Witali Klitschko exklusiv: «Die Schweiz soll endlich den Lügensender RT verbieten»

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Witali Klitschko exklusiv«Die Schweiz soll endlich den Lügensender RT verbieten»

Bürgermeister Witali Klitschko hat 20 Minuten in Kiew empfangen. Er spricht über seine Sorgen wegen des Winters und darüber, dass die Unterstützung für sein Land nachlassen könnte. An die Schweiz hat er eine Bitte. 

Fast neun Monate Krieg, das ermüdet selbst einen Box-Champion im Ruhestand. Dennoch bleibt Bürgermeister Witali Klitschko zuversichtlich: «Wir sind stark, Putin hat keine Chance.»
Auf die russischen Angriffe mit iranischen Shahed-Drohnen angesprochen, sagt Klitschko: «Es ist wieder ein neues Kapitel in dem Krieg, aber wir haben bereits Wege gefunden, dass es ein kurzes bleibt.»
In letzter Zeit habe man in Kiew die meisten dieser Drohnen abschiessen können. Es bleibt Klitschko zufolge auch genug Zeit, die Bevölkerung mit Luftalarm zu warnen, wenn die Drohnen kommen. 
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Fast neun Monate Krieg, das ermüdet selbst einen Box-Champion im Ruhestand. Dennoch bleibt Bürgermeister Witali Klitschko zuversichtlich: «Wir sind stark, Putin hat keine Chance.»

20 Minuten

Herr Klitschko, Sie sehen tatsächlich etwas müde aus.

Ach was. Aber es ist schon so, dass es seit gut neun Monaten nonstop Arbeit gibt. An einem Tag werden wir bombardiert, am nächsten fällt die Elektrizität aus, dann das Wasser, dann gibts Probleme beim öffentlichen Verkehr … es gibt immer etwas, eine Sisyphusarbeit. Aber wir schaffen das. 

Kiew wirkt ruhig – haben die Angriffe auf Ihre Stadt aufgehört? 

Aufgehört? Nein, gar nicht. Doch unsere Abwehrsysteme funktionieren derzeit so gut, dass die Bevölkerung davon nichts mitkriegt. Zum Glück! Wir schiessen fast täglich Raketen und Drohnen ab. Kiew war und bleibt ein Hauptziel der russischen Aggressoren.  

Sie haben neue Luftabwehrsysteme erhalten. Können Sie dazu etwas sagen?

Nein, kann ich leider nicht. Nur so viel: Dank unserer Partner erhalten wir mehr solcher Systeme, die uns und die Stadt schützen. Das Leben ist jetzt viel besser als zuvor. Doch solange dieser blöde Krieg läuft, kann unser Militär niemandem einen hundertprozentigen Schutz garantieren.

«Bitte, liebe Schweiz, tut etwas dagegen!»

Witali Klitschko

Alles spricht von den iranischen Drohnen. Was bedeuten sie für Kiew?

Sie fliegen langsam und sehr niedrig, und doch ist es schwierig, sie schnell auszumachen. Es ist wieder ein neues Kapitel in dem Krieg, aber wir haben bereits Wege gefunden, dass es ein kurzes bleibt. In letzter Zeit konnten wir die meisten abschiessen. Doch die Toten und grossen Schäden, die diese Kamikazedrohnen unserer Stadt im Oktober gebracht haben, vergessen wir nicht. Der Iran dementiert zwar, damit etwas zu tun zu haben. Doch Russland mit Waffen gegen die Ukraine zu unterstützen – das ist das Gegenteil eines freundschaftlichen Verhältnisses zu unserem Volk. 

Bleibt bei einem Drohnenangriff noch Zeit, Luftalarm auszulösen?

Ja, das geht. Auch wenn die Radare mitunter Mühe haben, die Shahed-Dohnen zu identifizieren, weil sie wirklich sehr tief fliegen. Aber wie gesagt: Ich denke, wir haben jetzt dafür den Schlüssel gefunden. 

Nach den jüngsten Angriffen sagten uns  …

Genau! Ich wollte Sie etwas fragen: 20 Minuten, das ist doch aus der Schweiz? 

