichtung eine Eigentumswohnung einer Privatperson und wird nun über die Stiftung vermietet. Als Sozialwohnung käme sie daher nicht in Frage», erklärt die Kommunikationsverantwortliche Nancy Wolf.
Die Vermietung einer Ferienwohnung im Fellergut habe ferner nicht den Zweck, Bümpliz als touristischen Ferienort zu präsentieren, sagt Wolf. Die Objekte der Stiftung würden grundsätzlich nicht an touristischen Hotspots liegen. «Es geht in erster Linie darum, die Schweiz in ihrer baukulturellen Vielfalt zu zeigen und erlebbar zu machen.»
Die 1400 Franken pro Woche seien in Relation zur Anzahl der Gäste und Übernachtungen zu sehen. Eine Woche im Hochhaus Fellergut koste bei Vollbelegung (4-6 Personen) pro Gast maximal 50 Franken pro Nacht. «In Bern dürfte es nur wenige andere Unterkünfte dieses Standards zu einem vergleichbaren Preis geben», so Wolf.
Die Wohnung befinde sich nahezu im Originalzustand und sei mit Gegenständen ausgestattet, die aus den 70er-Jahren stammen oder stammen könnten. Obwohl erst seit wenigen Tagen buchbar, seien bereits vier Buchungen für die Wohnung im Fellergut eingegangen.
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