Imane Khelif: Interview mit Forscherin über Geschlechts-Debatte

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Imane Khelif«Faire Wettkämpfe im Sport sind eine Illusion»

Vor dem Olympia-Final, in dem die umstrittenen Boxerinnen Imane Khelif und Lin Yu Ting um Gold kämpfen, spricht 20 Minuten mit der Forscherin Karolin Heckemeyer über die Geschlechts-Debatte.

Das sagen die Fans in Paris über Imane Khelif.

Fabrizio Bonazza/Daniel Schnüriger/ 20 Minuten

Darum gehts

  • Die Boxerinnen Imane Khelif und Lin Yu Ting kämpfen bei Olympia um Gold.

  • 20 Minuten spricht mit der Soziologin und Sportwissenschaftlerin Karolin Heckemeyer über die Geschlechts-Debatte.

  • Sie klärt auf.

Um Imane Khelif und Lin Yu Ting tobt seit über einer Woche eine riesige Gender-Debatte. Die Boxerin aus Algerien kämpft am Freitag gegen Liu Yang um Olympia-Gold. Lin Yu Ting fightet am Samstag. Vor den Finals spricht 20 Minuten mit der Soziologin und Sportwissenschaftlerin Karolin Heckemeyer, die zu Fragen geschlechtlicher Vielfalt im Sport forscht.

Lin Yu-ting und Imane Khelif, die wegen nicht bestandener Geschlechtstests bei der WM disqualifiziert wurden, dürfen bei Olympia 2024 antreten. Was sagen Sie dazu?

Grundsätzlich begrüsse ich, dass das IOC entsprechend seiner im November 2021 veröffentlichten Regelungen offen und inklusiv mit dem Thema umgeht und den Athletinnen die Teilnahme ermöglicht. Problematisch ist, wie die Debatte über ihre Teilnahme aktuell geführt wird.

Warum?

Aus zwei Frauen werden Menschen gemacht, die den Frauensport bedrohen, die sich Erfolge erschleichen wollen und deren Körper keine richtigen Frauenkörper sind. Damit wird eine abwertende Rhetorik fortgesetzt, die wir im Sport seit vielen Jahrzehnten beobachten können, wenn es um den Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt geht und um Frauenkörper, die den Normen der Sportverbände nicht entsprechen.

Soziologin und Sportwissenschaftlerin Karolin Heckemeyer forscht zu Fragen geschlechtlicher Vielfalt im Sport.

Soziologin und Sportwissenschaftlerin Karolin Heckemeyer forscht zu Fragen geschlechtlicher Vielfalt im Sport.

Privat

Der Box-Weltverband IBA behauptet, dass Khelif «sehr hohe» Testosteronwerte habe.

Tatsache ist, dass jeder menschliche Körper Testosteron produziert. Die Bezeichnung von Testosteron als männliches Sexualhormon ist daher irreführend. Sollte Khelif mehr Testosteron haben im Vergleich zu anderen Frauenkörpern bedeutet dies, dass ihr Körper eine besondere Eigenschaft hat. Ob und inwiefern ein erhöhter Testosteronwert bei einer Athletin wie Imane Khelif eine leistungsfördernde Wirkung hat, ist wissenschaftlich bisher nur bedingt geklärt.

Grundsätzlich ist es ja so, dass alle Sport-Stars andere körperliche Voraussetzungen haben.

Ja. Die Vorstellung, dass es faire, chancengleiche Wettkämpfe im Sport gibt, ist eine Illusion. Körper sind grundsätzlich sehr verschieden und Sport-Stars bringen sehr unterschiedliche Voraussetzungen mit. Gerade im Sport sind es die aussergewöhnlichen Körper, die die Fans begeistern: jene von Usain Bolt oder Simone Biles etwa. Mir stellt sich die Frage, warum wir nicht in ähnlicher Weise mit Begeisterung die Leistungen von Caster Semenya oder Imane Khelif feiern können.

Imane Khelif kämpft bei Olympia um Gold.

Imane Khelif kämpft bei Olympia um Gold.

AFP

In der ganzen Debatte stört Sie also die Konzentration auf Testosteron?

