Männer, Frauen, Intersexuelle: Die Vielfalt der Geschlechter

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GeschlechterWann ist ein Mann ein Mann und eine Frau eine Frau?

Für Nemo haben Geschlechtscodes keine Gültigkeit. Nemo kämpft dafür, dass ein drittes Geschlecht im Gesetz verankert wird: Nonbinarität soll darunterfallen. Mit dem biologischen Geschlecht hat das nichts zu tun, sondern mit Geschlechtsidentität.

Nemo identifiziert sich als nonbinär. (Archivbild)
An der Pressekonferenz nach dem ESC-Sieg sprach Nemo darüber, sich für die Rechte von nonbinären Menschen und die Einführung des dritten Geschlechts starkzumachen.
Gegnerinnen und Gegner von Nemos Anliegen widersprechen. Sie behaupten, es gebe nur zwei Geschlechter: Männlich und weiblich.
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Nemo identifiziert sich als nonbinär. (Archivbild)

Jens Büttner/dpa

Darum gehts

  • ESC-Superstar Nemo setzt sich für die Anerkennung eines dritten Geschlechts in der Schweiz ein.

  • Gegnerinnen und Gegner halten an der traditionellen Definition fest, basierend auf äusseren Geschlechtsmerkmalen und Fortpflanzungsrollen.

  • Biologisch gibt es jedoch viele Abstufungen und Variationen, die nicht klar in männlich oder weiblich einzuordnen sind.

Nemo macht sich für die Anerkennung eines dritten Geschlechts in der Schweiz stark. Gegnerinnen und Gegner von Nemos Anliegen widersprechen und argumentieren mit den äusseren Geschlechtsmerkmalen. Demnach ist männlich, wer Penis und Hoden hat. Wer Vagina und Brüste hat, ist weiblich. Andere machen das Geschlecht an der Rolle der Fortpflanzung fest: Demnach produzieren Männer Spermien und Frauen Eier.

Doch so einfach ist es nicht: Aus biologischer Sicht gibt es beim Geschlecht jedoch nicht nur Schwarz oder Weiss, sondern auch alle Abstufungen von Grau. Manche sprechen von biologischer Diversität. Doch was heisst das genau?

Männer haben Penisse, Frauen Brüste – oder doch nicht?

Nach der Geburt wird das Geschlecht eines Kindes in der Regel tatsächlich durch einen Blick auf die Genitalien bestimmt: Sind männliche Geschlechtsmerkmale vorhanden, ist es ein Junge. Hat das Neugeborene eine Vulva, ist es ein Mädchen. In den meisten Fällen hat sich die Frage nach dem Geschlecht damit erledigt. Aber es gibt Ausnahmen.

So einfach ist es nicht, die Natur ist komplexer

Mitunter werden Auffälligkeiten festgestellt: Die Klitoris kann zum Beispiel vergrössert oder der Penis verkümmert sein und die Hoden können innen statt aussen liegen. Es gibt da einen fliessenden Übergang. Fachleute sprechen in solchen Fällen von Intersexualität oder Intergeschlechtlichkeit. Im medizinischen Kontext wird auch von Varianten der Geschlechtsentwicklung gesprochen. Im Englischen ist auch vom Begriff «disorders of sexual development», kurz DSD, die Rede.

Bei den meisten Personen ist das biologische Geschlecht eindeutig. Rund 1,7 Prozent der Weltbevölkerung gelten als intergeschlechtlich. (Im Bild: Die sogenannte Prader-Skala)
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Aus biologischer Sicht gibt es nicht nur Männer und Frauen, sondern Männer, Frauen und Intersexuelle – Personen, bei denen die körperlichen Geschlechtsmerkmale sowohl männlich als auch weiblich sind, in unterschiedlicher Ausprägung: Es gibt sie in verschiedensten Variationen.

Wie viele Menschen sind intersexuell?

«Gemäss UNO beträgt der Anteil intergeschlechtlicher Menschen an der Weltbevölkerung etwa 1,7 Prozent», so die Dachorganisation der Fachstellen für sexuelle Gesundheit und der Fachstellen für Sexualaufklärung in der Schweiz. «In der Schweiz sind es also gleich viele Personen, wie in den Städten Bern oder Lausanne leben.» Ein Grossteil davon bleibe unsichtbar.

Wenn nicht Geschlechtsmerkmale, hilft der Blick auf die Chromosomen?

Mitunter schon, denn in der Regel bestimmen die Geschlechtschromosomen, ob ein Fötus männlich oder weiblich wird: Frauen haben im Normalfall zwei X-Chromosomen, während Männer je ein X- und ein Y-Chromosom haben. Doch es gibt Ausnahmen, die ebenfalls in den Bereich der Intergeschlechtlichkeit fallen. Und zwar ähnlich viele, wie es Varianten an Geschlechtsmerkmalen gibt (siehe Box). Entsprechend lässt sich das Geschlecht auch nicht allein mithilfe der Chromosomen bestimmen.