Das stimmt. 

Eben! Als ich dieses Jahr am WEF war, war ich überrascht: In der Schweiz kann man immer noch den russischen Propagandasender RT empfangen, obwohl er sonst in ganz Europa abgeschaltet wurde. 

Das dürfte auf die Schweizer Neutralität und Meinungsfreiheit zurückgehen.

Die Schweiz ist ein zentrales Land in der Mitte Europas. Und dieser Sender ist eine Waffe Russlands, der mit Falschinformationen reines Gift versprüht. Ich meine, dort hört man, dass die Ukraine in Mariupol Kriegsverbrechen begeht – stellen Sie sich das vor, das ist einfach das Gegenteil der Realität. Ehrliche Informationen sind so wichtig in einem Krieg, mindestens so wichtig wie Waffen. Bitte, liebe Schweiz, tut etwas dagegen, stellt den russischen Propagandasender mit seinen Lügen ab. 

Deshalb sendet RT noch in der Schweiz

«Im Gegensatz zum Hungrigen versteht der Satte nie.»

Witali Klitschko

Haben Sie Sorge, dass die Unterstützung für die Ukraine nachlassen könnte?

Ja, diese Sorge habe ich. Ich bitte jeden und jede in Europa zu verstehen: Wir verteidigen nicht nur unser Land, sondern kämpfen auch für euch. 

Das hört man zwar immer, aber was heisst das wirklich? 

Es gibt ein gutes Sprichwort: Im Gegensatz zum Hungrigen versteht der Satte nie. Zu denken, dass die Ukraine und der Krieg weit weg sind, ist falsch. Dieser blöde Krieg kann Europa treffen – und tut es schon. Wladimir Putin hat ein grosses Ziel, er will Grossrussland wieder herstellen. Dazu gehörten auch Polen und die baltischen Staaten. Und ich kenne Putins Mentalität: Er geht so weit, wie man ihn lässt. Das ist damit gemeint, wenn wir sagen, dass wir nicht nur uns verteidigen, sondern auch euch. Das sind nicht nur leere Worte. 

Viele Leute in Kiew sagten, sie würden trotz der Angriffe bleiben. Überrascht Sie das?

Russland versucht, uns depressiv zu machen, in der Stadt Chaos zu stiften und Angst und Schrecken zu verbreiten. Doch es erreicht das Gegenteil, die Wut wächst angesichts der Zerstörung in unserer Heimat. Moskau hat nicht verstanden, dass man manchmal Armeen besiegen kann, aber niemals das Volk und die Nation. Und wir sind stark, Putin hat keine Chance. 

«Der Winter wird nicht einfach, aber wir sind bereit.»

Witali Klitschko

Wie bereiten Sie Kiew auf den Winter vor? 

Wladimir Putin schickt seine Drohnen gegen unsere kritische Infrastruktur und ruiniert unsere Heizungssysteme. Er will, dass wir im Winter frieren. Wir versuchen, dem entgegenzuhalten und haben verschiedene Szenarien ausgearbeitet und in der ganzen Stadt über tausend beheizte Orte eingerichtet. Hier können Menschen übernachten und sich aufwärmen. Und wir haben ziemlich viele Notfallgeneratoren für Schulen und Krankenhäuser gekauft. Der Winter wird nicht einfach, aber wir sind bereit. 

Wie spart Ihre Stadt Strom?

Wir haben die Strassenlaternen ausgeschaltet. Auch die Leuchttafeln sind aus und unsere Elektrobusse, die Busse fahren wieder mit Benzin und Diesel. In jedem Stadtteil wird der Strom täglich für einige Stunden abgeschaltet. Der Mangel an Elektrizität – jedes dritte Kraftwerk im Land ist ja zerstört – betrifft nicht nur Kiew, sondern alle Städte im Land. Deswegen helfen wir uns gegenseitig aus. 

Und Sie selber, wie sparen Sie?

Wir heizen nicht mehr überall und … stellen wir doch das Licht ab! Weil ich muss jetzt wirklich los. 

Sollen russische Staatsmedien in der Schweiz verboten werden?

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