Betroffene erzählen«Ich war zu gutgläubig und habe ihm über 100’000 Franken überwiesen»
Zwei Schweizerinnen wurden Opfer sogenannter Romance Scammer. Gegenüber 20 Minuten erzählen sie ihre Geschichte.
Darum gehts
Zuerst geben sie die grosse Liebe vor und verlangen dann nach Geld: Sogenannte Romance Scammer betrügen ihre Opfer teilweise um Tausende von Franken.
20 Minuten sprach mit zwei Betroffenen.
«Ich habe alles verloren»: Eine Tinder-Bekanntschaft endete für eine Schweizerin im persönlichen Ruin. Anfang Dezember lernte die 56-Jährige auf der Dating-App einen Mann kennen. «Alex, wie er sich auf der Plattform nannte, gab sich als erfolgreicher Geschäftsmann aus Zürich aus. Er sah gut aus und war sehr charmant», erzählt die Frau.
Bereits vom zweiten Tag an hätten die beiden täglich telefoniert. «Innerhalb kurzer Zeit fühlte es sich gut an. Ich hatte zudem auch mit einer Person Kontakt, die sich als seine Tochter ausgab. Es fühlte sich alles sehr vertraut an.» Die drei hätten sogar vereinbart, Weihnachten zusammen zu verbringen. Mitte Dezember habe er sie dann gefragt, ob sie ihn zu einem Geschäftstermin nach Dubai begleiten möchte. Da sie bereits verplant war, sagte sie ab.
Kurz darauf folgte die erste Geldforderung: «Er erzählte mir, dass er in Dubai sei und mehrere Tausend Franken brauche, weil er eine Überweisung tätigen sollte, aber mit seinem Bankkonto im Ausland ein Problem habe.» Ohne zu zögern, habe sie ihm das Geld überwiesen. «Ich habe ihm vertraut», so die Schweizerin.
Doch dabei sei es nicht geblieben: «Kurz danach rief mich ein Mann an und stellte sich als sein Anwalt vor. Er meinte, dass Alex in Dubai festgenommen wurde und ihm sein Pass entzogen worden sei.» Um ihm zu helfen, habe sie erneut mehrere Tausend Franken überwiesen. «Danach folgten weitere Anrufe des vermeintlichen Anwalts. Mal waren es Rechtskosten, ein anderes Mal ging es um Arztrechnungen.»
«Alles, was ich hatte, waren Fotos und seine Profile auf Social Media»
Das Versprechen, das Geld zurückzuzahlen, hielt Alex nicht ein. Innerhalb von vier Monaten habe sie so über 100’000 Franken verloren und das an einen Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte – auch nicht per Videocall. «Alles, was ich hatte, waren Fotos, die er mir geschickt hat, und seine Profile auf Social Media. Zudem kontaktierten mich immer wieder Personen aus seinem Umfeld und stellten so ein Vertrauensverhältnis her. Ich war zu gutgläubig und bis zu einem gewissen Grad auch überzeugt, den Partner fürs Leben gefunden zu haben.»
Als sich ihre finanzielle Situation Ende Mai zuspitzte, zog sie die Reissleine und ging zur Polizei. Da der grosse Schock: «Seine Adresse war falsch und die Handynummer lief auf eine Prepaid-Sim-Karte im Ausland, die sich nicht nachverfolgen lässt. Ich fiel in ein Loch und konnte tagelang weder schlafen noch etwas essen.»
Kurz danach habe sie Anzeige gegen unbekannt erstattet und sich psychologische Unterstützung geholt. «Ich kann es bis heute nicht fassen, was passiert ist. Über das Geschehene nachzudenken oder zu sprechen, tut sehr weh. Ich hoffe jedoch, dass ich damit andere Frauen vor solchen Betrügern warnen kann.»
So läuft die Betrugsmasche ab
«Ich verliebte mich quasi sofort in ihn»
Dass sie nicht das einzige Opfer ist, zeigt der Fall einer anderen Schweizerin. Sie stand letzten Herbst für einige Wochen mit Alex, dem vermeintlichen Geschäftsmann aus Zürich, in Kontakt: «Wir matchten auf Tinder. Ich verliebte mich quasi sofort in ihn», sagt die Frau. Auch ihr gegenüber habe er erzählt, dass er sich in Dubai befinde und nicht ausreisen könne. «Jemandem in Not aushelfen zu wollen und das Versprechen, das geliehene Geld ja nach zwei Tagen zurückzuerhalten, haben mich veranlasst, ihm einen fünfstelligen Betrag zu überweisen.»
Zudem habe auch sie mit mehreren Personen Kontakt gehabt, die sich als Bekannte von Alex ausgaben. «Das schuf zusätzliches Vertrauen.» Nachdem er aber kurz darauf um eine weitere Zahlung bat, seien ihr Zweifel gekommen: «Ich ging zur Polizei und erstattete Anzeige. Neben dem finanziellen Verlust ist die Erkenntnis, auf einen Betrüger reingefallen zu sein, sehr belastend. Ich bin nicht vermögend und werde mein Geld wohl nie wieder sehen.»
Bis heute wissen die Frauen nicht, wer hinter dem Betrug steckt. Recherchen zeigen, dass für das Fake-Profil Bilder von Mattias, einem Familienvater und Teilzeit-Model aus Schweden, benutzt wurden. 20 Minuten konnte mit ihm sprechen. Hier findest du den Artikel.
Kantonspolizeien gehen von hoher Dunkelziffer aus
Den Kantonspolizeien ist die Problematik bekannt. «Die Romance-Scam-Betrüger sitzen in der Regel im Ausland. Wenn das Geld bereits überwiesen ist, ist es sehr schwierig bis unmöglich, es wieder zurückzubekommen», erklärt Daniel Meili, Sprecher bei der Kantonspolizei Thurgau.
Im Kanton Thurgau stellt man in den letzten Jahren tendenziell eine Zunahme bei den Strafanzeigen fest. Während 2017 rund neun Fälle verzeichnet wurden, waren es letztes Jahr 15 Fälle. «Wir vermuten jedoch eine hohe Dunkelziffer», so Meili. Von einer hohen Dunkelziffer geht man auch bei der Kantonspolizei Zürich aus: «Viele Betroffene erstatten keine Anzeige, weil sie sich schämen, auf die Masche reingefallen zu sein», sagt Sprecher Ralph Hirt.
Gemäss Bernhard Graser, Sprecher bei der Kantonspolizei Aargau, lautet der wichtigste Präventionstipp, nicht auf Freundschaftsanfragen oder Nachrichten einzugehen, bei denen man sich fragen muss, warum ein gut situierter Mensch aus einem fernen Land ohne irgendeinen Bezug eine Beziehung eingehen möchte.
«Betroffene sollten den Kontakt sofort abbrechen und keinesfalls weiteres Geld überweisen. Danach macht es Sinn, bei der Polizei Anzeige zu erstatten», so Graser. Trotz minimaler Erfolgsaussichten gewinne diese dadurch wertvolle Erkenntnisse, welche sie wiederum in die Prävention einfliessen lassen kann. Zudem sollten verdächtige Profile sofort gemeldet werden, damit die Plattformen diese Accounts löschen können.
Fachleute erklären, wie die Täter vorgehen und warum Menschen darauf reinfallen. Hier findest du den Artikel.
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