Beispiele für Intersexualität

Intersexuelle haben kein klar bestimmbares Geschlecht. Dabei gibt es nicht einfach eine dritte Form, sondern ein ganzes Spektrum von Ausprägungen.

  • Vom Klinefelter-Syndrom spricht man, wenn ein Mann ein zusätzliches X-Chromosom hat (XXY). Es tritt mit einer Häufigkeit von 1:500 bis 1:1000 auf. Die Betroffenen haben oft kleine Hoden, wenig Bartwuchs und mitunter vergrösserte Brüste. Weitere Symptome können Unfruchtbarkeit, eine leicht geminderte Intelligenz und eine eingeschränkte Planungsfähigkeit sein.

  • Das Turner-Syndrom wird durch das Fehlen oder die unvollständige Bildung eines der beiden X-Chromosomen verursacht. Frauen mit diesem Syndrom haben geringere Mengen Östrogen im Blut. Sie sind in der Regel kleinwüchsig, haben überschüssige Haut im Nacken, leiden an Lernbehinderungen und gehen nicht eigenständig in die Pubertät über. Es betrifft etwa eine von 2500 Frauen.

  • Vom XYY-Syndrom betroffene Männer sind meist hochgewachsen und haben Sprachprobleme. Ihr Intelligenzquotient (IQ) liegt meist leicht unter dem der übrigen Familienmitglieder. Es können Lernbehinderungen, ADHS und leichte Verhaltensstörungen auftreten. Etwa einer von 1000 Jungen wird damit geboren.

  • Das Androgenresistenz-Syndrom betrifft genetisch männliche Personen (XY), deren Körper nicht auf Testosteron reagieren. Sie entwickeln sich äusserlich als Frau. Die Häufigkeit liegt bei etwa 1:20'000.

  • Zum Adrenogenitalen Syndrom kommt es, wenn Föten mit XX-Chromosomen, die also von der Genetik her Mädchen wären, zu vielen männlichen Hormonen ausgesetzt sind und deshalb neben Eierstöcken auch eine vergrösserte, penisähnliche Klitoris entwickeln. In der Schweiz liegt die Häufigkeit bei rund 1:5000.

Können die Hormone bei der Bestimmung «Mann» – «Frau» helfen?

Beide Geschlechter produzieren sowohl männertypische Sexualhormone wie Testosteron als auch frauentypische wie Östrogen und Progesteron – allerdings in unterschiedlichen Konzentrationen: Die Menge an Testosteron im Körper eines Mannes ist im Mittel zehnmal so hoch wie die im Körper einer Frau. Doch auch hier gibt es Ausnahmen von der Regel. Denn die Hormonspiegel können variieren: Manche Männer haben viel, manche wenig Testosteron. Auch bei den Frauen ist die Variation gross. Entsprechend lässt sich auch nicht anhand der Hormonspiegel eindeutig bestimmen, ob eine Person männlich oder weiblich ist.

Um zu entscheiden, zu welchem Geschlecht jemand gehört, reichen die biologischen Merkmale entsprechend nicht aus. Meist ist es klar, aber es gibt unzählige Zwischenstufen.

Wie viele intergeschlechtliche Menschen gibt es auf der Welt? Das beantwortet Gianna Bacio im Video.

20min/Gianna Bacio/Tarek El Sayed

Geschlechtsidentität: Wie Menschen sich selbst sehen

Auch das Empfinden einer Person spielt bei der Geschlechtszuordnung eine Rolle. Die Geschlechtsidentität beschreibt die Art und Weise, wie sich Menschen selbst sehen: ob als männlich, weiblich oder nonbinär, wie Nemo. Nonbinäre Menschen identifizieren sich nicht oder nur teil- oder zeitweise mit einem der beiden binären Geschlechter «weiblich» oder «männlich». Laut dem Bericht der Nationalen Ethikkommission von 2020 betrifft das in der Schweiz zwischen 103'000 und 154'000 Menschen.

Soll die Schweiz einen dritten Geschlechtseintrag einführen?

Transidentität: Wenn der Körper nicht zum Empfinden passt

Für die meisten Menschen stimmt die Geschlechtsidentität mit ihrem biologischen Geschlecht und ihrem Geschlechtsausdruck – der äusseren Erscheinung der Person – überein. Ihre Kleidung, Frisur, Sprache, Verhalten, Namen und Pronomen passen zu ihrem bei der Geburt bestimmten Geschlecht. Bei manchen Menschen ist das nicht so. Fachleute sprechen dann von Transidentität. Bei den Menschen, die das betreffe, stimme die Geschlechtsidentität nicht oder nicht vollständig mit dem vor oder unmittelbar nach der Geburt zugewiesenen Geschlecht überein, so das Unispital Zürich. Das Körperliche könne dann «als Falsches und Schmerzliches erlebt werden». Solche Personen empfinden punkto Geschlecht einen Unterschied zwischen ihrem Körper und ihrem Bewusstsein. Das biologische Geschlecht spielt hierfür keine Rolle.

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