Es gibt zahlreiche andere Aspekte, die die jeweils sportartspezifische Leistungsfähigkeit eines Menschen beeinflussen. Neben körperlichen Faktoren spielen psychische Aspekte eine Rolle. Darüber hinaus müssen wir uns fragen, ob es fair ist, dass Menschen gegeneinander antreten, die ganz unterschiedliche Lebens- und Trainingsbedingungen haben. Interessant ist, …

Ja?

… dass die Frage nach dem Testosteronlevel im Männersport nie zum Thema wird. Das Testosteronlevel bei Männern kann stark variieren. Manche Männerkörper produzieren doppelt so viel Testosteron wie andere Männerkörper. Ist es fair, dass diese Athleten gegeneinander antreten?

Gewinnt die Boxerin aus Algerien Gold?

Gewinnt die Boxerin aus Algerien Gold?

AFP

Imane Khelif boxt seit vielen Jahren als Frau, von der IBA wurde sie 2023 disqualifiziert. Warum kommt es erst jetzt zur riesigen Debatte?

Sportliche Grossereignisse wie die Olympischen Spiele wirken wie ein Brennglas und rücken Themen ins Zentrum, die sonst vielleicht eher untergehen. Das liegt auch an der umfangreichen medialen Berichterstattung. Zudem geht es bei den Olympischen Spielen um etwas: Wer steht auf dem Treppchen?

Das heisst, es ist derzeit auch Gesprächsthema, weil Khelif und Yu-ting so erfolgreich sind?

Wenn Sportlerinnen, deren Körper den Weiblichkeitsnormen des Sports nicht entsprechen, Erfolge feiern, dann werden sie zum Gegenstand der Diskussion – und zwar einer Diskussion, die abwertend und respektlos ist. Und das, obwohl die Athletinnen wie Khelif bereits seit vielen Jahren in ihrem Sport aktiv sind.

Gewinnt Imane Khelif die Goldmedaille?

Aus Sicht der Geschlechterforschung: Was macht das mit einer Frau, wenn plötzlich teils Menschen sagen, man sei keine Frau?

Es ist in hohem Masse verletzend und gewaltvoll, das geschlechtliche Selbstverständnis eines Menschen nicht anzuerkennen. Und die Geschichte der sogenannten Geschlechtstests, die es auf die ein oder andere Art seit den 1960er Jahren gibt, zeigt, dass das für die Sportlerinnen tiefgreifende persönliche und soziale Konsequenzen hat.

Was meinen Sie damit?

Athletinnen verlieren nicht nur ihre sportliche Karriere, sie werden zugleich blossgestellt und ihre Körper werden zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Es sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Sportlerinnen in solchen Situationen Suizid begangen haben. In den Diskussionen im Sport gerät dieser Aspekt leider oft aus dem Blick.

Männer, Frauen, Intersexuelle: Die Vielfalt der Geschlechter

Welches Geschlecht jemand hat, lässt sich nicht immer einfach bestimmen. Schon gar nicht allein durch einen Blick in die Hose. Denn Geschlechtsmerkmale gibt es in allen Variationen: Vom Penis bis zur Klitoris ist es ein fliessender Übergang. Die Klitoris kann zum Beispiel vergrössert oder der Penis verkümmert sein und die Hoden können innen statt aussen liegen (siehe Bildstrecke hier). Fachleute sprechen dann von Intersexualität oder Intergeschlechtlichkeit.

Auch die Chromosomen sind nicht immer eindeutig. Zwar haben Frauen im Normalfall zwei X-Chromosomen, während Männer je ein X- und ein Y-Chromosom haben. Doch es gibt Ausnahmen, etwa die Kombination XXY oder XYY, die ebenfalls in den Bereich der Intergeschlechtlichkeit fallen.

Beide Geschlechter produzieren sowohl männliche Sexualhormone wie Testosteron als auch weibliche Hormone wie Östrogen und Progesteron, jedoch in unterschiedlichen Mengen. Im Durchschnitt ist der Testosteronspiegel bei Männern etwa zehnmal höher als bei Frauen. Auch hier gibt es Ausnahmen: Manche Männer haben niedrige, manche Frauen hohe Testosteronspiegel. Daher kann auch der Hormonspiegel nicht eindeutig zur Bestimmung des Geschlechts herangezogen werden.

Hast du oder hat jemand, den du kennst, Suizidgedanken? Oder hast du jemanden durch Suizid verloren?

Hier findest du Hilfe:

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen

Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29

Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

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